Edgar Allan Poe | Page 4

Hanns Heinz Ewers
ein geheimes Land der Seele betrat, von dem niemand vor
ihm -- und am wenigsten die Wissenschaft -- eine leise Ahnung hatte!
In grauer Nebelwolke träumt vor uns das gewaltige Land des
Unbewussten, das ewige Land unserer Sehnsüchte. Warm liegt der
Bettler in der Sonne, hockt der satte Bürger am Ofen. Aber es gibt
Menschen, deren blutende Sehnsucht so ungeheuer ist, dass sie hinaus
+müssen+ aus dem, was wir wissen. Robur et aes triplex muss ihre
Brust schirmen, wenn sie das sonnige Land des Bewusstseins verlassen,

wenn sie durch die grauen Mörderfluten nach Avalun steuern. Und
viele, viele gehen schmählich zugrunde, ohne je einen Blick hinter die
Wolken zu werfen.
Ganz wenigen aber gelingt die Fahrt. Sie finden ein Neuland,
entdecken es für die Kultur: +sie haben die Grenzen des Bewusstseins
ein Stück weiter hinausgeschoben+.
Die +Künstler+ sind diese ersten Entdecker. Dann mag die Menschheit
Forscherfahrten ausrüsten, um das neue Land zu vermessen und zu
untersuchen: Grundbuchleute und Katasterbeamte entsenden -- -- --
Männer der +Wissenschaft+.
-- -- Nun ist gewiss, dass -- neben andern Wegen -- die sogenannten
Gifte, die wir Narkotika nennen, geeignet sind, uns über die Schwelle
des Bewusstseins hinauszuführen. Gelingt es jemand, in diesem
»Jenseits« irgendwo festen Fuss zu fassen, das Metaphysische in etwas
Positives umzuwerten, so schafft er einen neuen Kunstwert, ist, im
edelsten Sinne, +ein Künstler+.
Vielleicht ist hier nötig, die Binsenweisheit zu betonen, dass nie
natürlich von einem Schaffen im +Rausche selbst+ die Rede sein kann?!
Oder die andere, dass kein Rauschmittel der Welt aus einem Menschen
etwas heraus zu holen vermag, das nicht in ihm steckt?! Die Griswolds
und Ingrams mögen noch soviel Wein trinken, noch soviel Opium
rauchen, noch soviel Haschisch essen, sie werden doch nimmermehr
Kunstwerte schaffen! -- -- +Aber+: der durch Narkotica bewirkte
Rausch ist unter Umständen -- -- neben andern Ursachen -- geeignet,
irgendwann später eine Ekstase hervorzurufen. Und: +in dieser Ekstase
leistet jeder Mensch das Höchste, was seine Intelligenz überhaupt zu
leisten imstande ist+.
* * *
Der Griswold hatte recht: Edgar Allan Poe trank. Und da -- wie bei uns
allen -- sein Leib verhältnismässig schlecht auf die Vergiftung des
Alkohols reagierte, abgestumpft war durch die Trinkgewohnheiten von
Generationen +von Vorfahren+, so trank er viel. Er soff. -- Aber er tat

das mit Absicht, tat es, um in den Rauschzustand zu kommen, aus dem
heraus er -- später, vielleicht Jahre später -- neue Kunstwerte schaffen
konnte. Solch ein Rausch ist kein Genuss, er ist eine entsetzliche Qual,
die +bewusst+ nur der ersehnt, dem das Kainszeichen der Kunst von
der Stirne flammt.
-- Gibt es eine schmählichere Lüge als die der Banausen:
»Künstlerisches Schaffen ist keine Arbeit; es ist eine Freude!?« Der das
sagte, und die grosse Masse, die es gedankenlos nachplappert, haben
nie einen Hauch der Ekstase verspürt, die allein künstlerisches Schaffen
bedingt. Und +diese Ekstase+ ist immer eine Qual, selbst dann, wenn --
in seltenen Fällen -- der Grund, der sie hervorrief, ein Genuss war.
Man sagt, dass die Katzenmütter ihre Jungen mit Genuss zur Welt
bringen -- -- aber es sind auch nur arme blinde Kätzlein. So mag der
Wochenplauderer der Buxtehuder Zeitung, mag der Textdichter von
»Berlin bei Nacht« mit Genuss seine Zeilen zu Papier bringen -- -- +ein
Kunstwerk ist nie ohne Schmerzen geboren worden.+
* * *
Ich bin hinausgegangen. Durch den mächtigen Palast des fünften
römischen Kaisers deutscher Nation, der den Namen Karl führte. Quer
durch den gewaltigen Säulenhof. Hinauf durch die lange Allee
weissblühender Akazien, durch die Wiesen, die viele tausend blauer
Iris tragen. Den Turm der Prinzessinnen liess ich mir aufschliessen, wo
einst die Sultantöchter Zayda, Zorayda und Zorahayda am Fenster der
gefangenen Christenritter Lieder belauschten.
Ich schau über das Tal auf den Hügel, von dem Boabdil beim Scheiden
seinen letzten Seufzer dem verlorenen Granada sandte. Ich blicke auf
den Garten des Generalife, deutlich sehe ich die vielhundertjährigen
Zypressen, unter deren Schatten des letzten Maurenkönigs Frau --
Hamet, dem schönsten der Abenceragen das unheilbringende
Stelldichein gab.
-- Hier erzählt jeder Stein eine trübe, verklungene Sage -- --

Tief unten im Tal geht der Weg, der weit hinauf zur Totenstatt führt.
Ein paar schwarze Ziegen weiden an den grünen Abhängen; hinten,
unter dem Turm der Gefangenen, sitzt ein zerlumpter Zollwächter vor
seiner schmutzigen Höhle. Langohrige Kaninchen grasen um ihn herum,
sieben Hähne, zum nahen Kampfe schon der Kämme und
Schwanzfedern beraubt, picken im Boden oder fliegen aufeinander.
Und weit im Osten glüht purpurrot der Schnee der wilden Sierra
Nevada --
Ein Trupp zerlumpter Bengels zieht durch das Tal. Zwei tragen einen
kleinen Kindersarg auf den Schultern, offen nach spanischer Sitte; ein
anderer schultert den Deckel. Der Sarg ist sehr einfach, drei gelbe
Bretter und zwei Brettchen. Aber drinnen liegen Blumen, viele Blumen,
rote, gelbe und weisse und blaue Blumen, unter denen das
wachsbleiche Köpfchen in schwarzem Haar hervorschaut. Kein Priester,
keine Verwandten,
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