Helden | Page 2

George Bernard Shaw
[Raina wendet sich nach dem Zimmer um.] Um Gottes willen, Kind, warum da drau?en in der Nachtluft statt im Bett! Du wirst dir den Tod holen. Louka sagte mir doch, da? du schliefest.
Raina [eintretend]: Ich habe sie fortgeschickt, weil ich allein sein wollte--die Sterne sind so wundervoll. Was ist denn los?
Katharina: Gro?e Neuigkeiten--eine Schlacht ist geschlagen worden!
Raina [mit weiten Augen]: Ah! [Sie wirft ihren Pelz auf die Ottomane und kommt in blo?em Nachtkleid, einem h��bschen Kleidungsst��ck, doch sichtlich dem einzigen, das sie anhat, heftig auf Katharina zu.]
Katharina: Eine gro?e Schlacht, bei Slivnitza, ein Sieg! und Sergius hat ihn erfochten.
Raina [mit einem Freudenschrei]: Ah--[Entz��ckt:] O Mutter! [Dann pl?tzlich ?ngstlich:] Ist der Vater gesund und unversehrt?
Katharina: Selbstverst?ndlich, von ihm kommt ja die Nachricht. Sergius ist der Held des Tages, der Abgott seines Regiments.
Raina: Erz?hle, erz?hle! wie ist das zugegangen? [Ekstatisch:] O Mutter, Mutter, Mutter! [Sie dr��ckt ihre Mutter auf die Ottomane nieder. Sie k��ssen einander leidenschaftlich.]
Katharina [mit ungest��mem Enthusiasmus]: Du kannst dir nicht vorstellen, wie herrlich es ist. Eine Kavallerieattacke, denke dir nur! Er hat unseren russischen Befehlshabern Trotz geboten, er handelte ohne Kommando. Auf eigene Faust f��hrte er einen Angriff aus, er selbst an der Spitze. Er war der erste Mann, der die feindliche Artillerie durchbrach! Stell es dir nur einmal vor, Raina, wie unsere k��hnen gl?nzenden Bulgaren mit blitzenden Schwertern und blitzenden Augen einer Lawine gleich herniederdonnerten und die elenden Serben mit ihren geckenhaften ?sterreichischen Offizieren wegfegten wie Spreu. Und du, du lie?est Sergius ein Jahr lang warten, bis du ihm dein Jawort gabst. Oh, wenn du einen Tropfen bulgarischen Blutes in den Adern hast, wirst du ihn jetzt anbeten, wenn er zur��ckkommt.
Raina: Was wird ihm an meiner armseligen Anbetung liegen, nachdem ihm eine Armee von Helden zugejubelt hat! Doch einerlei. Ich bin so gl��cklich, so stolz! [Sie steht auf und geht heftig bewegt auf und ab.] Es beweist mir, da? alle unsere Ideen doch Wahrheit waren.
Katharina [indigniert]: Unsere Ideen Wahrheit? Was meinst du damit?
Raina: Unsere Vorstellungen von dem, was ein Mann wie Sergius einmal vollbringen w��rde--unsere Vorstellungen von Patriotismus, von Heldentum. Ich zweifelte manchmal, ob sie etwas anderes als Tr?ume w?ren. Oh, was f��r ungl?ubige kleine Gesch?pfe wir M?dchen sind! Als ich Sergius den S?bel umg��rtete, sah er so edel aus. Es war Verrat von mir, da an Entt?uschungen, Dem��tigung oder Mi?erfolg zu denken, und doch--und doch...[Rasch:] Versprich mir, da? du es ihm niemals sagen wirst.
Katharina: Verlange kein Versprechen von mir, bevor ich wei?, was ich eigentlich versprechen soll.
Raina: Nun, als er mich in seinen Armen hielt und mir in die Augen blickte, da fiel es mir ein, da? wir vielleicht unsere Vorstellungen von Heldengr??e blo? deshalb haben, weil wir gar so gerne Byron und Puschkin lesen und weil wir in diesem Jahre von der Oper in Bukarest so entz��ckt waren. Das wirkliche Leben gleicht so selten diesen Bildern--ja niemals, soweit ich es bis dahin kannte...[reuevoll:] Denk dir nur, Mutter, ich zweifelte an ihm. Ich fragte mich, ob nicht am Ende alle seine Soldateneigenschaften und sein Heldentum sich als Einbildung erweisen w��rden, sobald er sich in einer wirklichen Schlacht bef?nde. Ich hatte eine unangenehme Angst, da? er am Ende gar eine kl?gliche Figur inmitten all der klugen russischen Offiziere abgeben w��rde.
Katharina: Sch?mst du dich nicht--eine kl?gliche Figur? Die Serben haben ?sterreichische Offiziere, die genau so klug sind wie unsere russischen, und wir haben sie trotzdem in jeder Schlacht geschlagen.
Raina [lacht und setzt sich wieder]: Jawohl! ich war blo? ein poesieloser kleiner Feigling. Nein, zu denken, da? dies alles wahr ist--da? Sergius genau so edel und k��hn ist, wie er aussieht--, da? die Welt tats?chlich eine herrliche Welt f��r Frauen ist, die ihre Gr??e sehen k?nnen, und f��r M?nner, die f?hig sind, ihre Romantik darzustellen! Was f��r ein Gl��ck, was f��r unaussprechliche Erf��llungen--ach! [Sie wirft sich neben ihrer Mutter auf die Knie und umschlingt sie leidenschaftlich mit den Armen.]
[Sie werden durch den Eintritt Loukas unterbrochen, eines h��bschen stolzen M?dchens in der h��bschen bulgarischen Bauerntracbt mit Klappsch��rze. Sie benimmt sich so keck, da? ihr dienstliches Verhalten gegen Raina beinahe unversch?mt aussieht; vor Katharina f��rchtet sie sich, aber selbst mit ihr geht sie so weit, wie sie's nur immer wagen zu d��rfen glaubt. Sie ist jetzt ebenso aufgeregt wie die anderen, aber sie sympathisiert nicht mit Rainas Begeisterung und blickt verachtungsvoll auf die Verz��ckung der beiden, bevor sie sie anredet.]
Louka: Entschuldigen Sie, gn?dige Frau, alle Fenster m��ssen geschlossen und alle L?den verriegelt werden. Man sagt, da? vielleicht in den Stra?en geschossen werden wird. [Raina und Katharina erheben sich gleichzeitig erschrocken.] Die Serben werden durch den Pa? zur��ckgejagt, und es hei?t, sie k?nnten sich in die Stadt fl��chten. Unsere Kavallerie wird ihnen nachsetzen, und Sie k?nnen sicher sein, da? unser Volk sie geb��hrend empfangen wird; jetzt, wo sie davonlaufen. [Sie geht auf den Balkon hinaus, schlie?t die Au?enl?den und tritt dann in das
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