Gebieter sich um nichts 
kümmerte, aus seinem Zustande griesgrämlicher Schläfrigkeit nicht 
herauskam und sich höchstens dazu ermannte, seiner Frau garstige 
Dinge zu sagen. Meist hockte er am Kamin, qualmte und spuckte ab 
und zu in die Asche. 
Als ein Kind zur Welt kam, mußte es einer Amme gegeben werden; 
und als es wieder zu Hause war, wurde das schwächliche Geschöpf 
grenzenlos verwöhnt. Die Mutter nährte es mit Zuckerzeug. Der Vater 
ließ es barfuß herumlaufen und meinte höchst weise obendrein, der 
Kleine könne eigentlich ganz nackt gehen wie die Jungen der Tiere. Im 
Gegensatz zu den Bestrebungen der Mutter hatte er sich ein bestimmtes 
männliches Erziehungsideal in den Kopf gesetzt, nach welchem er 
seinen Sohn zu modeln sich Mühe gab. Er sollte rauh angefaßt werden 
wie ein junger Spartaner, damit er sich tüchtig abhärte. Er mußte in 
einem ungeheizten Zimmer schlafen, einen ordentlichen Schluck Rum 
vertragen und auf den »kirchlichen Klimbim« schimpfen. Aber der 
Kleine war von friedfertiger Natur und widerstrebte allen diesen 
Bemühungen. Die Mutter schleppte ihn immer mit sich herum. Sie 
schnitt ihm Pappfiguren aus und erzählte ihm Märchen; sie unterhielt 
sich mit ihm in endlosen Selbstgesprächen, die von schwermütiger 
Fröhlichkeit und wortreicher Zärtlichkeit überquollen. In ihrer 
Verlassenheit pflanzte sie in das Herz ihres Jungen alle ihre eigenen 
unerfüllten und verlorenen Sehnsüchte. Im Traume sah sie ihn 
erwachsen, hochangesehen, schön, klug, als Beamten beim Straßen- 
und Brückenbau oder in einer Ratsstellung. Sie lehrte ihn Lesen und 
brachte ihm sogar an dem alten Klavier, das sie besaß, das Singen von 
ein paar Liedchen bei. Ihr Mann, der von gelehrten Dingen nicht viel 
hielt, bemerkte zu alledem, es sei bloß schade um die Mühe; sie hätten 
doch niemals die Mittel, den Jungen auf eine höhere Schule zu 
schicken oder ihm ein Amt oder ein Geschäft zu kaufen. Zu was auch? 
Dem Kecken gehöre die Welt! Frau Bovary schwieg still, und der
Kleine trieb sich im Dorfe herum. Er lief mit den Feldarbeitern hinaus, 
scheuchte die Krähen auf, schmauste Beeren an den Rainen, hütete mit 
einer Gerte die Truthähne und durchstreifte Wald und Flur. Wenn es 
regnete, spielte er unter dem Kirchenportal mit kleinen Steinchen, und 
an den Feiertagen bestürmte er den Kirchendiener, die Glocken läuten 
zu dürfen. Dann hängte er sich mit seinem ganzen Gewicht an den 
Strang der großen Glocke und ließ sich mit emporziehen. So wuchs er 
auf wie eine Lilie auf dem Felde, bekam kräftige Glieder und frische 
Farben. 
Als er zwölf Jahre alt geworden war, setzte es seine Mutter durch, daß 
er endlich etwas Gescheites lerne. Er bekam Unterricht beim Pfarrer, 
aber die Stunden waren so kurz und so unregelmäßig, daß sie nicht viel 
Erfolg hatten. Sie fanden statt, wenn der Geistliche einmal gar nichts 
anders zu tun hatte, in der Sakristei, im Stehen, in aller Hast in den 
Pausen zwischen den Taufen und Begräbnissen. Mitunter, wenn er 
keine Lust hatte auszugehen, ließ der Pfarrer seinen Schüler nach dem 
Ave-Maria zu sich holen. Die beiden saßen dann oben im Stübchen. 
Mücken und Nachtfalter tanzten um die Kerze; aber es war so warm 
drin, daß der Junge schläfrig wurde, und es dauerte nicht lange, da 
schnarchte der biedere Pfarrer, die Hände über dem Schmerbauche 
gefaltet. Es kam auch vor, daß der Seelensorger auf dem Heimwege 
von irgendeinem Kranken in der Umgegend, dem er das Abendmahl 
gereicht hatte, den kleinen Vagabunden im Freien erwischte; dann rief 
er ihn heran, hielt ihm eine viertelstündige Strafpredigt und benutzte 
die Gelegenheit, ihn im Schatten eines Baumes seine Lektion hersagen 
zu lassen. Entweder war es der Regen, der den Unterricht störte, oder 
irgendein Bekannter, der vorüberging. Übrigens war der Lehrer 
durchweg mit seinem Schüler zufrieden, ja er meinte sogar, der »junge 
Mann« habe ein gar treffliches Gedächtnis. 
So konnte es nicht weitergehen. Frau Bovary ward energisch, und ihr 
Mann gab widerstandslos nach, vielleicht weil er sich selber schämte, 
wahrscheinlicher aber aus Ohnmacht. Man wollte nur noch ein Jahr 
warten; der Junge sollte erst gefirmelt werden. 
Darüber hinaus verstrich abermals ein halbes Jahr, dann aber wurde 
Karl wirklich auf das Gymnasium nach Rouen geschickt. Sein Vater 
brachte ihn selber hin. Das war Ende Oktober. 
Die meisten seiner damaligen Kameraden werden sich kaum noch
deutlich an ihn erinnern. Er war ein ziemlich phlegmatischer Junge, der 
in der Freizeit wie ein Kind spielte, in den Arbeitsstunden eifrig lernte, 
während des Unterrichts aufmerksam dasaß, im Schlafsaal 
vorschriftsmäßig schlief und bei den Mahlzeiten ordentlich zulangte. 
Sein Verkehr außerhalb der Schule war ein Eisengroßhändler in der 
Handschuhmachergasse, der aller vier Wochen einmal mit ihm ausging, 
an Sonntagen nach Ladenschluß. Er lief mit ihm am Hafen spazieren, 
zeigte ihm die Schiffe und brachte ihn abends um sieben Uhr vor dem 
Abendessen wieder in das Gymnasium. Jeden Donnerstag abend 
schrieb Karl mit roter Tinte an seine Mutter einen langen Brief, den er 
immer mit drei Oblaten zuklebte. Hernach vertiefte er sich wieder in    
    
		
	
	
	Continue reading on your phone by scaning this QR Code
 
	 	
	
	
	    Tip: The current page has been bookmarked automatically. If you wish to continue reading later, just open the 
Dertz Homepage, and click on the 'continue reading' link at the bottom of the page.
	    
	    
