steht; bis endlich doch die vorgehaltene 
Lockspeise und die bunten Schäferbilder, die drinnen auf die Wände 
gemalt sind, mich bewegen, hineinzutreten. 
Mir ist, als hätte ich es mit einem besonders angenehmen Gefühl mit 
angesehen, wie Anne Lene von meiner Mutter auf den Schoß 
genommen und geküßt wurde. Späterhin mögen die Männer, wie es 
dort gebräuchlich ist, zur Besichtigung der Rinder auf das Land 
hinausgegangen sein; denn ich habe die Erinnerung, als sei bald eine 
Stille um mich gewesen, in der ich nur die sanfte Stimme meiner 
Mutter und andre Frauenstimmen hörte. Anne Lene und ich spielten 
unter dem Tische zu ihren Füßen; wir legten den Kopf auf den 
Fußboden und horchten nach dem Wasser hinunter. Zuweilen hörten 
wir es plätschern; dann hob Anne Lene ihr Köpfchen und sagte: "Hörst 
du, das tut der Fisch!" Endlich gingen wir ins Haus zurück; es war kühl, 
und ich sah die Büsche des Gartens alle im Schatten stehen. Dann fuhr 
der Wagen vor; und in dem Schlummer, der mich schon unterwegs 
überkam, endete dieser Tag, von dem ich bei ruhigem Nachsinnen nicht 
außer Zweifel bin, ob er ganz in der erzählten Weise jemals dagewesen,
oder ob nur meine Phantasie die zerstreuten Vorfälle verschiedener 
Tage in diesen einen Rahmen zusammengedrängt hat. 
 
Späterhin, als sich allmählich die Hilfsbedürftigkeit des Alters 
einstellte, zog die Frau Ratmann van der Roden mit ihrer Enkelin in die 
Stadt und ließ den Hof unter der Aufsicht des früheren Bauknechtes 
Marten und seiner Ehefrau, der alten Wieb. Vor dem Hause, welches 
sie einige Straßen von dem unsern entfernt bewohnte, standen granitne 
Pfeilersteine, die durch schwere eiserne Ketten miteinander verbunden 
waren. Wir Jungen, wenn wir auf unserm Schulwege vorübergingen, 
unterließen selten, uns auf diese Ketten zu setzen und, mit Tafel und 
Ranzen auf dem Rücken, einige Male hin und her zu schaukeln. Aber 
ich entsinne mich noch gar wohl, wie wir auseinanderstoben, wenn 
einer von uns das Gesicht der alten Dame hinter den Geranienbäumen 
am Fenster gewahrte, oder gar, wenn sie mit einer gemessenen 
Bewegung den Finger gegen uns erhoben hatte. 
Desungeachtet ließ ich mir gern, was öfters geschah, vom Vater eine 
Bestellung an sie auftragen. Ich weiß nicht mehr, war es das kleine 
zierliche Mädchen, das mich anzog, oder war es die alte Schatulle, 
deren Raritäten ich in besonders begünstigter Stunde mit ihr beschauen 
durfte; die goldenen Schaumünzen, die seidenen, bunt bemalten Fächer 
oder oben auf dem Aufsatz der Schatulle die beiden Pagoden von 
chinesischem Porzellan, die schon vom Flur aus durch die Fenster der 
Stubentür meine Augen auf sich zogen. Am Sonnabendnachmittag 
stellte ich mich regelmäßig ein, um die Frau Ratmann mit der kleinen 
Anne Lene zum Sonntag auf den Kaffee einzuladen, was bis zur letzten 
Zeit vor ihrem Absterben ebenso regelmäßig von ihr angenommen 
wurde. Am Tage darauf präzise um drei Uhr hielt dann die schwere 
Klosterkutsche vor unsrer Haustreppe; unsre Mägde hoben die alte 
Dame und ihr Enkelchen aus dem Wagen, und meine Mutter führte sie 
in das Festzimmer des Hauses, das schon von dem Dufte des Kaffees 
und des sonntäglichen Gebäckes erfüllt war. Wenn dann die 
Enveloppen und Tücher abgelegt waren und die beiden Damen sich 
gegenüber an dem sauber servierten Tische Platz genommen hatten, 
durften auch wir Kinder uns an ein Nebentischchen setzen und
erhielten unsern Anteil an den "Eiermahnen" und "Bieschen", oder wie 
sonst die schönen Sachen heißen mochten. Mir ist indessen, wenn ich 
dieser Sonntagnachmittage gedenke, als sei ich niemals unglücklicher 
in den Versuchen gewesen, meinen Kaffee aus der Ober- in die 
Untertasse umzuschütten; und ich fühle noch die strengen Blicke, die 
mir die alte Dame von ihrem Sitze aus hinübersandte, während meine 
Mutter mir meine kleine Gespielin zum Muster aufstellte, von der ich 
mich nicht entsinne, daß sie jemals beim Trinken die Serviette oder ihr 
weißes Kleid befleckt hätte. 
Ein solcher Sonntagnachmittag, nachdem schon einige Jahre in dieser 
Weise vorübergegangen waren, ist mir besonders im Gedächtnis 
geblieben.--Ich hatte mich in dem angenehmen Bewußtsein des 
Feiertages in unserm Hofe umhergetrieben und war endlich in das 
Waschhaus gelangt, das am Ende desselben lag. Auch hier hatte sich 
der Sonntag bemerklich gemacht; die föhrenen Tische waren 
gescheuert, die holländischen Klinker, womit der Boden gepflastert war, 
sahen so feucht und frisch gespült aus; dabei war eine so liebliche 
Kühle, daß ich mich fast gedankenlos an einen Tisch lehnte und auf das 
träumerische Gackeln der Hühner lauschte, das aus dem anstoßenden 
Hühnerhof zu mir hereindrang. Nach einer Weile hörte ich drunten im 
Wohnhause aus der im Erdgeschoß befindlichen Küche das 
Kaffeegeschirr herauftragen, das Klirren der Tassen und Kaffeelöffel; 
und endlich vernahm ich auch von der Straße her das Anfahren der 
Kutsche und bald darauf das Aufschlagen der Haustür. Aber das süße 
Gefühl, die Nachmittagsfeier so ganz unangebrochen vor mir zu haben, 
ließ mich immer noch zögern, ins Haus hinabzugehen. Da vernahm ich 
das Summen des Fliegenschwarms, der in der Sonne    
    
		
	
	
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