Memoiren einer Sozialistin | Page 2

Lily Braun
dicken Mauern und der Graben ringsum
erinnern noch an seinen Ursprung. Ein Ordensbruder soll es gewesen
sein, der als einer der ersten im Samland zur Lehre Luthers übertrat, --
nicht aus Gewissenszwang, denn das hätte dem blonden derben Junker
aus dem thüringischen Geschlecht der Golzows wenig ähnlich gesehen,
sondern aus Liebe zu einem schönen Fräulein, die ihn das
Keuschheitsgelübde brechen hieß. Er wurde auf dem Schloß von
Pirgallen der Stammvater des preußischen Zweigs der Familie und der
Vorfahr meines Großvaters. Mit dem Besitz schien sich aber auch die
lebenbestimmende Liebesleidenschaft des Ahnherrn von Generation zu
Generation zu vererben. Nur selten fügte sich ein Golzow dem Rate der
Familiensippe, wenn es galt, sich die Eheliebste zu wählen, und so
wurden viele fremde Blumen in den nordischen Garten verpflanzt.
Manch eine mag dabei im Frost erstarrt, vom Meersturm zerzaust
worden sein, andere aber blühten, trugen Frucht und streuten den
Samen ihrer Heimaterde in das Land, wo er üppig aufging, so daß es
zwischen den gelben Dünen, den weißen Birkenstämmen und knorrigen
Eichen gar seltsam anzuschauen war.
Auch meine Großmutter war solch eine fremde Blume gewesen: ein
Kind der Liebe, dem heimlichen Bund eines Königs mit einem kleinen
elsässischen Komteßchen entsprossen. Und sie war wohl nie recht
heimisch geworden da oben. Sie fror immer, saß auch im Sommer gern
am Kaminfeuer der Halle, und schwere schleppende Samtkleider, mit

Pelz verbrämt, trug sie am liebsten. Sie blieb auch einsam trotz der
großen Kinderschar, die sie umgab. Das Blut der Golzows war
lebenskräftiger als das ihre, denn all die Buben und Mädeln, die sie
gebar, waren nicht eigentlich ihre Kinder: mit hellen blauen Augen aus
rosigweißen Gesichtern blickten sie in die Welt, und Jagd und Tanz,
Spiel und Liebe blieb ihnen Lebensinhalt.
An meine Mutter, ihr jüngstes Kind, die goldblonde Ilse, hatte sie sich
mit aller Kraft ihrer Sehnsucht geklammert. Lange hoffte sie, sich
selbst in ihr wiederzufinden, und verdeckte mit den bunten Gewändern
ihrer Phantasie in zärtlicher Selbsttäuschung alles, was ihr fremd war
an ihrer Tochter. Sie half ihr auch den Starrsinn des Vaters brechen, der
sich ihrer Verbindung mit einem armen Infanterieleutnant widersetzte.
Die Ehe mit dem ernsten, strebsamen Mann würde, so meinte sie, ihr
eigentliches Wesen erst zur Entfaltung bringen, -- das Wesen, das sich
schon deutlich genug dadurch auszudrücken schien, daß ihre Wahl
unter allen ihren glänzenden Bewerbern grade auf diesen gefallen war.
Sie wußte nicht, daß nur der Rausch Golzowscher Liebesleidenschaft --
heiß und kurz, wie die Sommer Pirgallens -- Ilse beherrschte. Ihr Gatte
kannte die Tochter besser als sie, darum gab er die Hoffnung nicht auf,
statt des »heimatlosen Landsknechts«, wie er ihren Erwählten, den
Leutnant Hans von Kleve, spöttisch nannte, einen der Standesherrn des
Landes als Schwiegersohn zu begrüßen.
Kleve besaß nichts als seinen guten Namen und seinen Ehrgeiz.
Nachdem sein Vater, ein leichtsinniger Gardeleutnant, mit dem
spärlichen Rest seines rasch verjubelten Vermögens und einer lustigen
kleinen Frau, deren bürgerliche Herkunft ihn den schönen bunten Rock
auszuziehen zwang, ein Gütchen in der Nähe Berlins erworben hatte,
um dort nichts zu tun, als zu sterben, war seiner Mutter kaum das
notwendigste übrig geblieben, um ihn und seine vier Geschwister zu
erziehen. Wie gut, daß sie an Arbeit gewöhnt gewesen war ihr Leben
lang! Zu stolz, die reichen Verwandten ihres Mannes, die sie ihrer
Herkunft wegen nie hatten anerkennen wollen, in Anspruch zu nehmen,
zog sie sich in eine kleine märkische Stadt zurück, wo sie ihre Kinder
mit eiserner Strenge und in spartanischer Einfachheit erzog. Hans war
zwölf Jahre alt, als er in diese harte Schule genommen wurde. Er

empfand die Beschränktheit des Lebens am tiefsten und litt ständig
unter den Anforderungen, die seine Mutter an seine geistige und
moralische Leistungskraft stellte. Sein Liebesbedürfnis fand wenig
Verständnis bei ihr, die unter dem dauernden Druck quälender Sorgen
die Zärtlichkeit glücklicher Mütter eingebüßt hatte. Eine Schwester, die
ihm im Alter am nächsten stand, und der er sein ganzes Herz zuwandte,
wurde ihm früh durch väterliche Verwandte, die sich plötzlich der
armen Witwe und ihrer Kinder erinnert hatten, entrissen; so blieb er
ganz auf sich allein angewiesen und konzentrierte all seine Energie auf
das eine Ziel: sich selbst das Leben zu erobern.
Mit sechzehn Jahren machte er das Abiturientenexamen und trat in ein
Königsberger Infanterieregiment ein. Kavallerist zu werden, was er
sich gewünscht hatte -- denn die Reiterleidenschaft saß ihm tief im
Blute --, erlaubten seine Mittel ihm nicht, und die Schwester, die von
ihrem reichen Onkel wie ein eignes Kind gehalten wurde, hatte dem
Bruder, -- um ihre persönliche Stellung besorgt, -- rundweg
abgeschlagen, eine Zulage für ihn zu erbitten. Von selbst reichte des
Onkels Generosität über das Geburtstags- und Weihnachtsgoldstück
und gelegentliche Urlaubsreisen nach dem Familiengut in Oberfranken
nicht hinaus, und so bestand des jungen Mannes Dasein in
unaufhörlichen Verzichtleistungen. Er lebte nur seinem Beruf; sein
Empfindungsleben schien durch die Arbeit völlig erstickt
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