Cannes und Genua | Page 7

Walther Rathenau
vermutlich in den n?chsten Wochen seine Regelung finden wird. Es ist m?glich geworden, in Cannes, den Vertretern der fr��her uns gegnerischen Nationen die gesamte deutsche Situation darzulegen, und zwar in gr?sserer Ausf��hrlichkeit und Klarheit, als wir es vermocht h?tten, wenn wir lediglich uns auf den negativen Standpunkt der Ablehnung jedes Erf��llungsversuches gestellt h?tten. Es ist ferner in Cannes dazu gekommen, dass eine Konferenz aller Nationen f��r Genua in Aussicht genommen wurde, die nach wechselnden Schicksalen nun doch wahrscheinlich im April stattfinden soll. Auf der einen Seite ist der Reflex in der deutschen Oeffentlichkeit der gewesen, als Cannes beendet war, dass von Genua sehr wenig zu erwarten sei, dass die Ergebnisse v?llig unbefriedigende seien, dass die Regierung dort nicht nur keinen Erfolg, sondern eigentlich, genau betrachtet, eine schwere Niederlage erlitten habe. Im merkw��rdigen Kontrast dazu stand es, dass gerade von denselben Stellen, die in Genua eine vollkommene Gleichg��ltigkeit erblickten, in dem Augenblick, als die Boulogner Beschl��sse stattfanden, erkl?rt wurde, dass nun die letzte Hoffnung geschwunden sei, die wir in Deutschland h?tten aufleuchten sehen. In einem der beiden F?lle m��ssen die Kritiker sich geirrt haben, entweder war in Cannes doch etwas erreicht worden oder der Verlust, der angeblich in Boulogne erlitten worden sein soll, konnte kein so ��beraus schwerer sein.
Ich glaube, dass tats?chlich ein doppelter Irrtum vorlag. Auf der einen Seite wurde die Genueser Konferenz untersch?tzt in dem Augenblick, als sie auftrat, auf der anderen Seite wurden die Boulogner Beschl��sse ��bersch?tzt in dem Augenblick, als sie zur Wirklichkeit wurden. Diejenigen, die der Entwicklung n?her standen, haben niemals daran gezweifelt, dass Genua nicht die Stelle sein konnte, an der von einem Gremium aus mehr als 40 Nationen, von denen ein grosser Teil weder Unterzeichner von Versailles noch Kriegsbeteiligte waren, dass von diesen Nationen Beschl��sse nicht gefasst werden konnten ��ber die Versailler Grundlagen oder ��ber die Grundlagen der Reparationen. Boulogne hat die Best?tigung daf��r erbracht, dass das Reparationsproblem und der Versailler Vertrag diesem Gremium zur Beschlussfassung nicht unterliegen kann. Eine Uebersch?tzung von Genua kann indessen darin liegen, dass man erwartet, es k?nne von dort aus sofort eine neue Regelung der europ?ischen Verh?ltnisse ausgehen. Ich halte es f��r bedenklich, zu glauben, dass eine Gemeinschaft von 40 Nationen mit Vertretern, deren Zahl in die Hunderte geht, eine aktive Politik f��hren kann, die mit einem Schlage uns in eine neue politische Weltkonstellation f��hrt, den Vertrag ab?ndert und die Reparationen auf ein normales Mass zur��ckf��hrt. Wohl aber wird die M?glichkeit vorhanden sein, dass in Genua die allgemeinen Ursachen der Welterkrankung er?rtert werden, und dass die Nationen gemeinschaftlich nach solchen Wegen suchen, die zu einer Gesundung des ganzen Kontinents f��hrten. Genua wird voraussichtlich das erste Glied einer Serie von Konferenzen sein, die vermutlich dieses und das n?chste Jahr in Anspruch nehmen werden. Einen anderen Weg als den Weg der Konferenzen gibt es unter den heutigen Verh?ltnissen leider nicht. Begegnung der Staatsm?nner findet statt auf Seiten der Entente; dort ist die M?glichkeit der Aussprache kontinuierlich gegeben. F��r uns aber, die wir nicht in gleichem Masse in Verbindung stehen mit unseren Nachbarv?lkern, ist eine Konferenz schon deswegen von Wichtigkeit, weil sie uns die M?glichkeit m��ndlicher Aussprache, pers?nlichen Kontaktes gibt, der unter allen Umst?nden vorzuziehen ist dem Wege der Noten und der diplomatischen Verhandlungen.
Wer also der Auffassung ist, dass von Genua eine neue Aera des Geschehens ausgehen wird, der, f��rchte ich, wird eine Entt?uschung erleben. Ich habe den Eindruck, dass in wirtschaftlichen Kreisen trotz aller Entt?uschung ��ber Boulogne ein solcher Optimismus besteht, und ich w��rde nicht w��nschen, dass er sich befestigt. Wer aber der Meinung ist, dass von dem gegenw?rtigen schwerkranken Zustand des gesamten europ?ischen und Weltwirtschaftsk?rpers ein Weg gefunden werden muss zu einer Gesundung, und wer der Meinung ist, dass dieser Weg nur durch gemeinschaftliche Aussprachen erreicht werden kann, dass dieser Weg zwar lang, aber unter allen Umst?nden beschreitbar ist, der wird, glaube ich, in Genua dasjenige finden, was er sucht.
Was die Entwicklung der Reparationen selbst betrifft, so wird ihr Gremium voraussichtlich bis auf weiteres die Reparationskommission bleiben, und hinter der Reparationskommission diejenigen M?chte, die in erster Linie die Empfangsberechtigten sind. Ich glaube, dass die Entwicklung des Reparationsproblems folgenden Gang nehmen wird: man wird f��r das Jahr 1922, auch wohl f��r das Jahr 1923 zu L?sungen zu kommen suchen, die zun?chst nur provisorische L?sungen sein werden. Sie k?nnen nur provisorisch sein, denn auf der einen Seite ist ein gewaltiges Geldbed��rfnis bei den empfangsberechtigten Staaten, auf der anderen Seite ist die Zahlungskraft Deutschlands, insbesondere in Barmitteln, eine begrenzte. Die Erkenntnis ist wohl heute so ziemlich in der ganzen Welt verbreitet, dass ein Volk dem andern nur dauernd zahlen kann aus dem Ueberschuss seiner Zahlungs- und Handelsbilanz. Unsere Zahlungsbilanz ist schwer passiv, unsere Handelsbilanz ist in den letzten Monaten um eine Kleinigkeit aktiv geworden. Zahlungsmittel in bar sind somit nur in beschr?nktem Masse aufzubringen. Es kann daher f��r 1922 und 1923 wahrscheinlich nur
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