Bruder 
dem widersetzte und ebenso künstliche Dämme aufbaute und überall 
verstopfte, wo sich ein verdächtiges Loch zeigen wollte, so wußte sie 
doch immer wieder eine geheime Ader des Breies zu eröffnen oder 
langte kurzweg in offenem Friedensbruch mit ihrem Löffel und mit 
lachenden Augen in des Bruders gefüllte Grube. Alsdann warf er den 
Löffel weg, lamentierte und schmollte, bis die gute Mutter die Schüssel 
zur Seite neigte und ihre eigene Brühe voll in das Labyrinth der Kanäle 
und Dämme ihrer Kinder strömen ließ. So lebte die kleine Familie 
einen Tag wie den andern, und indem dies immer so blieb, während 
doch die Kinder sich auswuchsen, ohne daß sich eine günstige 
Gelegenheit zeigte, die Welt zu erfassen und irgend etwas zu werden, 
fühlten sich alle immer unbehaglicher und kümmerlicher in ihrem 
Zusammensein. Pankraz, der Sohn, tat und lernte fortwährend nichts, 
als eine sehr ausgebildete und künstliche Art zu schmollen, mit welcher 
er seine Mutter, seine Schwester und sich selbst quälte. Es ward dies 
eine ordentliche und interessante Beschäftigung für ihn, bei welcher er 
die müßigen Seelenkräfte fleißig übte im Erfinden von hundert kleinen 
häuslichen Trauerspielen, die er veranlaßte und in welchen er behende
und meisterlich den steten Unrechtleider zu spielen wußte. Estherchen, 
die Schwester, wurde dadurch zu reichlichem Weinen gebracht, durch 
welches aber die Sonne ihrer Heiterkeit schnell wieder hervorstrahlte. 
Diese Oberflächlichkeit ärgerte und kränkte dann den Pankraz so, daß 
er immer längere Zeiträume hindurch schmollte und aus 
selbstgeschaffenem Ärger selbst heimlich weinte. 
Doch nahm er bei dieser Lebensart merklich zu an Gesundheit und 
Kräften, und als er diese in seinen Gliedern anwachsen fühlte, 
erweiterte er seinen Wirkungskreis und strich mit einer tüchtigen 
Baumwurzel oder einem Besenstiel in der Hand durch Feld und Wald, 
um zu sehen, wie er irgendwo ein tüchtiges Unrecht auftreiben und 
erleiden könne. Sobald sich ein solches zur Not dargestellt und 
entwickelt, prügelte er unverweilt seine Widersacher auf das 
jämmerlichste durch, und er erwarb sich und bewies in dieser seltsamen 
Tätigkeit eine solche Gewandtheit, Energie und feine Taktik, sowohl 
im Ausspüren und Aufbringen des Feindes, als im Kampfe, daß er 
sowohl einzelne ihm an Stärke weit überlegene Jünglinge als ganze 
Trupps derselben entweder besiegte, oder wenigstens einen 
ungestraften Rückzug ausführte. 
War er von einem solchen wohlgelungenen Abenteuer 
zurückgekommen, so schmeckte ihm das Essen doppelt gut und die 
Seinigen erfreuten sich dann einer heitern Stimmung. Eines Tages aber 
war es ihm doch begegnet, daß er, statt welche auszuteilen, 
beträchtliche Schläge selbst geerntet hatte, und als er voll Scham, 
Verdruß und Wut nach Hause kam, hatte Estherchen, welche den 
ganzen Tag gesponnen, dem Gelüste nicht widerstehen können und 
sich noch einmal über das für Pankraz aufgehobene Essen hergemacht 
und davon einen Teil gegessen, und zwar, wie es ihm vorkam, den 
besten. Traurig und wehmütig, mit kaum verhaltenen Tränen in den 
Augen, besah er das unansehnliche, kaltgewordene Restchen, während 
die schlimme Schwester, welche schon wieder am Spinnrädchen saß, 
unmäßig lachte. Das war zu viel und nun mußte etwas Gründliches 
geschehen. Ohne zu essen, ging Pankraz hungrig in seine Kammer, und 
als ihn am Morgen seine Mutter wecken wollte, daß er doch zum 
Frühstück käme, war er verschwunden und nirgends zu finden. Der Tag 
verging, ohne daß er kam, und ebenso der zweite und dritte Tag. Die 
Mutter und Estherchen gerieten in große Angst und Not; sie sahen wohl,
daß er vorsätzlich davongegangen, indem er seine Habseligkeiten 
mitgenommen. Sie weinten und klagten unaufhörlich, wenn alle 
Bemühungen fruchtlos blieben, eine Spur von ihm zu entdecken, und 
als nach Verlauf eines halben Jahres Pankrazius verschwunden war und 
blieb, ergaben sie sich mit trauriger Seele in ihr Schicksal, das ihnen 
nun doppelt einsam und arm erschien. 
Wie lang wird nicht eine Woche, ja nur ein Tag, wenn man nicht weiß, 
wo diejenigen, die man liebt, jetzt stehn und gehn, wenn eine solche 
Stille darüber durch die Welt herrscht, hab allnirgends auch nur der 
leiseste Hauch von ihrem Namen ergeht, und man weiß doch, sie sind 
da und atmen irgendwo. 
So erging es der Mutter und dem Estherlein fünf Jahre, zehn Jahre und 
fünfzehn Jahre, einen Tag wie den andern, und sie wußten nicht, ob ihr 
Pankrazius tot oder lebendig sei. Das war ein langes und gründliches 
Schmollen, und Estherchen, welches eine schöne Jungfrau geworden, 
wurde darüber zu einer hübschen und feinen alten Jungfer, welche nicht 
nur aus Kindestreue bei der alternden Mutter blieb, sondern 
ebensowohl aus Neugierde, um ja in dem Augenblicke da zu sein, wo 
der Bruder sich endlich zeigen würde, und zu sehen, wie die Sache 
eigentlich verlaufe. Denn sie war guter Dinge und glaubte fest, daß er 
eines Tages wiederkäme und daß es dann etwas Rechtes auszulachen 
gäbe. Übrigens fiel es ihr nicht schwer, ledig zu bleiben, da sie klug 
war und wohl sah, wie bei den Seldwylern nicht viel dahintersteckte an 
dauerhaftem Lebensglücke und sie dagegen mit ihrer Mutter 
unveränderlich in einem    
    
		
	
	
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