vielen
Türmlein, Säulen und Schnörkeln, die immer auseinander heraustreiben
und durchsichtig sind wie das Gerippe eines Blattes, dann scheint er
mir der Traum eines tiefsinnigen Werkmeisters, vor dem er wohl selbst
erschrecken würde, wenn er erwachte und ihn so fertig vor sich in den
Himmel ragen sähe; es sei denn, daß er auf sein Antlitz niederfiele und
ausriefe: "Herr, dies Werk ist nicht von mir in seiner Vollkommenheit,
du hast dich nur meiner Hände bedienet, mein ist nichts daran als die
Mängel, diese aber decke zu mit dem Mantel deiner Liebe, und lasse
sie verschwinden im Geheimnis deiner Maße." Keiner aber hat dieses
wohl erlebet, keiner hat einem solchen Werke seiner Erfindung die
Krone aufgesetzet, ganze Geschlechter sind von den Baugerüsten
herabgestiegen und haben sich zu Ruhe in die Gräber zu den Füßen des
Turmes gelegt, der nichts davon weiß, und dasteht ernst und steinern,
der kein Herz und keinen Verstand hat, ja eigentlich ein recht
unvernünftiger Turm ist, und doch dasteht, als wäre er aus sich selbst
hervorgewachsen und brauche es keinem Menschen zu danken. Dieser
gewaltige Ausdruck der Erhabenheit aber in einem solchen Werke, an
welchem die Weisheit und Mühe und Andacht von Jahrhunderten an
unendlichen Linien des Gesetzes, des Verhältnisses, der Not und der
Zier mit halsbrechender Kühnheit hinangeklommen, um auf dem
Gipfel dem Herrn zu lobsingen, verbunden mit seinem eigentlichen
inneren Tode, so daß er, der alles durch sein Dasein im tiefsten Herzen
rühret, doch gar nichts davon mitempfindet, das ist es, was seinem
Anblick und der Erscheinung aller gewaltigen Menschenwerke einen
Schrecken beimischet. Es ist, als frage er: Was bin ich, und warum bin
ich, und was ist es, das dich also rühret in mir? Was können wir ihm
aber anderes antworten als: Die Werke des Herrn sind unbegreiflich, er
treibt uns, zu bauen und schaffen über das Leben hinaus, denn wir
waren unsterblich und vollkommen, und wir sind gefallen in den Tod
durch die Sünde; du Turm aber stehe, als ein Zeuge, daß wir dunkel
fühlen, was wir waren vor dieser Zeit, und daß wir noch ringen nach
unendlichem Ziel; so stehe du dann als ein Träger unsrer Mühe und
unsrer Buße zu Ehren unsres Heilands und Seligmachers Jesu Christi,
der uns erlöset hat durch sein bittres Leiden und Sterben. Amen.
Also gedachte ich in mir, und wenngleich umgeben von lebenden
Bäumen und Blumen, in welchen, wie selbst in den harten Felsen, eine
Seele zu wohnen scheint, welche mit dem Menschen atmet und fühlet,
im Frühling sich mit ihm freuet, und im Winter mit ihm trauert, konnte
ich doch meine Augen nicht von dem Turme wenden. Der Sinn des
Menschen strebet immer nach dem Unbegreiflichen, als sei dort das
Ziel der Laufbahn und der Schlüssel des Himmels; denn bewundern
kann der Mensch allein, und alles Bewunderung Erregende ist ein Bote
Gottes, der uns mahnet an das Licht, das wir verloren, und das uns
wieder verheißen ist durch das Blut Christi, so wir uns dessen teilhaftig
machen. Also ist mir auch immer alle meine Drangsal erschienen als
eine Sehnsucht nach einem bessern Leben, und alle meine bittern
Stunden waren nur die kalten, stürmenden Tage des Winters, denen der
liebliche Frühling, angekleidet mit Blumen und Gesang, folget, so ich
säe guten Samen und fülle meine Seele mit dem Lobe Gottes.
In solchen Betrachtungen wollte ich wieder nach dem Sommerhäuslein
gehn, sah aber meinen gnädigen Herrn und Ritter gar tiefsinnig mit
gefalteten Händen unter einem Baume im Sonnenschein sitzen, und
traute nicht, ihm vorüberzugehen, damit ich ihn nicht störe. Ich stellte
mich darum in seiner Nähe bescheidentlich an die Laubwand, und
nahm mein Barett in die Hände, erwartend, ob er seine Augen vielleicht
nach mir wenden möge.
Der Anblick meines Herrn erweckte eine große Ehrfurcht in mir. Ich
hatte ihn gestern nicht recht gesehen, denn es dunkelte schon, da er
mich am Wege barmherzig zu sich nahm. Er hatte ein schneeweißes
Haar am Haupt und Bart, und mochten wohl viele Sorgen über ihn
hingeflogen sein. Ich erinnerte mich, nie einen so frommen alten Ritter
gesehen zu haben, der mit seinem ernsten und milden Antlitz ein
solches Vertrauen in mein Herz senkte. Gott gebe, daß ich also in
Ehren grau werden möge! dachte ich bei mir und fühlte mich mit
ganzer Seele zu dem lieben Herrn hingezogen. Er aber schien sehr
betrübt zu sein, seufzte auch oft und tief, und die kleinen Vöglein, die
über ihm in dem Baume so lustig sangen, konnten ihn nicht trösten.
Da ich so eine Weile nach ihm hingesehen hatte, wendete er die Augen
zufällig zu dem Orte, an dem ich stand, und redete mich freundlich an
mit den Worten: "Wie ist dir, Johannes, daß du so stille dastehest?"
Worauf ich ihm entgegnete: "Ich wollte Eure Ruhe nicht stören, Herr;
Ihr scheinet mir in schweren Gedanken."
Der Ritter aber sprach hierauf: "Johannes, wie gefällt dir

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