Gott segnete 
unsre Liebe nicht, wir hatten keine Kinder. Als ich ihm meine Trauer 
hierüber einst sehr lebhaft mitteilte, ward er finster und sprach: ›So 
Gott will und mir nicht alles mißlingt, wird uns auch diese Freude 
werden.‹ An einem Abend kam er spät nach Hause, er war 
ungewöhnlich froh und gestand mir, daß er heute mit einem sehr tief 
eingeweihten Adepten sich unterhalten habe, der einen lebhaften Anteil 
an ihm und mir zu nehmen scheinen und unsre Wünsche würden bald 
erfüllt werden. Ich verstand ihn nicht.
Nach Mitternacht erwachte ich durch ein Geräusch; ich sah meine 
ganze Stube voll fliegender, leuchtender Johanniskäfer; ich konnte 
nicht begreifen, wie die Menge dieser Insekten in meine Stube 
gekommen sei; ich erweckte meinen Mann und fragte ihn, was das nur 
zu bedeuten habe. Zugleich sah ich auf meinem Nachttische ein 
prächtiges venetianisches Glas voll der schönsten Blumen stehen und 
daneben neue seidene Strümpfe, Pariser Schuhe, wohlriechende 
Handschuhe, Bänder und dergleichen liegen. Mir fiel ein, daß morgen 
mein Geburtstag sei, und glaubte, mein Mann habe mir diese Galanterie 
gemacht, wofür ich ihm herzlich dankte. Er aber versicherte mir mit 
den heiligsten Schwüren, daß diese Geschenke nicht von ihm 
herrührten, und die heftigste Eifersucht faßte zum erstenmal in ihm 
Wurzel. Er drang bald auf die rührendste und dann wieder heftigste 
Weise in mich, ihm zu erklären, wer diese Dinge hierher gebracht; ich 
weinte und konnte es ihm nicht sagen. Aber er glaubte mir nicht, befahl 
mir aufzustehen, und ich mußte mit ihm das ganze Haus durchsuchen, 
aber wir fanden niemand. Er begehrte die Schlüssel meines 
Schreibepultes, er durchsuchte alle meine Papiere und Briefschaften, er 
entdeckte nichts. Der Tag brach an, ich verzweifelte in Tränen. Mein 
Mann verließ mich sehr unmutig und begab sich nach seinem 
Laboratorium. Ermüdet legte ich mich wieder zu Bett und dachte unter 
bittern Tränen über den nächtlichen Vorfall nach; ich konnte mir auch 
gar nicht einbilden, wer den Handel könne angestellt haben, und 
verwünschte, indem ich mich selbst in einem Spiegel sah, der meinem 
Bette gegenüberstand, meine unglückliche Schönheit; ja, ich streckte 
gegen mich selbst, vor innerem Ekel, die Zunge heraus; aber leider 
blieb ich schön, ich mochte Gesichter schneiden, wie ich wollte. Da sah 
ich in dem Spiegel, aus einem der neuen Schuhe, die auf dem 
Nachttische standen, ein Papier hervorsehen. Ich griff hastig darnach 
und las unter heftiger Bestürzung folgendes Billett: 
 
Geliebte Amelie! Mein Unglück ist größer als je; Dich mußte ich 
meiden bis jetzt, und nun muß ich auch das Land fliehen, in dem Du 
lebst; ich habe in meiner Garnison einen Offizier im Duelle erstochen, 
der sich Deiner Begünstigung rühmte; man verfolgt mich, ich bin hier 
in verstellter Kleidung. Morgen ist Dein Geburtstag; ich muß Dich
sehen, zum letzten Male sehen. Heute abend vor dem Tore findest Du 
mich in dem kleinen Wäldchen, unter den Nußbäumen, etwa hundert 
Schritte vom Wege, bei der kleinen Kapelle rechts. Wenn Du mir 
einiges Geld zu meiner Hülfe mitbringen kannst, so wird Dir es Gott 
vergelten. Ich Tor habe es nicht unterlassen können, die letzten 
wenigen Louisdore meines Vermögens an das kleine 
Geburtstagsgeschenk zu verwenden, das Du vor Dir siehst. Wie Du es 
erhalten, und was ich dabei gelitten, sollst Du selbst von mir hören. 
Schweigen mußt Du, kommen mußt Du, oder meine Leiche wird 
morgen in Deine Wohnung gebracht. 
Dein unglücklicher Ludewig. 
 
Ich las diese Zeilen mit der heftigsten Trauer; ich mußte ihn sehen, ich 
mußte ihn trösten, ich mußte ihm alles bringen, was ich hatte, denn ich 
liebte ihn unaussprechlich und sollte ihn auf ewig verlieren." 
Hier schüttelte der Bürgermeister lächelnd den Kopf und sprach: "So 
haben Sie also doch, meine Dame, für einen fremden Mann Zärtlichkeit 
empfunden?" 
Die Fremde erwiderte mit einem ruhigen Selbstgefühl: "Ja, mein Herr; 
aber verdammen Sie mich nicht zu früh, und hören Sie meine 
Erzählung ruhig aus. Ich raffte den ganzen Tag alles, was ich an Geld 
und Geschmeide hatte, zusammen und packte es in einen Bündel, den 
ich mir gegen Abend von unserer Magd nach einem Badehaus in der 
Gegend jenes Tores, vor welchem Ludewig mich erwarten sollte, 
tragen ließ. Dieser Weg hatte nichts Auffallendes, ich war ihn oft 
gegangen. Als wir dort angekommen waren, sendete ich meine Magd 
mit dem Auftrage zurück, mir um neun Uhr einen Wagen an das 
Badehaus zu senden, der mich nach Hause bringen solle. Sie verließ 
mich, ich aber ging nicht in das Badehaus, sondern begab mich mit 
meinem Bündelchen unter dem Arm vor das Tor nach dem Walde, wo 
ich erwartet wurde. Ich eilte nach dem bestimmten Orte, ich trat in die 
Kapelle, er flog in meine Arme, wir bedeckten uns mit Küssen, wir 
zerflossen in Tränen; auf den Stufen des Altares der kleinen Kapelle,
die von Nußbäumen beschattet waren, saßen wir mit verschlungenen 
Armen und erzählten uns unter den zärtlichsten Liebkosungen unsre 
bisherigen Schicksale. Er verzweifelte    
    
		
	
	
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