Die Juden | Page 3

Gotthold Ephraim Lessing
der
Messe gewesen--ja! wenn ich an die Messe gedenke, so möchte ich
gleich die verdammten Juden alle auf einmal mit Gift vergeben, wenn
ich nur könnte. Dem einen hatten sie im Gedränge das Schnupftuch,
dem andern die Tobaksdose, dem dritten die Uhr, und ich weiß nicht
was sonst mehr, wegstibitzt. Geschwind sind sie, ochsenmäßig
geschwind, wenn es aufs Stehlen ankömmt. So behende, als unser
Schulmeister nimmermehr auf der Orgel ist. Zum Exempel, mein Herr:
Erstlich drängen sie sich an einen heran, so wie ich mich ungefähr jetzt
an Sie--
Der Reisende. Nur ein wenig höflicher, mein Freund!--
Martin Krumm. Oh! lassen Sie sich's doch nur weisen. Wenn sie nun so
stehen,--sehen Sie,--wie der Blitz sind sie mit der Hand nach der
Uhrtasche. (Er fährt mit der Hand, anstatt nach der Uhr, in die
Rocktasche, und nimmt ihm seine Tobaksdose heraus.) Das können sie
nun aber alles so geschickt machen, daß man schwören sollte, sie
führen mit der Hand dahin, wenn sie dorthin fahren. Wenn sie von der
Tobaksdose reden, so zielen sie gewiß nach der Uhr, und wenn sie von
der Uhr reden, so haben sie gewiß die Tobaksdose zu stehlen im Sinne.
(Er will ganz sauber nach der Uhr greifen, wird aber ertappt.)
Der Reisende. Sachte! sachte! Was hat Eure Hand hier zu suchen?

Martin Krumm. Da können Sie sehn, mein Herr, was ich für ein
ungeschickter Spitzbube sein würde. Wenn ein Jude schon so einen
Griff getan hätte, so wäre es gewiß um die gute Uhr geschehn
gewesen--Doch weil ich sehe, daß ich Ihnen beschwerlich falle, so
nehme ich mir die Freiheit, mich Ihnen bestens zu empfehlen, und
verbleibe zeitlebens für Dero erwiesene Wohltaten, meines
hochzuehrenden Herrn gehorsamster Diener, Martin Krumm,
wohlbestallter Vogt auf diesem hochadeligen Rittergute.
Der Reisende. Geht nur, geht.
Martin Krumm. Erinnern Sie sich ja, was ich Ihnen von den Juden
gesagt habe. Es ist lauter gottloses diebisches Volk.

Dritter Auftritt
Der Reisende.
Der Reisende. Vielleicht ist dieser Kerl, so dumm er ist, oder sich stellt,
ein boshafterer Schelm, als je einer unter den Juden gewesen ist. Wenn
ein Jude betrügt, so hat ihn, unter neun Malen, der Christ vielleicht
siebenmal dazu genötiget. Ich zweifle, ob viel Christen sich rühmen
können, mit einem Juden aufrichtig verfahren zu sein: und sie wundern
sich, wenn er ihnen Gleiches mit Gleichem zu vergelten sucht? Sollen
Treu' und Redlichkeit unter zwei Völkerschaften herrschen, so müssen
beide gleich viel dazu beitragen. Wie aber, wenn es bei der einen ein
Religionspunkt und beinahe ein verdienstliches Werk wäre, die andre
zu verfolgen? Doch--

Vierter Auftritt
Der Reisende. Christoph.
Der Reisende. Daß man Euch doch allezeit eine Stunde suchen muß,
wenn man Euch haben will.
Christoph. Sie scherzen, mein Herr. Nicht wahr, ich kann nicht mehr,
als an einem Orte zugleich sein? Ist es also meine Schuld, daß Sie sich
nicht an diesen Ort begeben? Gewiß Sie finden mich allezeit da, wo ich
bin.
Der Reisende. So? und Ihr taumelt gar? Nun begreif ich, warum Ihr so
sinnreich seid. Müßt Ihr Euch denn schon frühmorgens besaufen?
Christoph. Sie reden von Besaufen, und ich habe kaum zu trinken

angefangen. Ein paar Flaschen guten Landwein, ein paar Gläser
Branntwein, und eine Mundsemmel ausgenommen, habe ich, so wahr
ich ein ehrlicher Mann bin, nicht das geringste zu mir genommen. Ich
bin noch ganz nüchtern.
Der Reisende. Oh! das sieht man Euch an. Und ich rate Euch, als ein
Freund, die Portion zu verdoppeln.
Christoph. Vortrefflicher Rat! Ich werde nicht unterlassen, ihn, nach
meiner Schuldigkeit, als einen Befehl anzusehen. Ich gehe, und Sie
sollen sehen, wie gehorsam ich zu sein weiß.
Der Reisende. Seid klug! Ihr könnt dafür gehn, und die Pferde satteln
und aufpacken. Ich will noch diesen Vormittag fort.
Christoph. Wenn Sie mir im Scherze geraten haben, ein doppeltes
Frühstück zu nehmen, wie kann ich mir einbilden, daß Sie jetzt im
Ernste reden? Sie scheinen sich heute mit mir erlustigen zu wollen.
Macht Sie etwa das junge Fräulein so aufgeräumt? Oh! es ist ein
allerliebstes Kind.--Nur noch ein wenig älter, ein klein wenig älter
sollte sie sein. Nicht wahr, mein Herr? wenn das Frauenzimmer nicht
zu einer gewissen Reife gelangt ist,--
Der Reisende. Geht, und tut, was ich Euch befohlen habe.
Christoph. Sie werden ernsthaft. Nichtsdestoweniger werde ich warten,
bis Sie mir es das drittemal befehlen. Der Punkt ist zu wichtig! Sie
könnten sich übereilt haben. Und ich bin allezeit gewohnt gewesen,
meinen Herren Bedenkzeit zu gönnen. Überlegen Sie es wohl, einen
Ort, wo wir fast auf den Händen getragen werden, so zeitig wieder zu
verlassen? Gestern sind wir erst gekommen. Wir haben uns um den
Herrn unendlich verdient gemacht, und gleichwohl bei ihm kaum eine
Abendmahlzeit und ein Frühstück genossen.
Der Reisende. Eure Grobheit ist unerträglich. Wenn man sich zu dienen
entschließt, sollte man sich gewöhnen, weniger Umstände zu machen.
Christoph. Gut, mein Herr!
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