Das Leiden eines Knaben | Page 2

Conrad Ferdinand Meyer
in diesem k?niglichen Falle f��r ��berfl��ssig erkl?rt hatten. So tat sie den frommen V?tern gelegentlich gern etwas zuleide, wenn sie dieselben im stillen krallen konnte. Jetzt schwieg sie, und ihre dunklen mandelf?rmigen, sanft schwerm��tigen Augen hingen an dem Munde des Gemahls mit einer bescheidenen Aufmerksamkeit.
Der K?nig kreuzte die F��sse, und den Demantblitz einer seiner Schuhschnallen betrachtend, sagte er leichthin: "Dieser Fagon! Er wird unertr?glich! Was er sich nicht alles herausnimmt!"
Fagon war der hochbetagte Leibarzt des K?nigs und der Sch��tzling der Marquise. Beide lebten sie t?glich in seiner Gesellschaft und hatten sich auf den Fall, dass er vor ihnen st��rbe, Asyle gew?hlt, sie Saint-Cyr, er den botanischen Garten, um sich hier und dort nach dem Tode des Gebieters einzuschliessen und zu begraben.
"Fagon ist Euch unendlich anh?nglich", sagte die Marquise.
"Gewiss, doch entschieden, er erlaubt sich zu viel", versetzte der K?nig mit einem leichten halb komischen Stirnrunzeln.
"Was gab es denn?"
Der K?nig erz?hlte und hatte bald zu Ende erz?hlt. Er habe bei der heutigen Audienz seinen neuen Beichtiger gefragt, ob die Tellier mit den Le Tellier, der Familie des Kanzlers, verwandt w?ren? Doch der dem��tige P��re habe dieses schnell verneint und sich frank als den Sohn eines Bauern in der untern Normandie bekannt. Fagon habe unweit in einer Fensterbr��stung gestanden, das Kinn auf sein Bambusrohr gest��tzt. Von dort, hinter dem geb��ckten R��cken des Jesuiten, habe er unter der Stimme, aber vernehmlich genug, hergefl��stert: "Du Nichtsw��rdiger!" "Ich hob den Finger gegen Fagon", sagte der K?nig, "und drohte ihm."
Die Marquise wunderte sich. "Wegen dieser ehrlichen Verneinung hat Fagon den Pater nicht schelten k?nnen, er muss einen andern Grund gehabt haben", sagte sie verst?ndig.
"Immerhin, Madame, war es eine Unschicklichkeit, um nicht mehr zu sagen. Der gute le Lachaise, taub wie er endlich doch geworden ist, h?rte es freilich nicht, aber mein Ohr hat es deutlich vernommen, Silbe um Silbe. 'Niedertr?chtiger!' blies Fagon dem Pater zu, und der Misshandelte zuckte zusammen."
Die Marquise schloss l?chelnd aus dieser Variante, dass Fagon einen derbern Ausdruck gebraucht habe. Auch in den Mundwinkeln des K?nigs zuckte es. Er hatte sich von jung an zum Gesetze gemacht, wozu er ��brigens schon von Natur neigte und was er dann bis an sein Lebensende hielt, niemals, auch nicht erz?hlungsweise, ein gemeines oder beschimpfendes, kurz ein unk?nigliches Wort in den Mund zu nehmen.
Der hohe Raum war einged?mmert, und wie der Bediente die traulichen zwei Armleuchter auf den Tisch setzte und sich r��cklings schreitend verzog, siehe, da wurde ein leise eingetretener Lauscher sichtbar, eine wunderliche Erscheinung, eine ehrw��rdige Missgestalt: ein schiefer, verwachsener, seltsam verkr��mmter kleiner Greis, die entfleischten H?nde unter dem gestreckten Kinn auf ein langes Bambusrohr mit goldenem Knopfe st��tzend, das feine Haupt vorgeneigt, ein weisses Antlitz mit geisterhaften blauen Augen. Es war Fagon.
"'Du Lump, du Schuft!' habe ich kurzweg gesagt, Sire, und nur die Wahrheit gesprochen", liess sich jetzt seine schwache, vor Erregung zitternde Stimme vernehmen. Fagon verneigte sich ehrf��rchtig vor dem K?nige, galant gegen die Marquise. "Habe ich einen Geistlichen in Eurer Gegenwart, Sire, dergestalt behandelt, so bin ich entweder der Niedertracht gegen��ber ein aufbrausender J��ngling geblieben, oder ein w��rdiges Alter berechtigt, die Wahrheit zu sagen. Brachte mich nur das Schauspiel auf, welches der Pater gab, da sich der vierschr?tige und hartknochige T?lpel mit seiner Wolfsschnauze vor Euch, Sire, drehte und kr��mmte und auf Eure leutselige Frage nach seiner Verwandtschaft in d��nkelhafter Selbsterniedrigung nicht Worte genug fand, sein Nichts zu beteuern? 'Was denkt die Majest?t?'"--ahmte Fagon den Pater nach--, "'verwandt mit einem so vornehmen Herrn? Keineswegs? Ich bin der Sohn eines gemeinen Mannes! eines Bauern in der untern Normandie! eines ganz gemeinen Mannes!...' Schon dieses nichtsw��rdige Reden von dem eigenen Vater, diese kriechende, heuchlerische, durch und durch unwahre Demut, diese gr��ndliche Falschheit verdiente vollauf schuftig genannt zu werden. Aber die Frau Marquise hat recht: es war noch etwas anderes, etwas ganz Abscheuliches und Teuflisches, was ich ger?cht habe, leider nur mit Worten: eine Missetat, ein Verbrechen, welches der unerwartete Anblick dieses t��ckischen Wolfes mir wieder so gegenw?rtig vor das Auge stellte, dass die karge Neige meines Blutes zu kochen begann. Denn, Sire, dieser B?sewicht hat einen edeln Knaben gemordet!"
"Ich bitte dich, Fagon", sagte der K?nig, "welch ein M?rchen!"
"Sagen wir: er hat ihn unter den Boden gebracht", milderte der Leibarzt h?hnisch seine Anklage.
"Welchen Knaben denn?" fragte Ludwig in seiner sachlichen Art, die kurze Wege liebte.
"Es war der junge Boufflers, der Sohn des Marschalls aus seiner ersten Ehe", antwortete Fagon traurig.
"Julian Boufflers? Dieser starb, wenn mir recht ist", erinnerte sich der K?nig, und sein Ged?chtnis t?uschte ihn selten, "17** im Jesuitencollegium an einer Gehirnentz��ndung, welche das arme Kind durch ��berarbeitung sich mochte zugezogen haben, und da P��re Tellier in jenen Jahren dort Studienpr?fekt sein konnte, hat er allerdings, sehr fig��rlich gesprochen", spottete der K?nig, "den unbegabten, aber im Lernen hartn?ckigen Knaben in das Grab gebracht. Der Knabe hat sich eben ��bernommen, wie mir sein Vater, der Marschall,
Continue reading on your phone by scaning this QR Code

 / 25
Tip: The current page has been bookmarked automatically. If you wish to continue reading later, just open the Dertz Homepage, and click on the 'continue reading' link at the bottom of the page.