Aus meinem Leben - Zweiter Teil | Page 3

August Bebel
mehr als er wohl selbst
wollte diese Bismarckschen Bestrebungen. Seine Verhandlungen mit
Bismarck wurden zwar offenbar mit dem Februar 1864 abgebrochen
und bis zu seinem (Lassalles) Tode nicht wieder aufgenommen, aber
das Streben, die Arbeiterbewegung der Bismarckschen Politik dienstbar
zu machen, blieb bestehen und hatte einen gewissen Erfolg, woran die
scharfe Absage, die Karl Marx dem alter ego Bismarcks, Lothar Bucher,
gab, als dieser ihn zur Mitarbeit am preußischen "Staatsanzeiger"
einlud, nichts änderte.
Helene v. Rakowicza (Helene v. Dönniges), die ehemalige Geliebte
Lassalles, wegen der er in das Duell, das ihn das Leben kostete,
verwickelt wurde, erzählt in ihrem Buche: "Von anderen und mir",
Berlin 1909, daß sie in einer Nachtunterhaltung Lassalle die Frage
vorgelegt: Ist's nun wahr? Hast du mit Bismarck allerlei Geheimes zu
tun? Worauf dieser geantwortet habe: "Was Bismarck anbelangt und
was er von mir gewollt hat und ich von ihm?--laß dir's genügen, daß es
nicht zustande kam, nicht zustande kommen konnte. Wir waren beide
zu schlau--wir sahen unsere beiderseitige Schlauheit und hätten nur
damit enden können, uns (immer politisch gesprochen) ins Gesicht zu
lachen. Dazu sind wir zu gut erzogen--also blieb es bei den Besuchen
und geistreichen Gesprächen."

Diese Darstellung klingt wahrscheinlich. Es hieße Lassalles Scharfsinn
und seine Einsicht beleidigen, sollte er anders gedacht haben, als hier
seine ehemalige Geliebte erzählt. Ueberhaupt konnte kein
scharfsinniger und einsichtiger Mensch, und das war auch Schweitzer,
sich täuschen über das, was ein Sozialdemokrat von Bismarck erlangen
konnte, was nicht, und daß, wenn Bismarck auf irgendwelche
Beziehungen mit Sozialdemokraten sich einließ, es nur geschah, um sie
in seinem Interesse zu verwenden und nachher wie ausgepreßte
Zitronen beiseite zu werfen. Oder ein anderes, daß sie sich an ihn
verkauften und ihm Dienste leisteten, was bei Lassalle nicht in Frage
kommen konnte.
Für meine Auffassung spricht zunächst die Tatsache, daß, als an des
Präsidenten Bernhardt Beckers Stelle F.W. Fritzsche Vizepräsident des
Allgemeinen Deutschen Arbeitervereins wurde, Dr. Dammer, der
frühere Vizepräsident des Vereins, Fritzsche empfahl, er solle bei
seinen Agitationen im Königreich Sachsen neben den sozialistischen
Forderungen für die preußische Spitze eintreten und die über diese
Versammlungen veröffentlichten Zeitungsberichte direkt an Bismarck
senden, auch diesem über die abgehaltenen Versammlungen direkt
berichten. Fritzsche selbst hat mir diese Mitteilungen gemacht, als es
sich im Herbst 1878 um die Bekämpfung des Entwurfs des
Sozialistengesetzes handelte. Diese Mitteilungen habe ich damals im
Reichstag in einer Rede gegen Bismarck auch verwendet.
Die Versuche, den Allgemeinen Deutschen Arbeiterverein für die
Bismarcksche großpreußische Politik nutzbar zu machen, waren also
sehr frühzeitig vorhanden und dauernde. Es wird Sache meiner
Auseinandersetzungen sein, zu beweisen, daß Schweitzer diesen
Bestrebungen Bismarcks bewußt diente.
Wäre Schweitzer ein Mann gewesen, der der Sache, die er äußerlich
verfocht, innerlich ehrlich zugetan war, wäre er ein Mann gewesen, von
dem jeder Parteigenosse überzeugt sein mußte, daß nur die
Begeisterung und das reinste Streben, der Arbeiterklasse zu dienen, bei
ihm vorhanden war, hätte er die sehr bedenklichen Zweideutigkeiten,
die in seinem politischen Leben auftauchten, zu vermeiden gewußt,

wäre mit einem Worte sein ganzes Tun Vertrauen fordernd gewesen, er
wäre bis an sein Lebensende unbestritten der Führer der Partei
geblieben. Jeder Versuch, ihn zu diskreditieren, wäre an ihm abgeprallt,
mochten solche Angriffe ausgehen von welcher Seite immer. Statt
dessen mußte er sein stetig sinkendes Ansehen verteidigen und erlebte
schließlich, daß nach der Niederlegung seiner Präsidentschaft, als jeder
wagen durfte, frei zu sprechen, ohne Gefahr, von einem Bannstrahl
getroffen zu werden, gerade diejenigen die ehrenrührigsten Anklagen
gegen ihn erhoben, die ihn einstmals gegen die Angriffe von unserer
Seite fanatisch verteidigt hatten. So kam es, daß die Nachricht von
seinem Tode jene kalt und gleichgültig ließ, die im anderen Falle ihn
bis zur letzten Stunde als ihren Führer anerkannt und seinem Andenken
alle Ehren erwiesen haben würden.
* * * * *
Jean Baptist v. Schweitzer wurde am 12. Juli 1834 zu Frankfurt am
Main geboren. Das Blut, das in seinen Adern floß, war, nach seinen
Vorfahren zu urteilen, eine Mischung von italienisch-französischem
mit deutschem Blute. Seine Familie, die im Jahre 1814 vom damaligen
König von Bayern geadelt wurde, gehörte zu den sogenannten
Patrizierfamilien Altfrankfurts.
Was der junge Schweitzer in seiner Familie sah und hörte, war nicht
sehr erhebend und von zweifelhaft erzieherischem Einfluß. Der Vater,
einst Kammerjunker bei dem berüchtigten Herzog Karl von
Braunschweig, der 1830 eilig sein Land verlassen mußte, wollte er
nicht der Volkswut zum Opfer fallen, war ein Lüdrian, der als
Verschwender lebte. Die Mutter, die getrennt von ihrem Manne ein
besonderes Haus führte, trieb es in der gleichen Weise. Kein Wunder,
daß der junge Jean Baptist bei solcher Abstammung und bei solchem
Vorbild in die elterlichen Fußtapfen trat, nur daß ihm die Mittel fehlten,
welche die Eltern verjubelt hatten, worauf denn für ihn das
Schuldenmachen die notwendige Konsequenz war.
Gegen die Mitte der fünfziger Jahre führte ihn sein Studium auch nach
Berlin, wo er unter anderem im Hause Krummachers,
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