Die ungleichen Schalen | Page 3

Jakob Wasserman
lammsherzig und matt.
Lassunsky
Acht' auf deine Worte.
Chidrowo
Acht' du auf deine Freiheit, auf deine M?nnlichkeit!
Lassunsky
St��nden wir nicht hier, Fedor Alexandrowitsch --
Chidrowo
(wild)
Hier oder anderswo. Wer gut von Orlow redet, spricht schlecht von mir.
(Graf Alexei Rasumowsky tritt langsam von rechts ein. Er ist mit einem langen, schwarzen Sammetgewand bekleidet und hat eine goldne Kette um den Hals. In der Hand tr?gt er die Kasansche Bibel. Er erscheint zun?chst h??lich mit seinem eingefallenen, alten, mi?trauisch finstern Gesicht, an dem die Backenknochen stark hervortreten und die schneewei?en Brauen wie dicke W��lste h?ngen, indes der Kinnbart sch��tter und zottig ist. Aber sein Wesen hat eine bewundernswerte W��rde, und wenn er, um zu schauen, die Lider hebt, was nicht h?ufig geschieht, ist sein Blick strahlend rein und von seltsamer, kindlicher Wehmut. Die beiden Offiziere wenden sich von einander und begr��?en ihn mit schweigender tiefer Verbeugung.)
Rasumowsky
Streit in meinem Hause? (Langes Schweigen.) Was ist geschehen, Rittmeister Chidrowo, da? Ihre Augen so funkeln?
Chidrowo
(finster)
��ble Neuigkeiten, Erlaucht.
Rasumowsky
Nichts Schlimmeres in der Welt als Neuigkeiten. Weshalb sind Sie hier, zu so fr��her Stunde?
Chidrowo
Ich sollte den Gro?kanzler Woronzow anmelden.
Lassunsky
Graf Woronzow ist auf der Fahrt hierher von Soldaten ��berfallen worden.
Rasumowsky
Hat Ru?land keinen Zaren mehr?
Chidrowo
Es hat eine Zarin.
Rasumowsky
Gott schenke ihr Weisheit. (Kopfsch��ttelnd.) Woronzow auf dem Weg zu mir ... Was hat das zu bedeuten?
Lassunsky
Die Zarin hat den Kanzler wegen der neuen Mariage zu Euer Erlaucht geschickt.
Rasumowsky
Wegen der neuen Mariage? Bin ich ein Pope?
Lassunsky
Der Kanzler sollte eine geheime Erkundigung einziehen.
Rasumowsky
(l??t sich auf dem Armsessel vor dem Kamin nieder und legt die Bibel auf seinen Scho?)
Das geh?rt auch zu den Neuigkeiten der Welt, da? mit lauter Geheimnissen regiert wird.
Lassunsky
Die Sache verh?lt sich so, Erlaucht: Da ganz Petersburg gegen die projektierte Heirat der Zarin mit Orlow gestimmt ist, so hat man endlich ein Mittel gefunden, um die Geister zu beschwichtigen, man hat auf die Ehe Euer Erlaucht mit der verstorbenen Kaiserin Elisabeth Petrowna hingewiesen.
Rasumowsky
Wie? So weit h?tte man sich vermessen? Und wem ist dieser schamlose Gedanke gekommen?
Lassunsky
Offenbar stammt er von den Br��dern Orlow. Was ihr f��r unm?glich haltet, sagten sie, ist ja schon einmal geschehen, ohne da? die Welt eingest��rzt ist. Graf Rasumowsky ist ja da, gehen wir hin zu ihm.
Chidrowo
Die Narren!
Rasumowsky
Und was sagte die Kaiserin dazu?
Lassunsky
Die Kaiserin soll gesagt haben: von dieser Ehe wei? die Welt nichts, aber wenn ihr mir den schriftlichen Beweis erbringt, da? zwischen dem Grafen Rasumowsky und der hochseligen Zarin eine Heirat wirklich stattgefunden hat, will ich mich f��gen.
Chidrowo
Das hat die Kaiserin gesagt?
