Die Stufe | Page 8

Franziska Mann
Kraft nicht mehr so stark,
wie am Beginn, um Dich dieser Gefahr entreißen zu können. An
Unwandelbares dachte ich ja niemals, Du weißt es; vielleicht aber
begeht Kälte größere Sünden als Leidenschaft. Ich fange an, die
Hoffnung aufzugeben, wir Menschen könnten dieses unübersehbar tiefe
Gefühlsfeld je auch nur annähernd richtig ergründen. --
Gestern sollte ich Dir erklären, wie es möglich gewesen, daß keine
Lebensverwundung mir mein Lächeln nehmen konnte. Natur -- die
eigene -- und Geschick waren meine Helfer. Mir ging es genau wie
jener Greisin, von der ich Dir jetzt erzählen will. Sie saß träumend auf
einem Stein an blühendem Feldwege, als ein Sonnenstrahl sie fragte:
»Wann habe ich Dich doch zum ersten Male beobachtet? Ja, ja, ich
erinnere mich, damals, als Dir kein Baum zu hoch war,
hinaufzuklettern; Du warst eben in die Schule geschickt und konntest
das Stillsitzen nicht leicht lernen.« --
»Ja, damals,« lächelte die Alte --
»Und weißt Du, wann ich Dich wiedergesehen habe? Dir flogen lange
Locken um den Nacken und Arm in Arm wandeltest Du mit »ihm«
durch blumige Wiesen« --

»Ja, damals,« wiederholte die Alte --
»Und später sah ich Dich, als Du beseligt ein Kindchen durch Deinen
Garten trugst -- als Du wähntest, Mutterglück mache unverwundbar« --
»Ja, damals.«
»Und wieder strahlte ich Dich an, als Du Dich um eine Schar armer,
verwahrloster Menschen bemühtest« --
»Ja, damals,« lächelte gütig die Greisin --
»Und einige Jahre später sah ich Dich, da gingst Du schon nicht mehr
ganz so aufrecht, und deutlich zeigten sich graue Haare« --
»Ja, damals,« lächelte die Alte --
»Und dann begegnete ich Dir mehrmals auf Friedhöfen« --
»Ja, damals,« wiederholte versonnen die Alte --
»Und nun scheine ich schon lange über Deinen schneeigen Scheitel,
und längst hast Du das Tanzen verlernt, und viel hast Du zurückgeben
müssen von dem, was Dein war an Glauben und Glück, und fast immer
finde ich Dich allein, aber noch hast Du Licht in den Augen. Sage mir,
Alte, worüber kannst Du noch lächeln? Andere, wenn sie in Deine
Jahre gekommen sind, klagen und seufzen. Du jedoch, deren Antwort
immer nur ein »damals, ja damals« war, Du lächelst --?«
»Das wundert Dich, Strahl, der Du das Licht zu sein glaubst? Fühlst Du
denn nicht, daß jedes »damals« von einem Besitz -- einer Wonne --
einer Seligkeit -- einem Vertrauen -- einem Glauben -- einer Stärke
zeugt? Und ich sollte nicht lächeln, so oft ich mich sinnend wieder in
all diesen Reichtum verliere? Aber nicht nur Erinnerung ist's, aus der
mein Lächeln geboren wird: Solange auch nur ein Wesen zu mir gehört,
um das ich mich sorgen darf, solange ich zu erkennen vermag, daß
Kämpfer leben, die sich bemühen, die Welt gesünder und die
Menschen größer zu machen, solange kann mein Lächeln nicht sterben

-- -- --«
Roland, lieber Junge, ist diese Alte nicht meine Blutsverwandte?
Kämpfe auch Du mit all Deines Herzens Glut und Kraft immer von
neuem für die Menschheit, ganz besonders dann, wenn Du Dich von
eigener Mühseligkeit und Belastung befreien willst. Die Verteilung der
Güter ist gar nicht so ungerecht, als sie vielen bei nur oberflächlicher
Betrachtung erscheint; denn -- nur ein Beispiel: Wessen wäre die
Schuld gewesen, -- oder wie immer ich die Unterlassung nennen sollte
-- wenn Du Dich weiter mit schwacher, wesenloser Sehnsucht
beschieden hättest? --
Komm so früh Du kannst; ich warte.
Maria.

Roland an Maria.
Einzige, ich weiß nicht, ob Du auch das verstehen wirst: Mit der
Leidenschaft für Dich ist der Glaube zusammengeschmiedet, irgend
etwas vollbringen zu müssen. Stelle ich mir vor, wieviel Jahre ich ohne
Dich sein konnte -- ich sage nicht leben konnte -- so fasse ich es
allenfalls. Man kann ja auch in der Dürre ein Dasein fristen; toben aber
möchte ich darüber, daß es mir an Denkmut gebrach, mir ein einziges
Tor aufzustoßen. Für jeden ist doch sein Tor da, nur aufzureißen muß
er es verstehen. Dieser Lahmheit schäme ich mich vor mir selbst am
meisten. Welch ein Schwächling war ich! Kaum etwas wie Träume
hatte ich noch zu begraben! Hin und wieder, ganz selten, während ich
mechanisch einige Augenblicke auf die vielen Zahlenreihen vor mir
starrte, streifte mich flüchtig die Vorstellung: gleichgiltig -- gleichgiltig
-- einmal wird es kommen. Aber nichts tat ich, dieses »einmal« in
meinem Bewußtsein wenigstens zu klären. --
Vergiß nicht, Maria, auch wenn ich von mir spreche, spreche ich
eigentlich von Dir. In meiner Brust muß »es« doch gewesen sein,
weshalb konnte ich es nicht allein aus den Schalen schlagen, in die es

sich verkapselt hatte? Wie konnte ich mich so gelassen in die trostlosen
Willkürlichkeiten des Alltags finden?
Kunst! Kunst! Mit welchem Recht weise ich die Vorstellung nicht
mehr wie Einfältigkeit oder Wahnsinn von mir, daß sie mich an sich
bannen will, daß ich auf meine Weise eine Sekunde lang in die Zeit
einzugreifen habe?
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