Erleuchtung über 
höhere Wahrheiten bedurfte, ich nahm es aus diesem unerschöpflichen 
Schatz, der mir immer zugänglich und zur Seite war. 
Ein solcher Briefwechsel, der durch nichts gestört und unterbrochen 
wurde, ist Umgang, der gegenseitig zu näherer Kenntnis des Charakters 
führt. Ein Geheimnis kann er nicht sein, die ganze Welt könnte den 
Inhalt wissen. Aber sie waren an mich geschrieben, so war es das 
Heiligtum meines Lebens; so bewahrte ich schweigend und verborgen, 
was nur für mich geschrieben war, mich entschädigte für große 
Entbehrungen, mich lohnte für viele Leiden, mir erschien wie mein 
zugewogenes Erdenglück, das mich ganz aussöhnte mit Schicksal und 
Verhängnis. 
Wie viel aus einem solchen, das innere Leben vertrauungsvoll 
berührenden Briefe ausgeschaltet werden muß, wie nicht die Hälfte 
bleiben kann, auch vieles durch Mitteilung entweiht werden würde, 
darf kaum angedeutet werden. Zugleich ist anderes wieder in dem 
Schönen und selbst Lobenden so charakteristisch, spricht den inneren 
Gemütsreichtum und die Fülle des gütigsten, gerechtesten Herzens so 
hinreißend aus, daß es denen nicht entzogen werden darf, die jede 
Erinnerung der Art gewiß heilig verehren. Daß alle diese die hier 
erscheinenden Briefe wie eine zwiefache Stimme aus einer 
unsichtbaren Welt, wie ein doppeltes Vermächtnis ansehen, ist mein 
Wunsch. Zuerst die teuern Hinterbliebenen des Verfassers, dann die 
große Zahl seiner Verehrer und Freunde, in deren Herzen gewiß nie 
sein Bild erlöschen wird, da ihm die Stelle darin durch Liebe und 
Ehrfurcht geweiht ist. Demnächst sind sie ein Vermächtnis für den 
engen Kreis der Freunde der Herausgeberin, welche alle Papiere
sorgfältig gesammelt, bewahrt, geordnet und treu-gewissenhaft 
ausgewählt hat. Jeder, der das Glück hatte, dem Vollendeten näher zu 
stehen und den er würdigte, ihm das Innere seiner hohen Seele 
aufzuschließen, wird ihn in den Briefen, in dem Gange seiner Ideen und 
den öfteren Selbstzeichnungen wiederfinden. 
Manches bedarf, nur um nicht ganz unverständlich zu sein, einer 
Erklärung, wozu ich mich ungern entschließe. Welche Frau, geehrt und 
beglückt durch Wilhelm von Humboldts Teilnahme und Freundschaft, 
gewürdigt vieljähriger, vertrauungsvoller Briefe und im Besitz so vieler 
geistreicher Blätter, könnte den Mut haben, ihre Ansichten und ihr 
Geschreibe neben das zu stellen, was aus seiner Feder floß! Ihn allein 
reden zu lassen ist geziemend und natürlich. Die Briefe selbst sind es 
und sie allein, worauf es ankommt, und welche Tendenz der 
Briefwechsel haben sollte, geht klar daraus hervor. 
Über den Beginn desselben möchte einige Nachricht dem einen und 
andern interessant sein. Kurz und einfach will ich sie geben. 
Wir lernten uns in früher Jugend, im Jahre 1788 in Pyrmont kennen, 
wohin Herr von Humboldt, der in Göttingen studierte, von dort kam, 
und wohin ich, nur wenige Jahre jünger, meinen Vater begleitete, der 
alljährlich ein Bad besuchte. Wir wohnten in einem Hause, waren 
Tischnachbarn an der Wirtstafel und lebten in Gesellschaft meines 
Vaters drei glückliche Jugendtage von früh bis spät als unzertrennliche 
Spaziergänger in Pyrmonts Alleen und reizenden Tälern. Wir hatten 
uns so viel zu sagen! so viele Ansichten und Meinungen mitzuteilen! so 
viele Ideen auszutauschen! wir wurden nicht fertig. Wie leise diese 
oder jene Saite angeschlagen wurde, sie fand den tiefsten Anklang. 
Es war die letzte Epoche einer schönen, blüten- und hoffnungsreichen, 
poetischen Zeit, worin ein Teil der Jugend ideal und begeistert lebte, 
während der andere, wie heute, im Realismus prosaisch fortschritt. Wir 
gehörten beide zu dem ersten. Und es herrschte damals noch die schöne 
Ruhe vor dem nahen Sturm, der bald furchtbar ausbrach. 
Wenn die Jugend auch den klaren Begriff der Größe noch nicht hat, so 
ahnt und empfindet sie doch solche. Wilhelm von Humboldts Charakter
war schon im Jüngling derselbe, wie er sich später und bis an das Ende 
seines Lebens aussprach. Schon 1788 lebte er in hohen und klaren 
Ideen, schon damals war die einzig heitere Ruhe über sein ganzes 
Wesen ausgegossen, die im Umgang höchst wohltätig ergriff und sich 
jeder Unterhaltung ebenso mitteilte. Jedes Wort war überzeugend und 
beleuchtete hell den Gegenstand, worüber er sprach. 
Herr von Humboldt reiste nach drei Tagen ab. Wir blieben länger. Mir 
blieb die Erinnerung von drei glücklichen Jugendtagen, die ein 
gewöhnliches, alltägliches langes Leben an Gehalt aufwiegen. Das 
Andenken derselben hat mich durch mein ganzes Leben begleitet. Mein 
neuer junger Freund hatte auf mich einen tiefen, nie vorher gekannten, 
nie in mir erloschenen Eindruck gemacht, der gesondert von andern 
Empfindungen, in sich geheiligt, wie ein geheimnisvoller Faden durch 
alle folgenden Verhängnisse meines Lebens ungesehen lies, und fest in 
mir verborgen blieb, den ich immer gesegnet und als eine gütige 
Fügung der Vorsehung angesehen habe. Es knüpften sich an diese 
Erinnerungen, so wenig als an die drei Tage selbst, weder Wünsche, 
noch Hoffnungen, noch Unruhe. Ich fühlte mich unendlich bereichert 
im Innern und meine Seele war mehr noch als vorher aufs Ernste 
gerichtet. Manches, was wir besprochen hatten, beschäftigte mich noch 
lange, und »das Gefühl fürs Wahre, Gute und Schöne« wurde klarer 
und stärker in mir. 
Wir sahen uns nicht wieder, auch    
    
		
	
	
	Continue reading on your phone by scaning this QR Code
 
	 	
	
	
	    Tip: The current page has been bookmarked automatically. If you wish to continue reading later, just open the 
Dertz Homepage, and click on the 'continue reading' link at the bottom of the page.
	    
	    
