ich rückwärts mit meinen Gedanken und suche nach 
den Plätzen, die von der Erinnerung noch ein spärliches Licht 
empfangen, so sehe ich mich als etwa vierjährigen Knaben mit meinen 
beiden Eltern auf einem offenen Wagen über den ebenen Marschweg 
dahinfahren; ich fühle plötzlich den Sonnenschein mit einem kühlen 
Schatten wechseln, der an der einen Seite von ungeheuren Bäumen auf 
den Weg hinausfällt; und während ich meinen kleinen Kopf über die 
Lehne des Wagenstuhle recke, um den breiten Graben zu sehen, der 
sich neben den Bäumen hinzieht, biegen wir gerade in die Schatten 
hinein und durch ein offenstehendes Gittertor. Ein großer Hund fährt 
wie rasend an der Kette aus seinem beweglichen Hause auf uns zu; wir 
aber kutschieren mit einem Peitschenknall auf den Hof hinauf bis vor 
die Haustür, und ich sehe eine alte Frau im grauen Kleide, mit einem 
feinen blassen Gesicht und mit besonders weißer Fräse auf der 
Schwelle stehen, während Knecht und Magd eine Leiter an den Wagen 
legen und uns zur Erde helfen. Noch rieche ich auf dem dunkeln 
Hausflur den strengen Duft der Alantwurzel, womit die 
Marschbewohner zur Abwehr der Mücken allabendlich zu räuchern 
pflegen; ich sehe auch noch meinen Vater der alten Dame die Hand 
küssen; dann aber verläßt mich die Erinnerung, und ich finde mich erst 
nach einigen Stunden wieder, auf Heu gebettet, eine warme 
sommerliche Dämmerung um mich her. Ich sehe an den aus Heu und
Korngarben gebildeten Wänden empor, die um mich her zwischen vier 
großen Ständern in die Höhe ragen, so hoch, daß der Blick durch ein 
wüstes Dunkel hindurch muß, bis er aufs neue in eine matte 
Dämmerung gelangt, die zwischen zahllosen Spinngeweben aus einem 
Dachfensterchen hereinfällt. Es ist das sogenannte Vierkant, worin ich 
mich befinde. Der zum Bergen des Heues bestimmte Raum im Innern 
des Hauses, wovon das Hofgebäude in unsern Marschen die 
eigentümlich hohe Bildung des Daches und seinen Namen "Heuberg" 
oder "Hauberg" erhalten hat.--Es ist volle Sonntagsstille um mich her. 
Aber ich bin hier nicht allein; in der gedämpften Helligkeit, die durch 
die offene Seitenwand aus der angrenzenden Loodiele hereinfällt, steht 
ein Mädchen meines Alters; die blonden Härchen fallen über ein blaues 
Blusenkleid. Sie streckt ihre kleinen Fäuste über mir aus und bestreut 
mich mit Heu; sie ist sehr eifrig, sie stöhnt und bückt sich wieder und 
wieder. "So", sagt sie endlich und atmet dabei aus Herzensgrunde, "so, 
nun bist du bald begraben!" Und wie ich eine Weile regungslos daliege, 
sehe ich durch die lose mich bedeckenden Halme, wie sie ihr Köpfchen 
zu mir niederbeugt, und wie sie dann plötzlich kehrtmacht und sich zu 
einer alten Bäuerin hinarbeitet, die mit einem Strickstrumpf in der 
Hand uns gegenübersitzt. "Wieb", sagt sie, indem sie der Alten die 
Hand von der Wange zieht, "Wieb, ist er tot?" 
Was die Alte darauf geantwortet, dessen entsinne ich mich nicht mehr; 
wohl aber, daß wir bald darauf durch einen dunkeln Gang auf den 
Hausflur und von dort eine breite Treppe hinauf in die obern Räume 
des Hauses geführt wurden, in ein großes Zimmer mit goldgeblümten 
Tapeten, in welchem viele Bilder von alten weiß gepuderten Männern 
und Frauen an den Wänden hingen. Meine Eltern und die übrigen Gäste 
sind eben von einer gedeckten Tafel aufgestanden, die sich mitten im 
Zimmer unter einer großen Kristallkrone befindet. Bald sitze ich, in 
eine Serviette geknüpft, der kleinen Anne Lene gegenüber; Wieb steht 
dabei und serviert uns von den Resten. Ich befinde mich sehr wohl; nur 
zuweilen stört mich ein Krächzen, das aus der Ferne zu uns 
herüberdringt. "Höre!" sage ich und hebe meine kleinen Finger auf. Die 
alte Wieb aber kennt das schon lange. "Das sind die Raben", sagt sie, 
"sie sitzen im Baumgarten, wir wollen sie nachher besuchen."--Aber 
ich vergesse die Raben wieder; denn Wieb teilt zum Dessert noch die
Zuckertauben von einer Konditortorte zwischen uns; nur scheint es 
nicht ganz unparteiisch herzugehen, denn Anne Lene erhält immer die 
Hahnenschwänze und die Kragentauben. 
Etwas später sehe ich die Gesellschaft auf den geschlungenen 
Gartenwegen zwischen den blühenden Büschen promenieren; die alte 
Dame mit der Fräse, welche am Arme meines Vaters geht, beugt sich 
zu mir niedere und sagt, indem sie mir den Kopf aufrichtet: "Du muß 
dich immer hübsch gerade halten, Kind!" Ich glaube noch jetzt, daß 
von dieser kleinen Ermahnung sich der fast scheue Respekt her schreibt, 
den ich, solange sie lebte, vor dieser Frau behalten habe.--Doch schon 
faßt Wieb mich bei der Hand und führt uns weit umher auf den 
sonnigen Steigen; zuletzt bis zur Graft hinunter, an der ein gerader 
Steig entlang führt. So gelangen wir zu einem Gartenpavillon, in 
welchem die Gesellschaft bei offenen Türen am Kaffeetische sitzt. Wir 
werden hereingerufen, und da ich zögere, nimmt meine Mutter einen 
Zuckerkringel aus dem silbernen Kuchenkorb und zeigt mir den. Aber 
ich fürchte mich; ich habe gesehen, daß das hölzerne Haus auf dünnen 
Pfählen über dem Wasser    
    
		
	
	
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