Gladius Dei; Schwere Stunde | Page 6

Thomas Mann
eine tiefe Entrüstung ... »Sie wagen nicht, es zu leugnen! Wie
aber ist es dann möglich, den Verfertiger dieses Gebildes im Ernste zu
feiern, als habe er der Menschheit ideale Güter um eines vermehrt? Wie
ist es dann möglich, davor zu stehen, sich unbedenklich dem schnöden
Genüsse hinzugeben, den es verursacht, und sein Gewissen mit dem
Worte Schönheit zum Schweigen zu bringen, ja, sich ernstlich
einzureden, man überlasse sich dabei einem edlen, erlesenen und
höchst menschenwürdigen Zustande? Ist dies ruchlose Unwissenheit
oder verworfene Heuchelei? Mein Verstand steht still an dieser Stelle ...
er steht still vor der absurden Tatsache, daß ein Mensch durch die
dumme und zuversichtliche Entfaltung seiner tierischen Triebe auf
Erden zu höchstem Ruhme gelangen kann!... Schönheit ... Was ist
Schönheit? Wodurch wird die Schönheit zutage getrieben und worauf
wirkt sie? Es ist unmöglich, dies nicht zu wissen, Herr Blüthenzweig!
Wie aber ist es denkbar, eine Sache so sehr zu durchschauen und nicht
angesichts ihrer von Ekel und Gram erfüllt zu werden? Es ist
verbrecherisch, die Unwissenheit der schamlosen Kinder und kecken
Unbedenklichen durch die Erhöhung und frevle Anbetung der
Schönheit zu bestätigen, zu bekräftigen und ihr zur Macht zu verhelfen,
denn sie sind weit vom Leiden und weiter noch von der Erlösung! ...Du
blickst schwarz, antworten Sie mir, du, Unbekannter. Das Wissen, sage
ich Ihnen, ist die tiefste Qual der Welt; aber es ist das Fegefeuer, ohne
dessen läuternde Pein keines Menschen Seele zum Heile gelangt. Nicht
kecker Kindersinn und ruchlose Unbefangenheit frommt, Herr
Blüthenzweig, sondern jene Erkenntnis, in der die Leidenschaften
unseres eklen Fleisches hinsterben und verlöschen.«
Stillschweigen. Der gelbe Herr mit dem schwarzen Ziegenbart
meckerte kurz.
»Sie müssen nun wohl gehen«, sagte der Schlechtbezahlte sanft.
Aber Hieronymus machte keineswegs Anstalten, zu gehen. Hoch
aufgerichtet in seinem Kapuzenmantel, mit brennenden Augen stand er
inmitten des Kunstladens, und seine dicken Lippen formten mit hartem
und gleichsam rostigem Klange unaufhaltsam verdammende Worte...
»Kunst! rufen sie, Genuß! Schönheit! Hüllt die Welt in Schönheit ein
und verleiht jedem Dinge den Adel des Stiles! ...Geht mir, Verruchte!
Denkt man, mit prunkenden Farben das Elend der Welt zu übertünchen?

Glaubt man, mit dem Festlärm des üppigen Wohlgeschmacks das
Ächzen der gequälten Erde übertönen zu können? Ihr irrt, Schamlose!
Gott läßt sich nicht spotten, und ein Greuel ist in seinen Augen euer
frecher Götzendienst der gleißenden Oberfläche! ...Du schmähst die
Kunst, antworten Sie mir, du, Unbekannter. Sie lügen, sage ich Ihnen,
ich schmähe nicht die Kunst! Die Kunst ist kein gewissenloser Trug,
der lockend zur Bekräftigung und Bestätigung des Lebens im Fleische
reizt! Die Kunst ist die heilige Fackel, die barmherzig hineinleuchte in
alle fürchterlichen Tiefen, in alle scham- und gramvollen Abgründe des
Daseins; die Kunst ist das göttliche Feuer, das an die Welt gelegt werde,
damit sie aufflamme und zergehe samt all ihrer Schande und Marter in
erlösendem Mitleid! ...Nehmen Sie, Herr Blüthenzweig, nehmen Sie
das Werk des berühmten Malers dort aus Ihrem Fenster ... ja, Sie täten
gut, es mit einem heißen Feuer zu verbrennen und seine Asche in alle
Winde zu streuen, in alle vier Winde!...«
Seine unschöne Stimme brach ab. Er hatte einen heftigen Schritt
rückwärts getan, hatte einen Arm der Umhüllung des schwarzen
Mantels entrissen, hatte ihn mit leidenschaftlicher Bewegung weit
hinausgereckt und wies mit einer seltsam verzerrten, krampfhaft auf
und nieder bebenden Hand auf die Auslage, das Schaufenster, dorthin,
wo das aufsehenerregende Madonnenbild seinen Platz hatte. In dieser
herrischen Haltung verharrte er. Seine große, gehöckerte Nase schien
mit einem befehlshaberischen Ausdruck hervorzuspringen, seine
dunklen, an der Nasenwurzel stark sich verdickenden Brauen waren so
hoch emporgezogen, daß die kantige, von der Kapuze beschattete Stirn
ganz in breiten Querfalten lag, und über seinen Wangenhöhlen hatte
sich eine hektische Hitze entzündet.
Hier aber wandte Herr Blüthenzweig sich um. Sei es, daß die
Zumutung, diese Siebenzig-Mark-Reproduktion zu verbrennen, ihn so
aufrichtig entrüstete, oder daß überhaupt Hieronymus' Reden seine
Geduld am Ende erschöpft hatten: jedenfalls bot er ein Bild gerechten
und starken Zornes. Er wies mit dem Federhalter auf die Ladentür, blies
mehrere Male kurz und erregt mit der Nase in den Schnurrbart, rang
mit der Sprache und brachte dann mit höchstem Nachdruck hervor:
»Wenn Sie Patron nun nicht augenblicklich von der Bildfläche
verschwinden, so lasse ich Ihnen durch den Packer den Abgang
erleichtern, verstehen Sie mich?!«

»Oh, Sie schüchtern mich nicht ein, Sie verjagen mich nicht, Sie
bringen meine Stimme nicht zum Schweigen!« rief Hieronymus, indem
er oberhalb der Brust seine Kapuze mit der Faust zusammenraffte und
furchtlos den Kopf schüttelte... »Ich weiß, daß ich einsam und machtlos
bin, und dennoch verstumme ich nicht, bis Sie mich hören, Herr
Blüthenzweig! Nehmen Sie das Bild aus Ihrem Fenster und verbrennen
Sie es noch heute! Ach, verbrennen Sie nicht dies allein! Verbrennen
Sie auch diese Statuetten und Büsten, deren Anblick in Sünde stürzt,
verbrennen Sie diese Vasen und Zierate, diese schamlosen
Wiedergeburten des Heidentums, diese
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