werden, als die
Wittfoth den Ausschlag gab. 
"Was?" schalt sie. "Das sind junge Leute, und fürchten sich vor Schnee? 
Marsch, fort mit Euch!" 
"Man nich so eitel, Fräulein", wandte sie sich direkt an Mimi. "Sie sind 
noch lange hübsch genug. Wenn der Rechte kommt, sieht er nicht erst 
aufs Kleid." 
"Das mein ich auch", bekräftigte Hermann eifrig. "Wenn die Rose 
selbst sich schmückt, schmückt sie auch den Garten." 
"Nun wird's Zeit", rief die Wittfoth, "wenn Schiller erst redet." 
"Rückert, liebe Tante", belehrte Hermann. 
Die liebe Tante überhörte diese Belehrung und wandte sich an Therese: 
"Daß Du Dich mir warm anziehst, Kind. Du weißt, Du bist gleich 
erkältet. Und daß Ihr mir fahrt heute Abend, hörst Du Hermann? Die 
Abendluft ist so gefährlich." 
Mimi, die sich mürrisch zum Ankleiden entfernt hatte, kam wie 
verwandelt wieder. Sie lachte über das ganze Gesicht. 
Sie trug ein schlichtes graues Kleid, eine knapp anschließende 
schwarze Plüschjacke, ein schwarzes, langhaariges Müffchen und ein 
dunkelbraunes kokettes Pelzbarett, das ihr allerliebst stand. Ein Blick in 
den Spiegel hatte sie schnell über das blaue Kleid getröstet, und höchst 
zufrieden fand sie sich wieder bei den andern ein. Sie war der 
Wettermacher. Ihre Stimmung war immer ausschlaggebend, sie hatte 
etwas mitreißendes, dominierendes in ihrem Wesen. 
Hermann war glücklich über diesen schnellen Umschlag ihrer Laune 
und bemerkte mit Wohlgefallen ihr vorteilhaftes Aussehen. Therese 
freute sich, wenn andere sich freuten, und so nahm man gut gelaunt von 
der Tante Abschied.
IV. 
Die Wittfoth hatte sich eine Tasse starken Kaffee bereitet, ihr 
Lieblingsgetränk, der zwar für die vollblütige, nervöse Frau das reine 
Gift war, dem sie jedoch mit wahrer Leidenschaft zusprach. Wenn Frau 
Caroline von "einer Tasse Kaffee" sprach, so war das nur der 
einfachere Ausdruck für ein gefülltes Kannenmaß. Heute, zur Feier des 
Festtages, hatte sie sogar noch für eine Tasse über das gewöhnliche 
Maß gesorgt, sich guten Rahm statt der sonst bei ihr üblichen Milch 
gegönnt und neben der gefüllten Zuckerschale einen selbstgebackenen 
Kuchen gestellt. 
Seit Jahren kam zu allen Festlichkeiten ein solcher Kuchen, ein großer, 
flacher Platenkuchen mit Zucker- und Mandelaufguß auf den Tisch. 
Wer dieses Gebäck nicht genug zu würdigen wußte, hatte es mit der 
kleinen Frau verdorben. Ihr Platenkuchen war ihr Stolz. 
Behaglich in den tiefen Lehnstuhl fast versinkend, ließ sich die 
Wittfoth ihren Festkaffee vortrefflich schmecken. Sie steckte ihre 
Näharbeit in die Ecke des Sofas und nahm sich vor, den Rest des 
Nachmittags mit gemütlichem Nichtsthun zu verbringen. Sie wollte 
auch ihren Feiertag haben. Sie mußte sich wahrlich genug plagen. "Ich 
wundere mich nur, daß mir der Kaffee noch so gut schmeckt", sagte sie 
oft. 
Im Grunde hatte sie wenig Ursache zum Klagen. Die Mädchen nahmen 
ihr alle Arbeit ab. Selbst die Küche brauchte sie nicht allein zu 
besorgen. Dennoch war sie überzeugt, daß niemand so mit Arbeit 
überbürdet sei wie sie. 
Sie war immer in Bewegung und meistens in unnötiger. Sie war überall 
und nirgends, bald in der Küche, bald im Laden oder im Arbeitszimmer, 
hier einen Topf oder eine Pfanne, dort einen Flicken oder einen 
Bindfaden aus dem Wege räumend, um ihn an anderer Stelle 
abzulagern, wo er oft noch mehr im Wege war. Alle Augenblicke 
seufzte sie "meine Beine, meine Beine" und brummkreiselte doch 
wieder ruhelos auf ihren kurzen Beinen weiter. Kein Wunder, wenn sie 
am Abend "von all der Arbeit" müde war.
Auch jetzt hatte sie sich, trotzdem sie allein war, mit ihrem 
Gewohnheitsseufzer "Meine Beine, meine Beine" niedergelassen. Der 
duftige Trank regte ihre Lebensgeister an, der Kuchen war nach ihrem 
Geschmack vortrefflich geraten, und ein seltsames Wohlgefühl 
überkam sie. 
Aus einer der über ihrem Keller gelegenen Etagenwohnungen drang 
gedämpftes Klavierspiel zu ihr: Zwei Teile des Donauwalzers von 
Strauß und dann Ketterers beliebtes Salonstück "Silberfischchen". 
"Schnutentante klimpert wieder", sagte die Wittfoth im Selbstgespräch. 
Schnutentante war eine vierzehnjährige "höhere Tochter", der sie 
wegen ihrer das Normalmaß überschreitenden Nase diesen Namen 
beigelegt hatte. 
Aber das Klimpern war der einsamen Kaffeetrinkerin nicht 
unangenehm. Die Musik stimmte sie sentimental. Das Gefühl des 
Alleinseins überkam sie, die wohlthuende Empfindung des Mitleids mit 
sich selbst. 
Das Wetter draußen war fortgesetzt unfreundlich. Der Wind warf 
einzelne Regen- und Schneeschauer gegen die Fenster, die in gleicher 
Höhe mit dem Trottoir lagen. 
Frau Wittfoth freute sich doch, zu Hause geblieben zu sein. Der Ofen 
strahlte so gemütliche Wärme aus. Gott sei Dank, daß sie nicht draußen 
"rumzupatschen" brauchte. 
Aber die Musik von oben führte ihre Gedanken den jungen Leuten nach, 
ins Konzerthaus. Sie hörte so gerne Musik. Als ihr Seliger noch lebte, 
besuchten sie häufig die Gartenkonzerte bei Mutzenbecher, jetzt 
Hornhardt, auf St. Pauli, oder im "Zoologischen". 
Das war lange her. 
Jetzt, mit den Jungen, machte es ihr nur halbes Vergnügen. Sie fühlte 
sich überflüssig in deren Gesellschaft.
Aber war sie denn nicht auch noch jung? Waren denn fünfunddreißig 
Jahre ein Alter? 
Zu den achtzehnjährigen Backfischen allerdings paßte sie nicht mehr. 
Aber um schon auf alle    
    
		
	
	
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