kleinen Wohlständchen lebte, ruhig und ohne 
Sorgen; denn sie hatten ja einen tüchtigen Esser weniger und brauchten 
für sich fast gar nichts. 
Da war es einst ein heller schöner Sommernachmittag, mitten in der 
Woche, wo man so an gar nichts denkt und die Leute in den kleinen 
Städten fleißig arbeiten. Der Glanz von Seldwyla befand sich sämtlich 
mit dem Sonnenschein auf den übergrünten Kegelbahnen vor dem Tore 
oder auch in kühlen Schenkstuben in der Stadt. Die Falliten und Alten 
aber hämmerten, näheten, schusterten, klebten, schnitzelten und 
bastelten gar emsig darauf los, um den langen Tag zu benutzen und 
einen vergnügten Abend zu erwerben, den sie nunmehr zu würdigen 
verstanden. Auf dem kleinen Platze, wo die Witwe wohnte, war nichts 
als die stille Sommersonne auf dem begrasten Pflaster zu sehen; an den
offenen Fenstern aber arbeiteten ringsum die alten Leute und spielten 
die Kinder. Hinter einem blühenden Rosmaringärtchen auf einem 
Brette saß die Witwe und spann, und ihr gegenüber Estherchen und 
nähete. Es waren schon einige Stunden seit dem Essen verflossen und 
noch hatte niemand eine Zwiesprache gehalten von der ganzen 
Nachbarschaft. Da fand der Schuhmacher wahrscheinlich, daß es Zeit 
sei, eine kleine Erholungspause zu eröffnen, und nieste so laut und 
mutwillig: Hupschi! daß alle Fenster zitterten und der Buchbinder 
gegenüber, der eigentlich kein Buchbinder war, sondern nur so aus dem 
Stegreif allerhand Pappkästchen zusammenleimte und an der Türe ein 
verwittertes Glaskästchen hängen hatte, in welchem eine Stange 
Siegellack an der Sonne krumm wurde, dieser Buchbinder rief: Zur 
Gesundheit! und alle Nachbarsleute lachten. Einer nach dem andern 
steckte den Kopf durch das Fenster, einige traten sogar vor die Türe 
und gaben sich Prisen, und so war das Zeichen gegeben zu einer 
kleinen Nachmittagsunterhaltung und zu einem fröhlichen Gelächter 
während des Vesperkaffees, der schon aus allen Häusern duftete und 
zichorierte. Diese hatten endlich gelernt, sich aus wenigem einen Spaß 
zu machen. Da kam in dies Vergnügen herein ein fremder Leiermann 
mit einem schönpolierten Orgelkasten, was in der Schweiz eine 
ziemliche Seltenheit ist, da sie keine eingeborenen Leiermänner besitzt. 
Er spielte ein sehnsüchtiges Lied von der Ferne und ihren Dingen, 
welches die Leute über die Maßen schön dünkte und besonders der 
Witwe Tränen entlockte, da sie ihres Pankräzchens gedachte, das nun 
schon viele Jahre verschwunden war. Der Schuhmacher gab dem 
Manne einen Kreuzer, er zog ab und das Plätzchen wurde wieder still. 
Aber nicht lange nachher kam ein anderer Herumtreiber mit einem 
großen fremden Vogel in einem Käfig, den er unaufhörlich zwischen 
dem Gitter durch mit einem Stäbchen anstach und erklärte, so daß der 
traurige Vogel keine Ruhe hatte. Es war ein Adler aus Amerika; und 
die fernen blauesten Länder, über denen er in seiner Freiheit geschwebt, 
kamen der Witwe in den Sinn und machten sie um so trauriger, als sie 
gar nicht wußte, was das für Länder wären, noch wo ihr Söhnchen sei. 
Um den Vogel zu sehen, hatten die Nachbarn auf das Plätzchen 
hinaustreten müssen, und als er nun fort war, bildeten sie eine Gruppe, 
steckten die Nasen in die Luft und lauerten auf noch mehr 
Merkwürdigkeiten, da sie nun doch die Lust ankam, den übrigen Tag
zu vertrödeln. 
Diese Lust wurde denn auch erfüllt und es dauerte nicht lange, bis das 
allergrößte Spektakel sich mit großem Lärm näherte unter dem Zulauf 
aller Kinder des Städtchens. Denn ein mächtiges Kamel schwankte auf 
den Platz, von mehreren Affen bewohnt; ein großer Bär wurde an 
seinem Nasenringe herbeigeführt; zwei oder drei Männer waren dabei, 
kurz ein ganzer Bärentanz führte sich auf und der Bär tanzte und 
machte seine possierlichen Künste, indem er von Zeit zu Zeit unwirsch 
brummte, daß die friedlichen Leute sich fürchteten und in scheuer 
Entfernung dem wilden Wesen zuschauten. Estherchen lachte und 
freute sich unbändig über den Bären, wie er so zierlich 
umherwatschelte mit seinem Stecken, über das Kamel mit seinem 
selbstvergnügten Gesicht und über die Affen. Die Mutter dagegen 
mußte fortwährend weinen; denn der böse Bär erbarmte sie, und sie 
mußte wiederum ihres verschollenen Sohnes gedenken. 
Als endlich auch dieser Aufzug wieder verschwunden und es wieder 
still geworden, indem die aufgeregten Nachbarn sich mit seinem 
Gefolge ebenfalls aus dem Staube gemacht, um da oder dort zu einem 
Abendschöppchen unterzukommen, sagte Estherchen: „Mir ist es nun 
zumute, als ob der Pankraz ganz gewiß heute noch kommen würde, da 
schon so viele unerwartete Dinge geschehen und solche Kamele, Affen 
und Bären dagewesen sind!" Die Mutter ward böse darüber, daß sie den 
armen Pankraz mit diesen Bestien sozusagen zusammenzählte und 
auslachte, und hieß sie schweigen, nicht innewerdend, daß sie ja selbst 
das gleiche getan in ihren Gedanken. Dann sagte sie seufzend: „Ich 
werde es nicht erleben, daß er wiederkommt!" 
Indem sie dies sagte, begab sich die größte Merkwürdigkeit dieses 
Tages und ein offener Reisewagen mit einem Extrapostillion fuhr mit 
Macht auf das stille Plätzchen, das von der Abendsonne noch halb 
bestreift war. In dem    
    
		
	
	
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