etwas Feierliches, wenn die 
Knaben singen und die Orgel dazu spielt." 
Therese begleitete die Tante regelmäßig in die Kirche, besuchte auch 
häufig allein den Gottesdienst. Ihr war die Erbauung aufrichtiges 
Herzensbedürfnis. Sie hatte den Glauben der hier auf Erden zu kurz
Gekommenen an den Himmel und seine ausgleichenden Freuden. Wie 
alle Angelegenheiten des Herzens, umfaßte sie auch diese Dinge mit 
großer Innigkeit und fühlte sich dabei in schmerzlichem Gegensatz zur 
Tante, die auch hier ihre Oberflächlichkeit nicht verleugnete. 
"Ach, ich glaub an gar nichts", erklärte die Wittfoth einmal. "Mir soll's 
auch einerlei sein. Sterben müssen wir alle, und von oben ist noch 
keiner lebendig wieder runter gekommen". 
Eine geheime Angst hatte die kleine Frau vor dem 
Lebendig-begraben-werden. Wenn es irgend anginge, sollte man sie 
nach ihrem Tode verbrennen, nur nicht "einpurren". 
"Dann könnt Ihr meine Asche in alle Winde streuen. Dann seid Ihr 
mich los", sagte sie. "An mein Grab kommt ja doch niemand, da ist es 
besser, Ihr verbrennt mich gleich". 
Vor der Kirchenthür trafen Therese und ihre Tante auf Frau Behn mit 
ihren Töchtern. 
"Na, Frau Behn, auch'n bischen hier?" fragte die Wittfoth. 
"Dat is ja nu mal de Dag dorto", meinte die Angeredete, die zum 
Aerger ihrer vornehmen Aeltesten gerne platt sprach. 
Fräulein Lulu musterte mit lässigem Gruß die Toiletten der Tante und 
Nichte. 
"Dann beten Sie man recht", lachte die Wittfoth der Mutter zu, glätte 
schnell die Falten ihres vergnügten rundlichen Gesichts zu 
andachtsvollem demütigem Ausdruck und drängte sich mit dem 
allgemeinen Strom durch den etwas engen Eingang in die freundliche, 
erst neu erbaute Kirche. 
Mimi Kruse hütete inzwischen den Laden. Ihr war die Kirche nichts als 
ein Haus mit einem Turm. Seit ihrer Konfirmation hatte sie nur einmal 
wieder eine Predigt gehört, das heißt, eine solche in den Kauf 
genommen zu dem Gesang des Kirchenchors, um dessen willen eine
Freundin sie mit in die Kirche "geschleppt" hatte. Denn der 
Kirchenchor war gerade Mode geworden. 
"Wenn das Herz man gut ist, das Beten thut's nicht", behauptete sie, 
und entschlug sich im Vertrauen auf ihr gutes Herz aller christlichen 
Uebungen. 
Auch jetzt hatte sie statt des Gesangbuches den Generalanzeiger neben 
sich auf dem Fensterbrett liegen und überflog den Roman im Feuilleton. 
Ihre Gedanken weilten jedoch nur zur Hälfte bei der schnöde 
verlassenen Gräfin, die andere Hälfte gehörte dem blauen Kleid, das sie 
am Nachmittag anziehen wollte, und an dem noch allerlei kleine 
Ausbesserungen und Aenderungen vorzunehmen waren. 
Mimi wollte hübsch sein an Hermanns Seite, der mit seinem 
sonntäglichen, dunkelblauen Ueberzieher, dem weichen hellgrauen 
Filzhut, den "Bismarckfarbenen" und der goldnen Brille immer so 
nobel aussah. 
Wenn er nur nicht so langweilig sein wollte, so lästig durch seine 
unaufhörliche Kurmacherei. Am meisten zuwider war ihr sein 
beständiges, verliebtes Anlächeln. Ihr Schlag am Freitag Abend war 
ernst gemeint gewesen. Sie haßte diese "Antatzerei", wie sie es nannte. 
Als er dann der Länge nach auf dem Fußboden lag, war er ihr sehr 
lächerlich erschienen. 
Heute aber, zum Ausgehen, war er ihr gut genug. Er war nicht 
"angewachsen", gab gerne und mit einer gewissen Prahlerei. Mimi 
dachte schon an die Chokolade, Törtchen und Liqueure, die er ihr am 
Nachmittag spendieren würde. 
Ein wenig Schatten in ihre Vorfreude warfen nur die Wolken, die in 
kürzeren oder längeren Zwischenräumen die Sonne überzogen. Besorgt 
sah sie auf. Es wäre doch zu ärgerlich, wenn sich das Wetter nicht 
halten würde. Wenn es regnete, was sollte sie dann anziehen? 
Und wirklich fielen jetzt große, schwere Tropfen, denen sich bald 
weiche, zerfließende Schneeflocken beimischten, gegen die Scheiben.
Mimi nahm eine Rolle Zwirn und warf sie wütend durch das ganze 
Zimmer. Ihre Stirn legte sich in bitterböse Falten, und dem unmutig 
verzogenen Mund entfuhr ein derbes Wort. 
Die Flocken verdichteten sich, die Sonne verschwand ganz. Wirbelnd 
fegte der lose Schnee um die Straßenecken, als wäre es Weihnachtszeit 
und nicht Ostern. 
Trotzdem stellte sich Hermann am Nachmittag zur bestimmten Stunde 
ein, in Gummischuhen und dickem Flausrock. Statt des hellen, weichen 
Künstlerhutes schwenkte er eine steife, bienenkorbartige 
Kopfbedeckung heftig in der Hand, um sie von den Schneeflocken zu 
befreien. Da die benäßte, angelaufene Brille ihn am Sehen hinderte, 
blieb er unbeholfen in der Thür stehen. 
"Eine schöne Bescherung, meine Damen, der reine Winter", näselte er 
verschnupft. 
"Wie schade", bedauerte Therese. "Aber vielleicht klärt sich's noch 
auf." 
"Klärt sich was", brummte Mimi. "Wird'n netter Matsch sein." 
"O, ich stelle Ihnen meine Galoschen zur Verfügung, gnädiges 
Fräulein", scherzte Hermann. 
"Höchst ungnädiges Fräulein", verbesserte Therese. "Mimi trauert um 
ihr helles Kleid." 
"Fällt mir nicht ein", leugnete diese. In Wahrheit war sie sehr 
mißgestimmt, sich nicht nach Vorhaben putzen zu können. Auch 
Hermann sah nicht so aus daß man viel Staat mit ihm machen konnte. 
Eine verfehlte Partie, dachte sie. 
"Meinetwegen laßt uns zu Hause bleiben," meinte aufrichtig Therese. 
"Mir ist's auch gleich", stimmte Mimi bei, und die Partie drohte 
wirklich noch im letzten Augenblick zu Wasser zu    
    
		
	
	
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