leicht wandelt man in der Träume Land. Wo die 
Ulmen rauschen, wo die Springquellen plaudern, wo aus 
Lorbeerbüschen hundert Nachtigallen singen, da mag ich wohl an 
meinen Dichter denken. 
* * * 
Man sollte es nicht tun. Wirklich nicht. 
Man sollte nicht hingehen und irgendein Buch lesen über den Künstler, 
den man liebt. Fast immer wird man enttäuscht sein -- -- wie kann ein 
Pfaffe über Gott sprechen? So vorsichtig soll man damit sein, so sehr 
vorsichtig. 
Du solltest es so machen: 
Du liebst Firdusi? -- Goethe schrieb über ihn; +den+ kennst du nicht? 
Nun gut: lies erst alles, was Goethe schrieb, ehe du das liest, was er 
über den Perser sagt. -- Und dann erst, +wenn du den genau kennst+,
der über deinen Liebling schrieb, +dann+ erst entscheide dich, ob du 
das lesen willst, was er über ihn sagt! -- So wirst du keine Enttäuschung 
erleben. 
Lies nie, was Hinz und Kunz über den Künstler schreiben, den du liebst. 
Und wenn Hinz und Kunz die allergrössten Sterne sind, und wenn dein 
Liebling ein ganz kleiner Nebelfleck ist -- -- lies es nicht! Lies es nicht 
eher, bis du Hinz und Kunz genau kennst, bis du weisst: sie haben ein 
Recht, über +deinen Künstler+ zu sprechen. 
Ich habe es nicht so gemacht. Ich habe irgendwoher ein paar 
dickflüssige Tropfen im Blute: unerträgliche deutsche Gründlichkeit. 
So eine Art Pflichtgefühl. Ich dachte: eh du über den Dichter schreibst, 
den du liebst, lies das, was andere vor dir schrieben. Ich dachte: 
»Vielleicht -- --« 
Ich las also viel über Edgar Allan -- Nun bin ich so enttäuscht, so sehr 
enttäuscht. Da war nur einer, dessen Geist ihn fassen konnte. 
War nur +Baudelaire+ -- -- 
Baudelaire, der aus dem Haschich eine Kunst schuf. -- Wie hätte er ihn 
auch nicht fassen sollen, ihn, der aus Alkohol und Laudanum 
Kunstwerte formte?! 
* * * 
-- Jetzt muss ich das alles vergessen, was die anderen sagten. Diesen 
grässlichen Griswold muss ich vergessen, dessen ganze Poebiographie 
nichts anderes ist, als ein giftiges Ausspucken: »Er soff, er soff, pfui 
doch, er soff!« -- -- Und den noch grässlicheren Ingram muss ich 
vergessen, diesen Narren, der meinen Künstler +ehrenrettete+, indem 
er immer wieder stammelte: »Er trank gar nicht, wirklich, er trank gar 
nicht!« 
Rasch, ehe ich sie vergesse, will ich die Daten niederschreiben, die ich 
von ihnen habe:
»Edgar Allan Poe, geb. am 19. Januar 1809 in Boston. Irische Familie, 
langer Stammbaum, normannisches, keltisches, angelsächsisches, 
italienisches Blut. 1816 nach England mit seinen Pflegeeltern, ein paar 
Jahre in einer Boarding-School in Stoke-Newington. -- 1822 zurück 
nach Amerika, 1826 Student in Richmond, dann in Charlottesville. 
1827 Reise nach Europa mit unbekannten Abenteuern. 1830 
Offizierskadett in Westpoint. 1834 Leiter des Southern Literary 
Messenger in Richmond. 1836 verheiratet mit seiner Cousine Virginia 
Clemm. Er schrieb. --[1] Er lebte abwechselnd in New-Jork, 
Philadelphia, Richmond, Fordham. Es ging ihm sehr schlecht. +,Er 
soff'+ (sagt Griswold). +,Er trank gar nicht'+ (sagt Ingram). Er starb 
am 7. Oktober im Armenkrankenhaus zu Baltimore, vierzig Jahre alt.« 
So, das wären diese allergleichgültigsten Daten. Nun kann ich auch das 
vergessen. 
-- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- 
-- -- -- -- -- -- -- -- -- 
-- Wie schwer das doch ist! -- Ganz langsam gehe ich durch die 
Ulmenallee, hinauf zu dem Königsschloss. Links biege ich ein und 
durchschreite die mächtige Turmpforte des Gesetzes. Ich freue mich 
über die Hand da oben, die den bösen Blick bannt; ich denke: da 
werden meine Pfaffen draussen bleiben. Nun bin ich oben -- -- allein in 
den vertrauten Räumen. 
Ich weiss wohl, wohin ich will. Rasch durch den Myrtenhof, durch den 
Saal der Mocaraben in den Hof der zwölf Löwen. Links hinein in das 
Zimmer der beiden Schwestern und durch das der Ajimeces. Nun bin 
ich da, im Mirador de Daraxa, wo Boabdils Mutter 'Aicha wohnte. Ich 
sitze am Fenster, blicke hinaus auf die alten Zypressen -- -- 
Wie schwer es doch ist, zu vergessen! Da gehen meine Pfaffen im 
Garten spazieren. Zwei englische Heuchler, runder Hut, kurze Pfeife, 
schwarzer Rock. Den Bädeker in der Hand. 
»Er soff!« zischt der eine.
»O nein, er trank wirklich nicht!« fistelt der andere. 
Ich möchte sie mit den Köpfen zusammenstossen! Ich möchte ihnen 
zuschreien: »Fort, Ratten, fort! Hier sitzt einer, der träumt von dem 
Künstler, den er liebt! Er sang in eurer Sprache -- -- und ihr Stöcke 
wisst nichts von ihm!« -- 
Sie gehen ja schon, gewiss doch! Ich bin wieder allein -- -- 
* * * 
Er soff -- -- er soff nicht! -- So streiten Engländer über ihre Dichter! Sie 
lassen Milton verhungern, sie stehlen Shakespeare sein ganzes 
Lebenswerk, sie wühlen mit krummen Fingern in Byrons und Shelleys 
Familiengeschichten, sie begeifern    
    
		
	
	
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