Der goldene Spiegel | Page 8

Jakob Wasserman
zaubert
mir spannende Ereignisse vor, habt Freude daran, reizt einander,
überbietet einander, -- laßt euch doch nicht bitten, sagt ja! Fangt an!«
Wieder entstand ein Schweigen. »Ich halte das für ein verzweifeltes
Unternehmen«, murmelte endlich Hadwiger mit der Miene eines
Menschen, von dem Unmögliches gefordert wird.

»Nicht verzweifelt, aber etwas problematisch«, schränkte Borsati ein;
»wer wird nicht dabei an den Spiegel denken?«
»Wer an den Spiegel denkt, kann uns nichts zu erzählen haben«,
antwortete Lamberg und fügte mit Bedeutung hinzu: »Bei solchem
Anlaß darf man niemals an den Spiegel denken.«
»Bravo, Georg!« rief Cajetan. »Ich sehe, Sie fangen schon Feuer. In
Ihren Augen malen sich schon die Bilder aus wundersamen
Geschichten. Nicht an den Spiegel denken, das ist es! Als Richter
gleichen wir dann nicht den Zuhörern im Theater, denen ein müßiges
Händeklatschen über einen unklar gespürten Eindruck hinweghilft,
sondern wir krönen den Verkündiger eines Schicksals als Tatzeugen.
Ich sehe keine Schwierigkeit, nicht einmal eine Verlegenheit. Es wird
vieles sein, was uns aneifert; das Wort ist ja ein großer Verführer.«

Die Pest im Vintschgau
Der Diener Emil brachte den Kaffee, und nachdem jeder seine Tasse
ausgetrunken hatte, sagte Borsati: »Wenn ich im Geist zurückschaue,
fällt mir ja dies und jenes auf, was des Berichtens wert wäre, aber wo
ich selbst beteiligt bin, stört mich die Nähe, und wo es nicht der Fall ist,
bin ich ungewiß, ob ich überzeugend oder wahr sein kann.«
»Wir sind nicht einmal wahr, wenn wir Vorfälle aus unserm eigenen
Leben erzählen, um wie viel weniger, wenn es sich um fremde
Erlebnisse handelt«, erwiderte Lamberg. »Ja, man lügt mehr, wenn man
über sich selbst die Wahrheit sagt, als wenn man andere in erfundene
Geschicke stellt.«
»Wir wollen Sachlichkeiten und keine Sentiments«, versetzte Cajetan
mißbilligend. »Jeder ist dann so wahr, wie seine Augen oder sein
Gedächtnis wahr sind. Ich bin nicht größer als mein Wuchs. Wer sich
größer macht, wird ausgezischt. Die Welt ist vom Grund bis zum Rand
erfüllt mit den seltsamsten Begebenheiten, und die seltsamste wird
wahr, wenn man ein Gesicht sieht, ein lebendiges Gesicht.«

»Famos. Ich will möglichst viel schöne Gesichter sehn«, sagte
Franziska und nahm eine Miene des Bereitseins an.
»Jedes Gesicht ist schön im Erleiden des besondern Schicksals, zu dem
sein Träger bestimmt ist«, entgegnete Lamberg.
»Darf ich etwas Ketzerisches sagen?« begann Franziska wieder; »ich
finde, daß der Sinn für die Schönheit immer geringer wird; man sucht
stets noch etwas Anderes daneben, Seele oder Geist oder Genie, etwas,
das mit der Schönheit gar nichts zu schaffen hat und einem nur den
Geschmack verdirbt.«
»Es scheint in der Tat, daß man in früheren Zeiten die Schönheit mehr
um ihrer selbst willen geachtet hat«, antwortete Lamberg. »Auch wurde
ihr eine höhere Wichtigkeit zuerkannt. So wird von einer vornehmen
Marquise berichtet, deren Name mir entfallen ist, und die im Alter von
siebenundzwanzig Jahren an der Schwindsucht starb, daß sie die letzten
Monate ihres Lebens auf einem Ruhebett zubrachte und beständig
einen Spiegel in der Hand hielt, um die Verwüstungen zu beobachten,
die die Krankheit in ihrem Gesicht erzeugte. Schließlich ließ sie die
Fenster dicht verhängen, kein Mensch durfte mehr zu ihr, und sie
duldete kein anderes Licht als die Lampe eines Teekessels.«
»Sogar das Volk besaß einen echten Enthusiasmus für die Schönheit
hochgestellter Frauen«, sagte Cajetan. »Im Jahre 1750 verdiente sich
ein Londoner Schuster eine Menge Geld dadurch, daß er für einen
Penny den Schuh sehen ließ, den er für die Herzogin von Hamilton
verfertigt hatte. Und als dieselbe Herzogin auf ihre Güter reiste, blieben
vor einem Wirtshaus in Yorkshire, wo sie wohnte, mehrere hundert
Menschen die ganze Nacht über auf der Straße, um sie am nächsten
Morgen in ihre Karosse steigen zu sehen und die besten Plätze dabei zu
haben.«
»Demgemäß äußerte sich dann auch die Verliebtheit der Männer«,
nahm Georg Vinzenz abermals das Wort; »ein Jüngling in einer
burgundischen Stadt war von der Schönheit seiner Geliebten so
hingerissen, daß er nach dem ersten Stelldichein, das sie ihm bewilligt
hatte, in allem Ernst erklärte, er werde sich die Augen ausstechen, wie

es die Pilger von Mekka bisweilen tun, wenn sie das Grabmal des
Propheten gesehen haben, um ihre Blicke von nun ab vor Entweihung
zu schützen.«
»Das muß ein Bramarbas gewesen sein«, behauptete Borsati; »ich
glaube ihm nicht eine Silbe.«
»Warum?« versetzte Cajetan. »Wir können uns kaum eine Vorstellung
von der Energie und Glut machen, mit denen man sich damals einer
Leidenschaft hingab.«
Borsati zuckte die Achseln. »Mag sein, daß er's getan hätte«, sagte er,
»was wir erdenken können, kann auch geschehn. Ich wehre mich nur
dagegen, daß man aus unserer Zeit die großen Empfindungen
hinausredet, um eine nur durch die Ferne reizvolle Vergangenheit mit
ihnen zu schmücken. Allerdings sehen die Leidenschaften, deren
Zeugen wir selbst werden, anders aus als die mit dem Galeriestaub der
Überlieferung, und ihre Verfeinerung oder Verdünnung auf der einen
Seite bedingt
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