"Der tote Schulze gegen den lebenden 
Lassalle", Arbeiten, die noch heute ihren vollen Wert haben. Auch als 
Parlamentarier erwies er sich als sehr geschickt und gewandt. Er erfaßte 
rasch eine gegebene Situation und verstand sie auszunutzen. Endlich 
war er auch ein guter Redner von großer Berechnung, der Eindruck auf
die Massen und die Gegner machte. 
Aber neben diesen guten, zum Teil glänzenden Eigenschaften besaß 
Schweitzer eine Reihe Untugenden, die ihn als Führer einer 
Arbeiterpartei, die in den ersten Anfängen ihrer Entwicklung begriffen 
war, dieser gefährlich machten. Für ihn war die Bewegung, der er sich 
nach mancherlei Irrfahrten anschloß, nicht Selbstzweck, sondern Mittel 
zum Zweck. Er trat in die Bewegung ein, sobald er sah, daß ihm 
innerhalb des Bürgertums keine Zukunft blühte, daß für ihn, den durch 
seine Lebensweise früh Deklassierten, nur die Hoffnung bestand, in der 
Arbeiterbewegung die Rolle zu spielen, zu der sein Ehrgeiz wie seine 
Fähigkeiten ihn sozusagen prädestinierten. Er wollte auch nicht bloß 
der Führer der Bewegung, sondern ihr Beherrscher sein, und trachtete 
sie für seine egoistischen Zwecke auszunutzen. Während einer Reihe 
von Jahren in einem von Jesuiten geleiteten Institut in Aschaffenburg 
erzogen, später sich dem Studium der Jurisprudenz widmend, gewann 
er in der jesuitischen Kasuistik und juristischen Rabulistik das geistige 
Rüstzeug, das ihn, der von Natur schon listig und verschlagen war, zu 
einem Politiker machte, der skrupellos seinen Zweck zu erreichen 
suchte, Befriedigung seines Ehrgeizes um jeden Preis und Befriedigung 
seiner großen, lebemännischen Bedürfnisse, was ohne auskömmliche 
materielle Mittel, die er nicht besaß, nicht möglich war. Es ist aber eine 
alte geschichtliche Erfahrung, die in allen Volksbewegungen sich 
bestätigt hat, daß führende Persönlichkeiten, die sybaritische 
Gewohnheiten haben, aber wegen Mangel an Mitteln sie nicht zu 
befriedigen vermögen, leicht an sie herantretenden Versuchungen 
unterliegen, namentlich wenn sie dabei auch glauben, außer der 
Befriedigung ihres Ehrgeizes Scheinerfolge erringen zu können. 
Die diktatorische Stellung, welche die Organisation des Allgemeinen 
Deutschen Arbeitervereins dem Leiter des Vereins einräumte, 
begünstigte die Schweitzerschen Bestrebungen ungemein. Es war aber 
auch ebenso natürlich, daß gegen die Gelüste des Diktators ein 
ständiger Kampf der selbständiger denkenden Mitglieder im Verein 
entstand. Die Opposition, zeitweilig durch seine brutale 
Rücksichtslosigkeit scheinbar niedergeworfen und aus dem Verein 
hinausgedrängt, erhob sich in Kürze in anderen Personen und an
anderen Orten wieder, und es begann der Kampf von neuem gegen ihn. 
Seine Herrschaftsbestrebungen wurden noch dadurch ungemein 
begünstigt, daß das einzige Blatt, das der Verein besaß--und ein zweites 
neben diesem duldete er nicht--, "Der Sozialdemokrat", in seinen 
Händen war und von ihm geleitet wurde. Damit hatte er das Mittel in 
der Hand und wandte es ohne Skrupel an, die geistige Beherrschung 
der Mitglieder zu einer absoluten zu machen, wobei er jeden 
Widerspruch und jede ihm unbequeme Meinungsäußerung gewaltsam 
niederhielt. Die Art, wie dabei wieder Schweitzer den Massen zu 
schmeicheln verstand, obgleich er innerlich sie verachtete, ist mir nie 
mehr in ähnlichem Maße begegnet. Sich selbst stellte er als ihr 
Werkzeug hin, das nur dem Willen des "souveränen Volkes" gehorche, 
dieses souveränen Volkes, das nur seine Zeitung las und dem er seinen 
Willen suggerierte. Wer aber wieder ihn zu lecken wagte, der wurde 
der niedersten Motive geziehen, als eine Viertels- oder 
Achtelsintelligenz gebrandmarkt, die sich über die braven, ehrlichen 
Arbeiter erheben wolle, um sie im Interesse ihrer Gegner zu 
mißbrauchen. 
Eine Rolle, wie Schweitzer sie allmählich spielte, war allerdings nur in 
den Jugendjahren der Bewegung möglich, und darin liegt die 
Entschuldigung für seine fanatisierten Anhänger. Wer heute die Rolle 
eines Schweitzer in der Bewegung spielen wollte, wäre in kurzer Zeit 
unmöglich, sei er wer er wolle. 
Schweitzer war ein Demagog großen Stils, der an der Spitze eines 
Staates sich als ein würdiger Schüler Machiavellis--für dessen 
grundsatzlose Theorien er schwärmte--erwiesen haben würde. Die 
absolute Herrschaft, die er durch die erwähnten Mittel sich auf Jahre in 
seinem Verein zu sichern wußte, läßt sich nur vergleichen mit gewissen 
Erscheinungen in der katholischen Kirche. Er hatte eben nicht umsonst 
bei den Jesuiten Unterricht genommen. 
Wessen wir--Liebknecht und ich--Schweitzer beschuldigten, war, daß 
er den Allgemeinen Deutschen Arbeiterverein--natürlich wider Wissen 
und Wollen des weitaus größten Teiles seiner Mitglieder--im Interesse 
der Bismarckschen Politik leite, die wir nicht als eine deutsche,
sondern als eine großpreußische Politik betrachteten, eine Politik, 
betrieben im Interesse der Hohenzollernschen Hausmacht, die bestrebt 
war, die Herrschaft über ganz Deutschland zu gewinnen und 
Deutschland mit preußischem Geist und preußischen 
Regierungsgrundsätzen--die der Todfeind aller Demokratie sind--zu 
erfüllen. 
Wie damals die Dinge im allgemeinen lagen und bei dem schweren 
Kampfe, in dem sich Bismarck mit der liberalen Bourgeoisie befand, 
benutzte er jedes Mittel, auch das unscheinbarste, das seinen Zwecken 
dienen konnte. Ich habe bereits im ersten Teil dieser Arbeit dargelegt, 
wie Bismarck noch vor dem Auftreten Lassalles in dem Lackierer 
Eichler einen gewandten Agenten besaß, der für seine Politik in den 
Arbeiterkreisen Propaganda machte. Lassalle, der nicht als Dienender, 
sondern als Gleichberechtigter, als Macht zu Macht mit Bismarck in 
Unterhandlungen sich einließ, unterstützte    
    
		
	
	
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