ich schon auf war, als sie in die Küche kam.« 
Nun ging es aber am folgenden Tage wieder ganz gleich und am dritten 
auch; Rico blieb immer eine halbe Stunde lang vor der Wohnstube des 
Lehrers stehen und mochte nicht hineingehen und seine Frage tun. Da 
dachte Stineli heimlich: Wenn er noch drei Tage lang nicht fragt, dann 
frag' ich. Aber am vierten Tage, als Rico wieder nachdenklich und 
zaghaft an der Tür stand, ging diese plötzlich auf, und der Lehrer trat 
eilig heraus und stieß so gewaltig gegen den Rico an, daß das 
federleichte Büblein ein gutes Stück rückwärts flog. In großem 
Erstaunen und ziemlichem Unwillen stand der Lehrer da. »Was ist das, 
Rico?« fragte er jetzt, als der Kleine wieder am Platze stand. »Warum 
kommst du an eine Tür und klopfest nicht an, wenn du da etwas zu 
verrichten hast; wenn du aber nichts da zu verrichten hast, warum 
entfernst du dich nicht? Solltest du mir aber etwas zu berichten haben, 
so kannst du's gleich hier sagen. Was wolltest du?« 
»Was kostet eine Geige?« stürzte Rico vor lauter Angst in voller Hast 
heraus. 
Des Lehrers mißbilligendes Erstaunen wuchs sichtlich. »Rico, was muß 
ich von dir denken?« fragte er mit gestrenger Miene; »kommst du extra 
an die Tür deines Lehrers, um unnütze Fragen an ihn zu tun? oder hast 
du eine Absicht? Was hast du damit sagen wollen?«
»Ich habe nichts sagen wollen«, entgegnete Rico schüchtern, »nur 
fragen, was eine Geige kostet.« 
»Du hast mich nicht verstanden, Rico; paß jetzt auf, was ich dir sage: 
ein Mensch spricht etwas aus und denkt sich dabei einen Zweck; oder 
er denkt sich nichts dabei, das sind unnütze Worte. Nun paß auf, Rico: 
hast du soeben diese Frage getan aus gar keinem Grunde, oder aus 
Neugierde, oder hat dich jemand geschickt, der gern eine Geige 
anschaffen wollte?« 
»Ich wollte gern eine kaufen«, sagte Rico ein wenig herzhafter; aber er 
erschrak sehr, als der Lehrer mit einem Male in hellem Zorn ihn anfuhr: 
»Was? Was sagst du da? So ein -- verlorenes, unvernünftiges, welsches 
Büblein, wie du eins bist, eine Geige kaufen? Weißt du denn, was eine 
Geige ist? Weißt du, wie alt ich war und was ich gelernt hatte, eh' ich 
eine Geige anschaffen konnte? Lehrer war ich, fertiger Lehrer, 
zweiundzwanzig Jahre alt und stand in meinem Beruf! Und dann so ein 
Büblein, wie du eins bist! Und jetzt will ich dir sagen, was eine Geige 
kostet, so kannst du deinen Unverstand bemessen. Sechs harte Gulden 
habe ich bezahlt dafür; kannst du dir die Summe vergegenwärtigen? 
Wir wollen sie gleich einmal in Blutzger auflösen: Enthält ein Gulden 
100 Blutzger, so enthalten sechs Gulden 6 x 100 gleich? -- gleich? -- 
Nun Rico, du bist sonst keiner von den Ungeschickten, -- gleich?« 
»Gleich 600 Blutzger«, ergänzte Rico leise, denn der Schrecken 
versagte ihm die Stimme, nun er die Summe überschaute und Stinelis 
zwölf Blutzger damit verglich. 
»Und dann, Büblein«, fuhr der Lehrer im Zuge weiter fort, »was meinst 
du? Meinst du, es nimmt einer eine Geige nur in die Hand und spielt? 
Da muß einer anders dran, bis er so weit ist. Komm gleich einmal da 
herein« -- und der Lehrer machte die Tür auf und nahm die Geige von 
der Wand --; »da, nimm sie einmal in den Arm und den Bogen in die 
Hand; so, Büblein, und wenn du mir nun #c d e f# herausbringst, so 
geb' ich dir gleich einen halben Gulden.« Rico hatte wirklich die Geige 
im Arm; seine Augen leuchteten auf wie Feuer. #c d e f# -- spielte er 
fest und völlig korrekt. »Du Erzblitzbub«, rief der Lehrer vor 
Bewunderung aus, »woher kannst du das? Wer hat dich's gelehrt? Wie
kannst du die Töne finden?« 
[Illustration: Jetzt spielte Rico mit aller Sicherheit und 
freudestrahlenden Augen] 
»Ich kann noch etwas, wenn ich's spielen darf«, sagte Rico und schaute 
mit Verlangen auf das Instrument in seinem Arm. 
»Spiel's!« bedeutete der Lehrer. Jetzt spielte Rico mit aller Sicherheit 
und freudestrahlenden Augen: 
»Ihr Schäflein hinunter Von sonniger Höh', Der Tag ging schon unter, 
Für heute ade!« 
Der Lehrer hatte sich auf einen Stuhl niedergelassen und die Brille 
aufgesetzt. Er schaute mit ernster Prüfung jetzt auf Ricos Finger, dann 
auf seine funkelnden Augen, dann wieder auf die Finger. Rico hatte 
fertig gespielt. 
»Komm hier zu mir her, Rico!« 
Der Lehrer rückte seinen Stuhl ins Licht, und Rico mußte sich gerade 
vor ihm aufstellen. »So, nun muß ich ein Wort mit dir reden. Dein 
Vater ist ein Welscher, Rico, und siehst du, dort unten gehen allerhand 
Dinge, von denen wir hier in den Bergen nichts wissen. Nun sieh mir in 
die Augen und sag mir aufrichtig und der Wahrheit gemäß: Wie bist du 
dazu gekommen, diese Melodie ohne Fehler auf meiner Geige zu 
spielen?« 
Rico schaute den Lehrer mit ganz ehrlichen Augen an und    
    
		
	
	
	Continue reading on your phone by scaning this QR Code
 
	 	
	
	
	    Tip: The current page has been bookmarked automatically. If you wish to continue reading later, just open the 
Dertz Homepage, and click on the 'continue reading' link at the bottom of the page.
	    
	    
