Sie übergab ihre Papiere, die in der besten Ordnung 
waren und ihr den Namen der Witwe des Apothekers Pierre du Pont 
oder Petrus Pontanus gaben. Auch zeigte sie dem Bürgermeister 
mancherlei Atteste der medizinischen Fakultät von Montpellier, daß sie 
im Besitz der Fabrikationsrezepte vieler trefflicher Arzeneien sei. 
Der Bürgermeister versprach ihr alle mögliche Unterstützung bei ihrer 
Niederlassung und bat sie, ihm in sein Arbeitszimmer zu folgen, wo er 
ihr Empfehlungen an einige Ärzte und Apotheker der Stadt schreiben 
wollte. Als er nun die Frau die Treppe hinauf führte und oben über den 
Flur weg, kam dieselbe bei dem Anblick eines kindischen Gemäldes in 
eine solche Bestürzung, daß der Bürgermeister fürchtete, sie möchte an 
seinem Arme ohnmächtig werden; er brachte sie schnell auf seine 
Stube, und sie ließ sich unter bittern Tränen auf einen Stuhl nieder. 
Der Bürgermeister wußte die Veranlassung ihrer Gemütsbewegung 
nicht und fragte sie, was ihr fehle. Sie sagte ihm: "Mein Herr, woher 
kennen Sie mein Elend, wer hat das Bild an die Stubentüre geheftet, an
welcher wir vorübergingen?" Da erinnerte sich der Bürgermeister an 
das Bild und sagte ihr, daß es die Spielerei seines jüngsten Sohnes sei, 
welcher eine Neigung habe, alle Ereignisse, die ihn näher interessierten, 
in solchen Malereien auf seine Art zu verewigen. Das Bild aber bestand 
darin, daß der Knabe, welcher das Jahr vorher den Alchimisten kniend 
und die Hände ringend in dieser Stube: "Ah, mon Dieu, mon Dieu!" 
hatte ausrufen hören, diesen in derselben Stellung und über ihn drei 
Nüsse mit dem Spruche: "Unica nux prodest, nocet altera, tertia mors 
est!" auf eine Pappe gemalt und an die Stubentüre, wo der Alchimist 
gewohnt, befestigt hatte. 
"Wie kann Ihr Sohn das schreckliche Unglück meines Mannes 
wissen?" sagte die Frau; "wie kann er wissen, was ich ewig verbergen 
möchte, und weswegen ich mein Vaterland verlassen habe?" 
"Ihres Mannes?" erwiderte der verwunderte Bürgermeister; "ist der 
Chemiker Todénus Ihr Mann? Ich glaubte nach Ihrem Passe, daß Sie 
die Witwe des Apothekers Pierre du Pont aus Lyon seien." 
"Die bin ich", entgegnete die Fremde, "und der Abgebildete ist mein 
Mann, du Pont; mir zeigt es die Stellung, in welcher ich ihn zuletzt 
gesehen, mir zeigt es der fatale Spruch und die Nüsse über ihm." 
Nun erzählte ihr der Bürgermeister den ganzen Vorfall mit dem 
Alchimisten in seinem Hause und fragte sie, wie er sich befinde, wenn 
er wirklich ihr Mann sei, der vielleicht unter fremdem Namen bei ihm 
gewesen wäre. 
"Mein Herr", erwiderte die Frau, "ich sehe wohl, das Schicksal selbst 
will, daß meine Schmach nicht soll verborgen bleiben; ich erwarte von 
Ihrer Rechtschaffenheit, daß Sie mein Unglück nicht zu meinem 
Nachteil bekanntmachen werden. Hören Sie mich an. Mein Mann, der 
Apotheker Pierre du Pont, war wohlhabend; er würde reich gewesen 
sein, wenn er nicht durch seine Neigung zur Alchimie vieles Geld 
verschwendet hätte. Ich war jung und hatte das große Unglück, sehr 
schön zu sein. Ach, mein Herr, es gibt schier kein größeres Unglück als 
dieses, weil keine Ruhe, kein Friede möglich ist, weil alles nach einem 
verlangt und verzweifelt und man in solche Bedrängnisse und
Belagerungen kömmt, daß man sich manchmal gar, nur um des 
ekelhaften Götzendienstes los zu werden, dem Verderben hingeben 
könnte. Eitel war ich nicht, nur unglücklich; denn ich mochte mich 
auch absichtlich schlecht und entstellend kleiden, so wurde doch immer 
eine neue Mode daraus, und man fand es allerliebst. Wo ich ging und 
stand, war ich von Verehrern umgeben, ich konnte vor Serenaden nicht 
schlafen, mußte einen Diener halten, die Geschenke und Liebesbriefe 
abzuweisen, und alle Augenblick mein Gesinde abschaffen, weil es 
bestochen war, mich zu verführen. Zwei Diener in der Apotheke 
meines Mannes vergifteten einander, weil ein jeder von ihnen entdeckt 
hatte, daß der andere ein Edelmann sei, der aus Leidenschaft zu mir 
unter fremdem Namen in unsre Dienste gegangen war. Alle Leute, die 
in unsrer Offizin Arznei holten, waren dadurch schon im Verdacht, 
liebeskrank zu sein. Ich hatte von allem diesem nichts als Unruhe und 
Elend, und nur die Freude meines Mannes an meiner Gestalt hielt mich 
ab, mich an meiner Larve zu vergreifen und mich auf irgendeine Weise 
zu entstellen. Oft fragte ich ihn, ob er denn an meinem Herzen und 
guten Willen nicht genug habe; er möchte mir doch erlauben, mein 
Gesicht, das so vieles Unheil stifte, durch irgendein beizendes Mittel zu 
verderben. Aber er erwiderte mir immer: ›Schöne Amelie! Ich würde 
verzweifeln, wenn ich dich nicht mehr ansehen könnte; ich würde der 
unglücklichste Mensch sein, wenn ich den ganzen Tag in meinem 
rußigen Laboratorium vergebens geschwitzt habe und meine Augen 
abends nicht mehr an deinem Anblick erquicken könnte. Du bist der 
einzige klare Punkt in meiner finstern Bestimmung, und wenn ich alle 
meine Hoffnung habe nach schwerem Tagewerk zum Rauchfang 
hinausfliegen sehen, tritt mir alle meine Hoffnung am Abend in deiner 
Schönheit wieder entgegen.‹ Er liebte mich zärtlich, aber    
    
		
	
	
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