sie sich aufgefordert, dem Ruf ihrer gestaltlosen, 
aber feurigen Träume zu folgen. 
An einem bestimmten Abend in jeder Woche fanden sich Cajetan und 
Georg Vinzenz bei Franziska und Borsati ein, und bei gutem Essen und 
vortrefflichen Weinen verplauderten sie oft die halbe Nacht. Eines 
Tages brachte Borsati einen fremden jungen Mann zu diesem 
Symposion mit, einen Menschen von nicht sehr gepflegtem Äußeren 
und eckigem Betragen, der sich Heinrich Hadwiger nannte und 
Ingenieur war. Von den befremdeten Gefährten später unter sechs 
Augen zur Rede gestellt, erklärte Borsati, daß er Hadwiger schätze, und 
daß ihn ihre hochmütige Zurückhaltung nur desto schätzenswerter 
erscheinen lasse. Seiner Jugend und feindseligen Widerständen zum 
Trotz hatte Hadwiger den Auftrag erhalten, eine der neuen 
Gebirgsbahnen im Süden des Reichs zu bauen, und sein kühnes Projekt 
bildete das Staunen der Kenner. Aus den dürftigen Verhältnissen eines 
westfälischen Kohlendorfes stammend, war alles was er besaß und 
vorstellte, Errungenschaft eines ungeheuren Fleißes und einer 
beispiellosen Willenskraft. Anfänglich der schlecht besoldete Beamte 
einer englischen Maschinenfabrik, hatte er sich zu einer heiklen 
Mission freiwillig gemeldet und wurde nach Ägypten und nach 
Brasilien geschickt, um die damals neuen Dampfpflüge einzuführen, 
was erst nach großen Schwierigkeiten und abenteuerlichen Mühsalen 
gelang. Ein Brückenbau im Staate Illinois hatte ihn berühmt gemacht, 
und er zählte nun zu den Ersten seines Fachs. Soviel wußte man von
ihm, doch ohne Zweifel war in seiner Vergangenheit etwas, was er 
nicht mitteilen mochte und was ihn verfolgte, das verriet sein Auge und 
sein Schweigen. 
Bald brauchte Hadwiger inmitten der Freunde nicht nur geduldet zu 
werden, er wurde Freund mit ihnen. Freilich war sein Gefühl bisweilen 
beengt; ein Mensch, der einmal ums Brot gekämpft hat, trägt Narben 
im Gemüt, die im Kreise der Sorglosen heimlich zu bluten beginnen. 
Seine schwankende Stimmung ließ auf eine unzufriedene Seele 
schließen, sein rascher Haß nötigte zur Vorsicht gegen sein Urteil. 
Manchmal erregte er Gelächter, häufiger ein Lächeln. Wie die meisten 
Emporkömmlinge war er naiv und selbstgefällig, und er konnte sich in 
einer so umfassenden Weise loben, daß den Zuhörern bei allem 
Respekt das Herz im Leibe lachte. 
Auch Franziska fand ihn spaßhaft, doch ließ sie sich seine wachsende 
Verehrung immer lieber gefallen. Er gehörte nach ihrer Meinung nicht 
zu den Männern, die man liebt; seine tiefe Anhänglichkeit belohnte sie 
durch Vertrauen. Als er des Bahnbaues wegen die Stadt verlassen hatte, 
blieb sie im Briefwechsel mit ihm. Cajetan befand sich um diese Zeit 
bei der Botschaft in Washington, und Lamberg, dessen Vater unlängst 
gestorben war, ging für einige Monate auf Reisen. Inzwischen löste 
sich der Bund Franziskas mit Borsati ohne Lärm noch Katastrophe, 
etwa wie ein schöner Spaziergang endet, und obwohl sie nach der 
Rückkunft der andern Freunde gern und oft an den regelmäßigen 
Zusammenkünften teilnahm, führte sie ihr Leben fern von ihnen. Hie 
und da deutete ein Wort, ein Ausruf, eine Klage das Ermattende und 
Verzehrende ihrer Existenz an, doch bewahrte sie stets die ihr 
eigentümliche Heiterkeit und Leichtigkeit. Sie war schön; schön 
geworden, was mehr besagen will, als schlechthin schön. Voller 
Beseelung Auge, Hand und Schritt, voll Reife und Bewußtsein; 
Eitelkeit zeigte sie nur im Kleinen und Scherzhaften, im Ganzen Maß 
und Haltung, erworbene Würde, natürlichen Adel. Sie war eine jener 
Frauen, bei deren Anblick einem Manne das Herz still steht. Sie hatte 
etwas von der Wahrheit der Elemente, und etwas vom Glanz und der 
rührenden Einsamkeit der großen Kunstwerke. Leben und Erlebnis 
hatte sie geläutert und erhoben, so wie sie manche Andere trüben und
erniedrigen. Gleichwohl verschwendete sie sich; zum Genuß 
vorbestimmt, genoß sie umsomehr, je mehr ein begierdevolles 
Sinnenwesen sich ihr unter verführerischen Formen nahte. Sie bewegte 
sich in der großen Welt, als ob sie darin geboren wäre; die Außenseite 
ihres Daseins war ohne Geheimnis, man erzählte sich von ihr in allen 
Salons und Kaffeehäusern; was sie hinriß, was sie spannte, bezauberte, 
in Atem hielt, war den Freunden, insbesondere Borsati und Hadwiger, 
ein Rätsel und das Offensichtliche wie das Verborgene gab ihnen 
Anlaß zu Befürchtungen aller Art, zumal es mit ihrer Gesundheit nicht 
zum Besten stand. Als Hadwiger einst sie zur Besinnung bringen wollte, 
versicherte sie ihm, daß sie selbst kaum wisse, wovon sie getrieben 
werde; vielleicht sei es der Tod; jeder Gedanke an den Tod jage sie 
wilder ins Leben hinein. Vor Jahren habe sie auf einer Bauernhochzeit 
getanzt, während im Dorf die Häuser zu brennen angefangen; Weiber 
und Männer seien fortgeeilt, doch sie habe einem Geiger ein Goldstück 
hingeworfen, damit er weiter spiele und mit ihrem Tänzer sich noch 
herumgeschwungen, bis der Feuerschein dicht an den Fenstern lohte. 
So plauderte sie beim Probieren eines Hutes, und Hadwiger ging von 
ihr, weil sie so leer erregt zu ihm sprach wie in der Pause zwischen 
zwei Tänzen. Dann rief sie ihn wieder, in der Pause zwischen zwei 
Tänzen, schloß schwesterlich ihr Herz auf und nährte sein 
verschwiegenes Mitgefühl in ungewollter Grausamkeit. 
Eines Tages gab sie die    
    
		
	
	
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