Kopf, so möchte ich aussehen. Sehe ich ihm nicht ähnlich?« 
»Benehmen Sie sich ähnlich,« sagte der Justizrat, »und halten Sie Ihre 
Gedanken zusammen! Mensch, Ihre Sache ist nicht so sicher, wie Sie 
glauben. Der Bernburger hat zweifellos Material im Hinterhalt, mit
dem er uns überrumpeln will; also passen Sie auf!« 
»Aber ja,« sagte Deruga ein wenig ungeduldig. »Ihren Kopf behalten 
Sie auf alle Fälle, und an meinem braucht Ihnen nicht mehr zu liegen 
als mir.« 
Jetzt flogen die Türen im Hintergrunde des Saales auf, und der 
Vorsitzende des Gerichts, Oberlandesgerichtsrat =Dr.= Zeunemann, 
trat ein, dem die beiden Beisitzer und der Staatsanwalt folgten. Der 
Luftzug hob den Talar des rasch Vorwärtsschreitenden, so daß seine 
stramme und stattliche Gestalt sichtbar wurde. Er grüßte mit einer 
Gebärde, die weder herablassend noch vertraulich war und eine 
angemessene Mischung von Ehrerbietung und Zuversicht einflößte. 
Seine Persönlichkeit erfüllte den bänglich feierlichen Raum mit einer 
gewissen Heiterkeit, insofern man die Empfindung bekam, es werde 
sich hier nichts ereignen, was nicht durchaus in der Ordnung wäre. Er 
rieb, nachdem er sich gesetzt hatte, seine schönen, breiten, weißen 
Hände leicht aneinander und ging dann an das Geschäft, indem er die 
Auswahl der Geschworenen besorgte. Es ging glatt und flott voran, 
jeder fühlte sich von einer wohltätigen Macht an seinen Platz 
geschoben. 
»Meine Herren Geschworenen,« begann er, »es handelt sich heute um 
einen etwas verwickelten Fall, dessen Vorgeschichte ich Ihnen kurz 
zusammenfassend vorführen will. 
Am 2. Oktober starb hier in München, infolge eines Krebsleidens, wie 
man annahm, Frau Mingo Swieter, geschiedene Frau Deruga. Sie hatte 
nach ihrer vor siebzehn Jahren erfolgten Scheidung von Deruga ihren 
Mädchennamen wiederangenommen. In ihrem Testament, das Anfang 
November eröffnet wurde, hatte sie ihren geschiedenen Gatten, =Dr.= 
Deruga, zum alleinigen Erben ihres auf etwa vierhunderttausend Mark 
sich belaufenden Vermögens ernannt, mit Beiseitesetzung ihrer 
Verwandten, von denen die Gutsbesitzersgattin Baronin Truschkowitz, 
eine Kusine, die nächste war. Auf das Betreiben der Baronin 
Truschkowitz und auf gewisse zureichende Verdachtsgründe hin, die 
Ihnen bekannt sind, veranlaßte das Gericht die Exhumierung der Leiche, 
und es wurde festgestellt, daß die verstorbene Frau Swieter nicht
infolge ihrer Krankheit, sondern eines furchtbaren Giftes, des Curare, 
gestorben war. 
Als dem seit siebzehn Jahren in Prag ansässigen =Dr.= Deruga das 
Gerücht von einem gegen ihn im Umlauf befindlichen Verdacht zu 
Ohren kam, reiste er hierher, um zu erfahren, wer seine Verleumder, 
wie er sie nannte, wären, und sie zu verklagen. Es wurde ihm mitgeteilt, 
daß das Gericht bereits den Beschluß gefaßt habe, die Anklage auf 
Mord gegen ihn zu erheben, und daß er seine Anklage bis zur 
Beendigung des Prozesses verschieben müsse. Unter diesen besonderen 
Umständen, da der Angeklagte sich gewissermaßen selbst gestellt hatte, 
wurde angenommen, daß Fluchtverdacht nicht vorliege, und von einer 
Verhaftung einstweilen abgesehen. Verdächtig machte den 
Angeklagten von vornherein, daß er sich in bedeutenden finanziellen 
Schwierigkeiten befand. Ferner belastete ihn die Tatsache, daß er am 
Abend des 1. Oktober vergangenen Jahres eine Fahrkarte nach 
München löste und erst am Nachmittag des 3. Oktober nach Prag in 
seine Wohnung zurückkehrte. Einen genügenden Alibibeweis 
vermochte der Angeklagte nicht zu erbringen. 
Dies sind also die Hauptgründe, die das Gericht bewogen haben, die 
Anklage auf Totschlag zu erheben. Es wird angenommen, daß Deruga 
seine geschiedene Frau aufsuchte, um Geld von ihr zu erbitten, 
beziehungsweise zu erpressen, und daß er sie bei dieser Gelegenheit, 
irgendwie gereizt, vielleicht durch eine Weigerung, tötete. Allerdings 
scheint der Umstand, daß Deruga Gift bei sich gehabt haben muß, für 
einen überlegten Plan zu sprechen. Allein das Gericht hat der 
Möglichkeit Raum gegeben, der verzweifelte Spieler habe damit sich 
selbst vernichten wollen, wenn sein letzter Versuch mißlänge, und nur 
in einem unvorgesehenen Augenblick der Erregung davon Gebrauch 
gemacht.« 
Während des letzten Satzes hatte der Staatsanwalt vergebens versucht, 
durch Verdrehungen seines hageren Körpers und Deutungen seines 
knotigen Zeigefingers die Aufmerksamkeit des Vorsitzenden auf sich 
zu lenken. »Verzeihung,« sagte er, indem er seinem langen, weißen 
Gesicht einen süßlichen Ausdruck zu geben suchte, »ich möchte gleich
an dieser Stelle betonen, daß ich persönlich dieser Möglichkeit nicht 
Raum gebe. Warum hätte der Mann es denn so eilig mit dem 
Selbstmorde gehabt? Er amüsierte sich viel zu gut im Leben, um es so 
Hals über Kopf wegzuwerfen. 
Ferner möchte ich darauf hinweisen, daß der Angeklagte auf das 
erstmalige Befragen des Untersuchungsrichters die abscheuliche Untat 
eingestand, oder, besser gesagt, sich ihrer rühmte, um sie mit ebenso 
großer Dreistigkeit hernach zu leugnen.« 
»Jawohl, jawohl, wir kommen darauf zurück,« sagte der Vorsitzende 
mit einer Handbewegung gegen den Staatsanwalt, wie wenn ein 
Kapellmeister etwa einen vorlauten Bläser beschwichtigt. »Ich will 
zunächst den Angeklagten vernehmen.« 
»Sie müssen aufstehen,« flüsterte der Justizrat seinem Klienten zu, der 
mit schläfriger Miene den Saal und das Publikum betrachtete. 
»Aufstehen, ich?« entgegnete dieser erstaunt und beinahe entrüstet. 
»Nun also auch das. Stehen wir auf,« fuhr er fort, erhob sich langsam 
und heftete einen scharf durchdringenden Blick auf den Präsidenten; 
man hätte meinen    
    
		
	
	
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