gut
für die Gedanken und den Rhythmus des Blutes, aus dem die Gedanken
kamen...
Das sechseckige Zimmer, kahl, nüchtern und unbequem, mit seiner
geweißten Decke, unter der Tabaksrauch schwebte, seiner schräg
karierten Tapete, auf der oval gerahmte Silhouetten hingen, und seinen
vier, fünf dünnbeinigen Möbeln, lag im Lichte der beiden Kerzen, die
zu Häupten des Manuskripts auf der Schreibkommode brannten. Rote
Vorhänge hingen über den oberen Rahmen der Fenster, Fähnchen nur,
symmetrisch geraffte Kattune; aber sie waren rot, von einem warmen,
sonoren Rot, und er liebte sie und wollte sie niemals missen, weil sie
etwas von Üppigkeit und Wollust in die unsinnlich-enthaltsame
Dürftigkeit seines Zimmers brachten...
Er stand am Ofen und blickte mit einem raschen und schmerzlich
angestrengten Blinzeln hinüber zu dem Werk, von dem er geflohen war,
dieser Last, diesem Druck, dieser Gewissensqual, diesem Meer, das
auszutrinken, dieser furchtbaren Aufgabe, die sein Stolz und sein Elend,
sein Himmel und seine Verdammnis war. Es schleppte sich, es stockte,
es stand--schon wieder, schon wieder! Das Wetter war schuld und sein
Katarrh und seine Müdigkeit. Oder das Werk? Die Arbeit selbst? Die
eine unglückselige und der Verzweiflung geweihte Empfängnis war?
Er war aufgestanden, um sich ein wenig Distanz davon zu verschaffen,
denn so oft bewirkte die räumliche Entfernung vom Manuskript, daß
man Übersicht gewann, einen weiteren Blick über den Stoff, und
Verfügungen zu treffen vermochte. Ja, es gab Fälle, wo das
Erleichterungsgefühl, wenn man sich abwendete von der Stätte des
Ringens, begeisternd wirkte. Und das war eine unschuldigere
Begeisterung, als wenn man Likör nahm oder schwarzen, starken
Kaffee... Die kleine Tasse stand auf dem Tischchen. Wenn sie ihm über
das Hemmnis hülfe? Nein, nein, nicht mehr! Nicht der Arzt nur, auch
ein zweiter noch, ein Ansehnlicherer, hatte ihm dergleichen behutsam
widerraten: der andere, der dort, in Weimar, den er mit einer
sehnsüchtigen Feindschaft liebte. Der war weise. Der wußte zu leben,
zu schaffen; mißhandelte sich nicht; war voller Rücksicht gegen sich
selbst...
Stille herrschte im Hause. Nur der Wind war hörbar, der die
Schloßgasse hinuntersauste, und der Regen, wenn er prickelnd gegen
die Fenster getrieben ward. Alles schlief, der Hauswirt und die Seinen,
Lotte und die Kinder. Und er stand einsam wach am erkalteten Ofen
und blinzelte gequält zu dem Werk hinüber, an das seine kranke
Ungenügsamkeit ihn glauben ließ... Sein weißer Hals ragte lang aus der
Binde hervor, und zwischen den Schößen des Schlafrocks sah man
seine nach innen gekrümmten Beine. Sein rotes Haar war aus der hohen
und zarten Stirn zurückgestrichen, ließ blaß geäderte Buchten über den
Schläfen frei und bedeckte die Ohren in dünnen Locken. An der
Wurzel der großen, gebogenen Nase, die unvermittelt in eine weißliche
Spitze endete, traten die starken Brauen, dunkler als das Haupthaar,
nahe zusammen, was dem Blick der tiefliegenden, wunden Augen
etwas tragisch Schauendes gab. Gezwungen, durch den Mund zu atmen,
öffnete er die dünnen Lippen, und seine Wangen, sommersprossig und
von Stubenluft fahl, erschlafften und fielen ein...
Nein, es mißlang, und alles war vergebens! Die Armee! Die Armee
hätte gezeigt werden müssen! Die Armee war die Basis von allem! Da
sie nicht vors Auge gebracht werden konnte--war die ungeheure Kunst
denkbar, sie der Einbildung aufzuzwingen? Und der Held war kein
Held; er war unedel und kalt! Die Anlage war falsch, und die Sprache
war falsch, und es war ein trockenes und schwungloses Kolleg in
Historie, breit, nüchtern und für die Schaubühne verloren!
Gut, es war also aus. Eine Niederlage. Ein verfehltes Unternehmen.
Bankerott. Er wollte es Körnern schreiben, dem guten Körner, der an
ihn glaubte, der in kindischem Vertrauen seinem Genius anhing. Er
würde höhnen, flehen, poltern--der Freund; würde ihn an den Carlos
gemahnen, der auch aus Zweifeln und Mühen und Wandlungen
hervorgegangen und sich am Ende, nach aller Qual, als ein weithin
Vortreffliches, eine ruhmvolle Tat erwiesen hat. Doch das war anders
gewesen. Damals war er der Mann noch, eine Sache mit glücklicher
Hand zu packen und sich den Sieg daraus zu gestalten. Skrupel und
Kämpfe? O ja. Und krank war er gewesen, wohl kränker als jetzt, ein
Darbender, Flüchtiger, mit der Welt Zerfallener, gedrückt und im
Menschlichen bettelarm. Aber jung, ganz jung noch! Jedesmal, wie tief
auch gebeugt, war sein Geist geschmeidig emporgeschnellt, und nach
den Stunden des Harms waren die anderen des Glaubens und des
inneren Triumphes gekommen. Die kamen nicht mehr, kamen kaum
noch. Eine Nacht der flammenden Stimmung, da man auf einmal in
einem genialisch leidenschaftlichen Lichte sah, was werden könnte,
wenn man immer solcher Gnade genießen dürfte, mußte bezahlt
werden mit einer Woche der Finsternis und der Lähmung. Müde war er,
siebenunddreißig erst alt und schon am Ende. Der Glaube lebte nicht
mehr, der an die Zukunft, der im Elend sein Stern gewesen. Und so war
es, dies war die verzweifelte Wahrheit: Die Jahre der Not und der
Nichtigkeit, die er für Leidens- und Prüfungsjahre gehalten, sie
eigentlich waren

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