eines "Willens zum 
Untergang", zum Mindesten ein Zeichen tiefster Erkrankung, 
Müdigkeit, Missmuthigkeit, Erschöpfung, Verarmung an Leben, - denn 
vor der Moral (in Sonderheit christlichen, das heisst unbedingten Moral) 
muss das Leben beständig und unvermeidlich Unrecht bekommen, weil 
Leben etwas essentiell Unmoralisches ist, - muss endlich das Leben, 
erdrückt unter dem Gewichte der Verachtung und des ewigen Nein's, 
als begehrens-unwürdig, als unwerth an sich empfunden werden. Moral 
selbst - wie? sollte Moral nicht ein "Wille zur Verneinung des Lebens", 
ein heimlicher Instinkt der Vernichtung, ein Verfalls-, Verkleinerungs-, 
Verleumdungsprincip, ein Anfang vom Ende sein? Und, folglich, die 
Gefahr der Gefahren?... Gegen die Moral also kehrte sich damals, mit 
diesem fragwürdigen Buche, mein Instinkt, als ein fürsprechender 
Instinkt des Lebens, und erfand sich eine grundsätzliche Gegenlehre 
und Gegenwerthung des Lebens, eine rein artistische, eine 
antichristliche. Wie sie nennen? Als Philologe und Mensch der Worte 
taufte ich sie, nicht ohne einige Freiheit - denn wer wüsste den rechten 
Namen des Antichrist? - auf den Namen eines griechischen Gottes: ich 
hiess sie die dionysische. - 
6. 
Man versteht, an welche Aufgabe ich bereits mit diesem Buche zu 
rühren wagte?... Wie sehr bedauere ich es jetzt, dass ich damals noch 
nicht den Muth (oder die Unbescheidenheit?) hatte, um mir in jedem 
Betrachte für so eigne Anschauungen und Wagnisse auch eine eigne 
Sprache zu erlauben, - dass ich mühselig mit Schopenhauerischen und 
Kantischen Formeln fremde und neue Werthschätzungen auszudrücken 
suchte, welche dem Geiste Kantens und Schopenhauers, ebenso wie 
ihrem Geschmacke, von Grund aus entgegen giengen! Wie dachte doch 
Schopenhauer über die Tragödie? "Was allem Tragischen den
eigenthümlichen Schwung zur Erhebung giebt - sagt er, Welt als Wille 
und Vorstellung II, 495 - ist das Aufgehen der Erkenntniss, dass die 
Welt, das Leben kein rechtes Genügen geben könne, mithin unsrer 
Anhänglichkeit nicht werth sei: darin besteht der tragische Geist -, er 
leitet demnach zur Resignation hin". Oh wie anders redete Dionysos zu 
mir! Oh wie ferne war mir damals gerade dieser ganze 
Resignationismus! - Aber es giebt etwas viel Schlimmeres an dem 
Buche, das ich jetzt noch mehr bedauere, als mit Schopenhauerischen 
Formeln dionysische Ahnungen verdunkelt und verdorben zu haben: 
dass ich mir nämlich überhaupt das grandiose griechische Problem, wie 
mir es aufgegangen war, durch Einmischung der modernsten Dinge 
verdarb! Dass ich Hoffnungen anknüpfte, wo Nichts zu hoffen war, wo 
Alles allzudeutlich auf ein Ende hinwies! Dass ich, auf Grund der 
deutschen letzten Musik, vom "deutschen Wesen" zu fabeln begann, 
wie als ob es eben im Begriff sei, sich selbst zu entdecken und 
wiederzufinden - und das zu einer Zeit, wo der deutsche Geist, der 
nicht vor Langem noch den Willen zur Herrschaft über Europa, die 
Kraft zur Führung Europa's gehabt hatte, eben letztwillig und endgültig 
abdankte und, unter dem pomphaften Vorwande einer Reichs- 
Begründung, seinen Uebergang zur Vermittelmässigung, zur 
Demokratie und den "modernen Ideen" machte! In der That, 
inzwischen lernte ich hoffnungslos und schonungslos genug von 
diesem "deutschen Wesen" denken, insgleichen von der jetzigen 
deutschen Musik, als welche Romantik durch und durch ist und die 
ungriechischeste aller möglichen Kunstformen: überdies aber eine 
Nervenverderberin ersten Ranges, doppelt gefährlich, bei einem Volke, 
das den Trunk liebt und die Unklarheit als Tugend ehrt, nämlich in 
ihrer doppelten Eigenschaft als berauschendes und zugleich 
benebelndes Narkotikum. - Abseits freilich von allen übereilten 
Hoffnungen und fehlerhaften Nutzanwendungen auf Gegenwärtigstes, 
mit denen ich mir damals mein erstes Buch verdarb, bleibt das grosse 
dionysische Fragezeichen, wie es darin gesetzt ist, auch in Betreff der 
Musik, fort und fort bestehen: wie müsste eine Musik beschaffen sein, 
welche nicht mehr romantischen Ursprungs wäre, gleich der deutschen, 
- sondern dionysischen? . . . 
7.
- Aber, mein Herr, was in aller Welt ist Romantik, wenn nicht Ihr Buch 
Romantik ist? Lässt sich der tiefe Hass gegen "Jetztzeit", 
"Wirklichkeit" und "moderne Ideen" weiter treiben, als es in Ihrer 
Artisten-Metaphysik geschehen ist? - welche lieber noch an das Nichts, 
lieber noch an den Teufel, als an das "Jetzt" glaubt? Brummt nicht ein 
Grundbass von Zorn und Vernichtungslust unter aller Ihrer 
contrapunktischen Stimmen-Kunst und Ohren-Verführerei hinweg, eine 
wüthende Entschlossenheit gegen Alles, was "jetzt" ist, ein Wille, 
welcher nicht gar zu ferne vom praktischen Nihilismus ist und zu sagen 
scheint "lieber mag Nichts wahr sein, als dass ihr Recht hättet, als dass 
eure Wahrheit Recht behielte!" Hören Sie selbst, mein Herr Pessimist 
und Kunstvergöttlicher, mit aufgeschlossnerem Ohre eine einzige 
ausgewählte Stelle Ihres Buches an, jene nicht unberedte 
Drachentödter-Stelle, welche für junge Ohren und Herzen verfänglich 
rattenfängerisch klingen mag: wie? ist das nicht das ächte rechte 
Romantiker-Bekenntniss von 1830, unter der Maske des Pessimismus 
von 1850 hinter dem auch schon das übliche Romantiker-Finale 
präludirt, - Bruch, Zusammenbruch, Rückkehr und Niedersturz vor 
einem alten Glauben, vor dem alten Gotte . . . Wie? ist Ihr 
Pessimisten-Buch nicht selbst ein Stück Antigriechenthum und 
Romantik, selbst etwas "ebenso Berauschendes als Benebelndes", ein 
Narkotikum jedenfalls, ein Stück Musik sogar,    
    
		
	
	
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