Ehstnische Märchen. Zweite Hälfte | Page 3

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und stark wie zuvor. Der geizige Wirth scharrte nun jedes Jahr immer mehr Geld zusammen, weil er seinem Gesinde weder Brot zu geben noch Lohn zu zahlen brauchte. So waren endlich zwei mal sieben Jahre beinah vorüber gegangen, nur noch einige Wochen fehlten. Dem Wirthe kam die Sorge, da? er die Diener verlieren k?nnte, darum dachte er hin und her, wie es wohl m?glich w?re die Frist zu verl?ngern.
Eines Morgens war er aufgestanden und sah, da? Knecht und Magd noch nicht bei der Arbeit waren. Er meinte, sie schliefen noch auf dem Boden und kletterte auf der Leiter hinauf. Aber da war Niemand zu finden. Auf der Stelle, wo sie geschlafen hatten, fand er einen verfaulten Baumstumpf und ein H?uflein Birkenrinde. Da wurde es ihm pl?tzlich klar, was die Namen des Knechts und der Magd bedeutet hatten; ohne Zweifel waren die Beiden durch Zauber aus Holz und Bork gemacht. Eben wollte er die Treppe wieder hinunter steigen, als eine Hand ihn an der Gurgel packte und ihn auf dem Flecke erwürgte. Die Frau fand sp?ter auf dem Rande des Bodens nichts weiter als drei Blutstropfen. Als sie in die Klete (Vorrathskammer) ging, nahm sie wahr, da? die Kornkasten leer waren und die Geldkiste nur mit welken Birkenbl?ttern angefüllt. So war mit einem Male alle Habe dahin und die verwittwete Frau starb vor Kummer ebenfalls; doch erfuhr sie nichts davon, da? der alte Bursche den Wirth, der ihm aus Geiz seine Seele verkauft, erdrosselt hatte. Diesen Lohn hatte nun der geizige Mann davon, da? er seinen Reichthum frevelnder Weise zusammengescharrt hatte.
[Fu?note 1: Die Bucht an der Ostsee westlich vom Lauf der Narowa. L.]
[Fu?note 2: Identisch mit dem in dem ersten Bande h?ufig vorkommenden ?alten Burschen? (dem B?sen). L.]
[Fu?note 3: Vgl. Bd. 1, S. 67. Anm. L.]

2. Des Nebelberges K?nig.
Es waren einmal Dorfkinder auf Nachthütung im Walde, die Nacht war kalt und neblicht, so da? auch am Feuer die erstarrte Hand nicht mehr warm werden wollte. Da sagte eins der M?dchen, das einen aufgeweckten Geist hatte: ich will lieber ein Stück Weges laufen, das wird mir mehr W?rme geben als das Sitzen am Feuer. Mit diesen Worten sprang es auf und lief davon. Die andern lachten hinter ihr her und sagten: sie wird wohl bald zurück kommen! Aber der kleine Flüchtling kam nicht zurück. Als die Morgenr?the schon am Himmel stand, fingen sie an das verschwundene M?dchen zu rufen, erhielten aber von keiner Seite her eine Antwort. Die Kinder meinten nun, sie müsse wohl in's Dorf gegangen sein. Als man aber heim kam, war die Vermi?te nirgends zu finden. Die Aeltern gingen in den Wald, ihre Tochter zu suchen; umsonst aber strichen sie über einen halben Tag lang von einem Flecke zum andern, sie fanden keine Spur von ihr. Da dachten sie mit Schrecken daran, da? wilde Thiere das M?dchen get?dtet haben k?nnten. Sorgenvoll und betrübt gingen sie gegen Abend wieder nach Hause.
Das verloren gegangene Kind war schon eine Strecke weit von den übrigen abgekommen, als es an eine Bergspitze gelangte, auf der ein kleines Feuer brannte, weiter konnte es durch den dichten Nebel nichts sehen. Das Kind dachte, seine Gef?hrten seien da am Feuer, kletterte den Berg hinan und sah, da? ein graub?rtiger ein?ugiger Mann ausgestreckt am Feuer lag und es mit einem Eisenstecken schürte. Das Kind erschrack und wollte zurück, aber der Alte hatte es schon bemerkt und rief in strengem Tone: ?Bleibe stehen, oder ich werfe den Eisenstecken nach dir! Zwar habe ich nur ein einziges Auge, aber das ist eben so sicher wie die Hand, so da? ich niemals mein Ziel verfehle!? -- Das Kind blieb zitternd stehen. Der Alte hie? es n?her kommen, und als das M?dchen furchtsam z?gerte, stand er auf, nahm es bei der Hand und sagte: ?Komm und w?rme dich!? Das M?dchen mu?te nun wohl, wenn auch zitternd und bebend, mitgehen. Der Alte nahm Wei?brot aus seinem Schultersack und gab es dem Kinde zu essen. Dann klopfte er mit dem Eisenstecken auf den Rasen und alsbald standen zwei hübsche M?dchen am Feuer, als w?ren sie aus der Erde hervorgewachsen. Es dauerte nicht lange, so hatten sich die Kinder miteinander befreundet, spielten und trieben Kurzweil am Feuer, der Alte aber hatte das Auge geschlossen, als schliefe er.
Als die Morgenr?the heraufstieg, trat ein altes Mütterchen heran und sprach zum Dorfkinde: Heute mu?t du bei unseren Kindern zu Gast bleiben und auch die n?chste Nacht hier schlafen, dann schicke ich dich wieder nach Hause. -- Obwohl sich nun das Dorfkind anfangs ge?ngstigt hatte, so war es dort bald mit den andern Kindern so bekannt geworden, da? es weder Furcht noch Heimweh mehr empfand. Der Tag verging ihnen spielend, und Abends wurden die Kinder miteinander zur Ruhe gelegt. Den andern Morgen aber kam ein junges Frauenzimmer und sprach zum Dorfkinde: ?Du mu?t heute nach Hause gehen, denn deine
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