Der Fall Deruga

Ricarda Huch
Der Fall Deruga, by Ricarda
Huch

The Project Gutenberg EBook of Der Fall Deruga, by Ricarda Huch
This eBook is for the use of anyone anywhere at no cost and with
almost no restrictions whatsoever. You may copy it, give it away or
re-use it under the terms of the Project Gutenberg License included
with this eBook or online at www.gutenberg.net
Title: Der Fall Deruga
Author: Ricarda Huch
Release Date: November 27, 2005 [EBook #17169]
Language: German
Character set encoding: ISO-8859-1
*** START OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK DER FALL
DERUGA ***

Produced by Ralph Janke, Markus Brenner and the Online Distributed
Proofreading Team at http://www.pgdp.net

Der Fall Deruga
Roman

von
Ricarda Huch
1917
Verlag Ullstein & Co, Berlin/Wien
* * * * *
Alle Rechte, insbesondere das der Übersetzung, vorbehalten.
Amerikanisches Copyright 1917 by Ullstein & Co, Berlin.

=I.=
»Wer ist der Anwalt, der mit Justizrat Fein hereingekommen ist?«
fragte eine Dame im Zuschauerraum ihren Mann, »und warum hat der
Angeklagte zwei Anwälte? Fein ist allerdings wohl nur ein
Schaustück.«
»Wenn der Betreffende ein Anwalt wäre, liebes Kind, würde er einen
Talar tragen,« antwortete der Gefragte vorwurfsvoll. »Aber wer es ist,
kann ich dir auch nicht sagen.« Ein vor dem Ehepaar sitzender Herr
drehte sich um und erklärte, der fragliche Herr sei der Angeklagte
=Dr.= Deruga.
»Ist das möglich?« rief die Dame lebhaft, »wissen Sie das bestimmt?«
Der alte Herr lachte vergnügt. »So bestimmt wie ich weiß, daß ich der
Musikinstrumentenmacher Reichardt vom Katzentritt bin; der Herr
Doktor wohnt nämlich bei mir.«
Die Dame machte große Augen. »Läßt man denn einen Mörder frei
herumlaufen?« fragte sie. »Ich dachte, er wäre im Gefängnis. Ist es
Ihnen nicht unheimlich, einen solchen Menschen in Ihrer Wohnung zu
haben?«

»Ja, sehen Sie, gnädige Frau,« sagte der alte Mann, »der Herr Justizrat
Fein hat ihn bei mir eingeführt, weil er mich schon lange kennt und
seinen Klienten gut versorgt wissen wollte, und wenn der Herr Justizrat
so viel Vertrauen in mich setzt, daß er seine Geigen und Flöten von mir
reparieren und sein Töchterchen Unterricht im Zitherspielen bei mir
nehmen läßt, so schickt es sich, daß ich auch wieder Vertrauen zu ihm
habe. Und er hat mir seinen Klienten wärmstens empfohlen, der sich
bis jetzt als ein lieber, gutartiger Mensch gezeigt hat, wenn auch etwas
wunderlich.«
»Du darfst nicht vergessen, liebes Kind,« sagte der Ehemann, »daß ein
Angeklagter noch kein Verurteilter ist.«
»Sehr richtig, sehr richtig,« sagte der Musikinstrumentenmacher und
wollte eben allerlei merkwürdige Fälle von Justizirrtümern erzählen, als
das Erscheinen der Geschworenen seine Aufmerksamkeit ablenkte.
Sie finde es doch ungehörig, flüsterte die junge Dame ihrem Manne zu,
daß ein des Mordes Verdächtiger sich so frei bewegen dürfe, noch dazu
einer, der so aussehe, als ob er zu jedem Verbrechen fähig wäre.
»Man soll sich hüten, nach dem Äußeren zu urteilen, liebes Kind,«
sagte der Ehemann. »Aber abgesehen davon würde ich auch diesem
Menschen nicht über den Weg trauen. Es ist merkwürdig, wie
leichtgläubig und wie ungeschickt im Auslegen von Physiognomien
das Volk ist.«
Die meisten Zuschauer hatten denselben ungünstigen Eindruck von
=Dr.= Deruga empfangen, der durch Nachlässigkeit in Kleidung und
Haltung und mit seinen neugierig belustigten Blicken, die den Saal
durchwanderten, der Majestät und Furchtbarkeit des Ortes zu spotten
schien.
»Ich dachte, er hätte schwarzes, krauses Haar und Feueraugen,«
bemerkte die junge Frau tadelnd gegen ihren Mann.
»Aber, Kindchen,« entgegnete dieser, »wir haben doch auch nicht alle
blaue Augen und blondes Haar.«

»Er stammt aus Oberitalien,« mischte sich ein Herr ein, »wo der
germanische Einschlag sich bemerkbar macht.«
Ein anderer fügte hinzu, er vertrete doch einen durchaus italienischen
Typus, nämlich den der verschlagenen, heimtückischen, rachsüchtigen
Welschen, wie er seit dem frühen Mittelalter in der Vorstellung der
Deutschen gelebt habe.
Unterdessen war ein Gerichtsdiener an den Angeklagten herangetreten
und hatte ihn aufgefordert, sich auf der Anklagebank niederzulassen,
was er folgsam tat, um sein Gespräch mit dem Justizrat Fein von dort
aus fortzusetzen.
»Sehen Sie, da kommt der Jäger vor dem Herrn, =Dr.= Bernburger,«
sagte der Justizrat, auf einen jungen Anwalt blickend, der eben den
Zuschauerraum betrat. »Den hat die Baronin Truschkowitz auf Ihre
Spuren geheftet, und eine gute Spürnase hat er, wie Sie sehen. Er ist Ihr
gefährlichster Feind, der Staatsanwalt ist nur ein Popanz.«
Deruga betrachtete =Dr.= Bernburger, der angelegentlichst in seine
Papiere vertieft schien.
»Ich glaube, er ist Ihnen ebenso gefährlich wie mir,« sagte er dann mit
freundlichem Spott, die große, bequeme Gestalt des Justizrats
betrachtend. »Eigentlich gefiele mir der Bernburger ganz gut, wenn er
nicht ein so gemeiner Charakter wäre.«
Der Justizrat wendete sich um und sagte, den Arm auf das Geländer
stützend, das die Anklagebank abschloß: »Bringen Sie mich jetzt nicht
zum Lachen, Sie verzweifelter Italiener! Wir haben alle Ursache, uns
ein Beispiel an seinen Geiermanieren zu nehmen.«
»Er hat wirklich etwas von einem Raubvogel,« sagte Deruga, »ein
feiner
Continue reading on your phone by scaning this QR Code

 / 81
Tip: The current page has been bookmarked automatically. If you wish to continue reading later, just open the Dertz Homepage, and click on the 'continue reading' link at the bottom of the page.