entzückt, daß es sie nie wieder vergessen konnte. Der Vater hatte viele 
Lieder und Melodien darauf gespielt und das Büblein unverwandt 
zugeschaut, nicht nur zugehört; und wie der Vater die Geige weggelegt 
hatte, da hatte sie das Büblein leise genommen und probiert, wie man 
die Melodien herausbringe. Und es mußte es so gar schlecht nicht 
gemacht haben, denn der Vater hatte gelächelt und gesagt: »So komm!« 
und hatte seine großen Finger auf die kleinen gelegt mit der linken 
Hand, und mit der rechten die Hand des Bübleins mitsamt dem Bogen 
in die seinige genommen, und so hatten sie eine gute Zeitlang 
fortgegeigt allerlei Melodien. 
Die folgenden Tage, wenn der Vater fort war, hatte das Büblein fort 
und fort probiert und gegeigt, bis es eine Melodie herausgebracht hatte; 
aber da war auf einmal die Geige wieder verschwunden und kam nie 
wieder zum Vorschein. Zuweilen, wenn sie so zusammensaßen, fing 
der Vater auch an zu singen, erst nur leise und dann immer deutlicher, 
wenn er einmal daran war. Dann sang das Büblein auch mit, und wenn 
es die Worte nicht recht mitsingen konnte, so sang es doch die Töne; 
denn der Vater sang immer italienisch, und es verstand vieles, aber es 
war ihm nicht so recht bekannt und geläufig zum Singen. Da aber war 
eine Melodie, die konnte es besser als alle anderen, denn der Vater 
hatte sie vielhundertmal gesungen.
Sie gehörte zu einem langen Lied, das fing so an: 
#»Una sera In Peschiera« --# 
Es war eine ganz wehmütige Melodie, die einer zu der kurzweiligen 
Romanze gemacht hatte, und sie gefiel dem Büblein besonders wohl, so 
daß es sie immer mit Freuden und ganz andächtig absang, und es tönte 
gut, denn das Büblein hatte eine helle, glockenreine Stimme, die floß so 
schön mit des Vaters kräftigem Baß zusammen. Auch jedesmal, wenn 
dieses Lied zu Ende gesungen war, klopfte der Vater den Kleinen 
freundlich auf die Schulter und sagte: #»Bene, Encrico, va bene.«# So 
nannte aber nur der Vater den Knaben, bei allen anderen Leuten hieß er 
nur »Rico«. Da war auch noch eine Base, die mit in dem Häuschen 
wohnte, die flickte und kochte und alles in Ordnung hielt. Im Winter 
saß sie am Ofen und spann, da mußte Rico immer nachdenken, wie er 
seine Gänge einrichten könne, denn sobald er die Tür aufmachte, sagte 
die Base: »Laß doch einmal diese Tür in Ruh', es wird ja ganz kalt in 
der Stube.« Er war dann oft lange allein mit der Base. Der Vater hatte 
in der Zeit irgendwo unten im Tale Arbeit und blieb viele Wochen lang 
fort. 
 
Zweites Kapitel. 
In der Schule. 
Rico war bald neun Jahre alt und hatte schon zwei Winter hindurch die 
Schule besucht, denn im Sommer gab es da droben in den Bergen keine 
Schule; da hatte der Lehrer seinen Acker zu bebauen und zu grasen und 
zu hauen wie alle anderen Leute, zur Schule hatte dann niemand Zeit. 
Das tat aber dem Rico nicht besonders leid, er wußte sich schon zu 
unterhalten. Wenn er sich am Morgen dort auf die Schwelle gestellt 
hatte, so blieb er stehen, schaute hinaus mit träumenden Augen und 
bewegte sich nicht, und so konnte er stundenlang stehen, wenn nicht 
drüben am anderen Häuschen die Türe aufging und ein kleines 
Mädchen herauskam und lachend zu ihm herüberschaute; dann lief 
Rico schnell hinüber, und die Kinder hatten sich schon wieder viel zu
sagen seit gestern Abend, wo sie sich zuletzt gesehen hatten, ehe Stineli 
ins Haus gerufen wurde. Stineli hieß das Mädchen und war gerade so 
alt wie Rico; sie hatten miteinander angefangen in die Schule zu gehen 
und waren in derselben Klasse, und schon von jeher waren sie immer 
beieinander gewesen, denn es war ja nur ein schmaler Weg zwischen 
ihren Wohnungen und sie waren die allerbesten Freunde. 
Rico hatte auch nur diese einzige Freundschaft, denn mit den Buben 
ringsherum hatte er keine Freude, und wenn sie sich prügelten und auf 
dem Boden herumwarfen und sich auf die Köpfe stellten, dann ging er 
davon und schaute nicht einmal zurück. Wenn sie aber riefen: »Jetzt 
wollen wir einmal den Rico abprügeln«, dann stand er still und stellte 
sich geradeauf hin und machte gar nichts; aber er schaute sie mit den 
dunkeln Augen so merkwürdig an, daß ihn keiner packte. 
Aber beim Stineli war's ihm wohl zumute. Es hatte ein lustiges 
Stumpfnäschen und darüber zwei braune Augen, die lachten immerfort, 
und um den Kopf hatte es zwei dicke, braune Zöpfe gebunden, die 
sahen sehr sauber aus, denn das Stineli war ein ordentliches Mädchen 
und wußte sich zu helfen; es war auch in einer guten Schule Tag für 
Tag. Stineli war wohl kaum neun Jahre alt, aber es war die älteste 
Tochter und mußte der Mutter überall helfen, und da war viel zu tun. 
Denn nach dem Stineli kamen noch: das Trudi und der Sami    
    
		
	
	
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