gefasst. Aber das Buch, in dem mein 
jugendlicher Muth und Argwohn sich damals ausliess - was für ein 
unmögliches Buch musste aus einer so jugendwidrigen Aufgabe 
erwachsen! Aufgebaut aus lauter vorzeitigen übergrünen 
Selbsterlebnissen, welche alle hart an der Schwelle des Mittheilbaren 
lagen, hingestellt auf den Boden der Kunst - denn das Problem der 
Wissenschaft kann nicht auf dem Boden der Wissenschaft erkannt 
werden - ein Buch vielleicht für Künstler mit dem Nebenhange 
analytischer und retrospektiver Fähigkeiten (das heisst für eine 
Ausnahme- Art von Künstlern, nach denen man suchen muss und nicht 
einmal suchen möchte...), voller psychologischer Neuerungen und 
Artisten-Heimlichkeiten, mit einer Artisten-Metaphysik im 
Hintergrunde, ein Jugendwerk voller Jugendmuth und 
Jugend-Schwermuth, unabhängig, trotzig-selbstständig auch noch, wo 
es sich einer Autorität und eignen Verehrung zu beugen scheint, kurz 
ein Erstlingswerk auch in jedem schlimmen Sinne des Wortes, trotz 
seines greisenhaften Problems, mit jedem Fehler der Jugend behaftet, 
vor allem mit ihrem "Viel zu lang", ihrem "Sturm und Drang": 
andererseits, in Hinsicht auf den Erfolg, den es hatte (in Sonderheit bei 
dem grossen Künstler, an den es sich wie zu einem Zwiegespräch 
wendete, bei Richard Wagner) ein bewiesenes Buch, ich meine ein
solches, das jedenfalls "den Besten seiner Zeit" genug gethan hat. 
Darauf hin sollte es schon mit einiger Rücksicht und Schweigsamkeit 
behandelt werden; trotzdem will ich nicht gänzlich unterdrücken, wie 
unangenehm es mir jetzt erscheint, wie fremd es jetzt nach sechzehn 
Jahren vor mir steht, - vor einem älteren, hundert Mal verwöhnteren, 
aber keineswegs kälter gewordenen Auge, das auch jener Aufgabe 
selbst nicht fremder wurde, an welche sich jenes verwegene Buch zum 
ersten Male herangewagt hat, - die Wissenschaft unter der Optik des 
Künstlers zu sehn, die Kunst aber unter der des Lebens.... 
3. 
Nochmals gesagt, heute ist es mir ein unmögliches Buch, - ich heisse es 
schlecht geschrieben, schwerfällig, peinlich, bilderwüthig und 
bilderwirrig, gefühlsam, hier und da verzuckert bis zum Femininischen, 
ungleich im Tempo, ohne Willen zur logischen Sauberkeit, sehr 
überzeugt und deshalb des Beweisens sich überhebend, misstrauisch 
selbst gegen die Schicklichkeit des Beweisens, als Buch für 
Eingeweihte, als "Musik" für Solche, die auf Musik getauft, die auf 
gemeinsame und seltene Kunst-Erfahrungen hin von Anfang der Dinge 
an verbunden sind, als Erkennungszeichen für Blutsverwandte in 
artibus, - ein hochmüthiges und schwärmerisches Buch, das sich gegen 
das profanum vulgus der "Gebildeten" von vornherein noch mehr als 
gegen das "Volk" abschliesst, welches aber, wie seine Wirkung bewies 
und beweist, sich gut genug auch darauf verstehen muss, sich seine 
Mitschwärmer zu suchen und sie auf neue Schleichwege und 
Tanzplätze zu locken. Hier redete jedenfalls - das gestand man sich mit 
Neugierde ebenso als mit Abneigung ein - eine fremde Stimme, der 
Jünger eines noch "unbekannten Gottes", der sich einstweilen unter die 
Kapuze des Gelehrten, unter die Schwere und dialektische Unlustigkeit 
des Deutschen, selbst unter die schlechten Manieren des Wagnerianers 
versteckt hat; hier war ein Geist mit fremden, noch namenlosen 
Bedürfnissen, ein Gedächtniss strotzend von Fragen, Erfahrungen, 
Verborgenheiten, welchen der Name Dionysos wie ein Fragezeichen 
mehr beigeschrieben war; hier sprach - so sagte man sich mit Argwohn 
- etwas wie eine mystische und beinahe mänadische Seele, die mit 
Mühsal und willkürlich, fast unschlüssig darüber, ob sie sich mittheilen
oder verbergen wolle, gleichsam in einer fremden Zunge stammelt. Sie 
hätte singen sollen, diese "neue Seele" - und nicht reden! Wie schade, 
dass ich, was ich damals zu sagen hatte, es nicht als Dichter zu sagen 
wagte: ich hätte es vielleicht gekonnt! Oder mindestens als Philologe: - 
bleibt doch auch heute noch für den Philologen auf diesem Gebiete 
beinahe Alles zu entdecken und auszugraben! Vor allem das Problem, 
dass hier ein Problem vorliegt, - und dass die Griechen, so lange wir 
keine Antwort auf die Frage "was ist dionysisch?" haben, nach wie vor 
gänzlich unerkannt und unvorstellbar sind... 
4. 
Ja, was ist dionysisch? - In diesem Buche steht eine Antwort darauf, - 
ein "Wissender" redet da, der Eingeweihte und Jünger seines Gottes. 
Vielleicht würde ich jetzt vorsichtiger und weniger beredt von einer so 
schweren psychologischen Frage reden, wie sie der Ursprung der 
Tragödie bei den Griechen ist. Eine Grundfrage ist das Verhältniss des 
Griechen zum Schmerz, sein Grad von Sensibilität, - blieb dies 
Verhältniss sich gleich? oder drehte es sich um? - jene Frage, ob 
wirklich sein immer stärkeres Verlangen nach Schönheit, nach Festen, 
Lustbarkeiten, neuen Culten, aus Mangel, aus Entbehrung, aus 
Melancholie, aus Schmerz erwachsen ist? Gesetzt nämlich, gerade dies 
wäre wahr - und Perikles (oder Thukydides) giebt es uns in der grossen 
Leichenrede zu verstehen -: woher müsste dann das entgegengesetzte 
Verlangen, das der Zeit nach früher hervortrat, stammen, das Verlangen 
nach dem Hässlichen, der gute strenge Wille des älteren Hellenen zum 
Pessimismus, zum tragischen Mythus, zum Bilde alles Furchtbaren, 
Bösen, Räthselhaften, Vernichtenden, Verhängnissvollen auf dem 
Grunde des Daseins, - woher müsste dann die Tragödie stammen? 
Vielleicht aus der Lust, aus der Kraft, aus überströmender Gesundheit, 
aus    
    
		
	
	
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