Lassunsky
Doch als die Orlows sich anheischig machten, zu Euer Erlaucht zu gehen, wollte die Kaiserin pl?tzlich nichts davon wissen. Sie gebot, da? Graf Woronzow den Auftrag ��bernehmen sollte, vielleicht weil sie den Ungest��m der Br��der Orlow f��rchtete, vielleicht, weil sie in Wirklichkeit gar nicht w��nscht, was sie zu w��nschen scheint. Heut um die achte Stunde befahl der Kanzler seinen Wagen, und vor der Kasan-Kathedrale geschah es dann --
Chidrowo
(am Fenster, mit ausgestreckter Hand)
Da sind Orlows Leute! (Stimmen und Waffenl?rm vor dem Haus.)
Rasumowsky
(steht auf)
Und du vermutest, da? der ��berfall vom Grafen Orlow angestiftet worden ist? (Schaut gegen den Erker.)
Lassunsky
Ja, Erlaucht.
Rasumowsky
So w?re es augenscheinlich, da? Orlow dem Befehl der Kaiserin zuwidergehandelt hat --? (Man h?rt heftiges Klopfen am Tor.)
Chidrowo
Sie begehren Einla?.
Rasumowsky
(erstaunt)
Einla? begehren sie? Das Tor ist offen. War's denn nicht auch f��r euch ge?ffnet?
Lassunsky
(z?gernd)
Ich habe die Tore schlie?en lassen.
Rasumowsky
Die Tore meines Hauses?
Chidrowo
Ich denke, Erlaucht, man kann nicht mehr daran zweifeln, da? Orlow den Kanzler ��berfallen lie?, um ihn dingfest zu machen.
Rasumowsky
Die Tore meines Hauses? (Lassunsky senkt schweigend den Kopf.) Soll Orlow glauben, da? ich vor ihm zittere?
Chidrowo
Wie, Erlaucht, Sie wollen Orlow empfangen? (Erneutes Pochen von unten.)
Rasumowsky
Geh, Michael Jefimowitsch, und sag, da? das Tor aufgesperrt werde.
Lassunsky
(flehend)
Erlaucht --
Rasumowsky
Klang es doppelz��ngig, was ich gesagt?
Lassunsky
(geht schweigend ab --)
Chidrowo
(verschr?nkt die Arme; vor sich hin)
Verloren, M��tterchen Ru?land, verloren ...
Rasumowsky
Eure Gro?m?uligkeit, was ist sie nutze? Ist euer Nein Vernunft, euer Ja ��berlegung? Ich will sehen. Sehen und h?ren will ich, dazu gab mir Gott Augen und Ohren. Und wenn ich gesehen und geh?rt habe, dann will ich w?gen, dazu hat mir Gott die Erfahrung eines langen Lebens zuteil werden lassen.
Lassunsky
(kommt zur��ck)
Major Nischinski ist es, man hat ihn vorausgesandt, um Euer Erlaucht den Grafen Orlow zu melden.
Rasumowsky
Ich bin bereit.
Chidrowo
(noch leiser als oben)
Verloren, M��tterchen Ru?land, verloren ...
Lassunsky
Ich sagte ihm, da? ich die Meldung ��bernehmen will.
Rasumowsky
(wie mit sich selber redend)
In ein Antlitz zu schauen, das hei?t, Entschl��sse vom Schicksal selbst empfangen. L?ufst du hinauf die steile Bahn, Orlow, ohne da? dein Herz klopft, so will ich pr��fen, was f��r ein Ruf dich ereilt, was dich zaudern macht, was dich feurig macht, was dich grausam macht, was dich weckt. (Ekstatisch bewegt.) Nicht richten will ich, nur Werkzeug eines Richters sein und handeln -- wie ich mu?. (Mit der fr��heren Stimme.) Michael Jefimowitsch!
Lassunsky
(der das Gesicht abgewandt und die eine Hand ��ber die Augen gelegt hatte)
Erlaucht --?
Rasumowsky
Wie geht es meiner Nichte Sofia?
Lassunsky
Wir erwarten t?glich ihre Niederkunft, Erlaucht.
Rasumowsky
Bete f��r einen Knaben. Gott schenk uns Helden. (Man h?rt Schritte, Stimmengesurr, S?belklirren.)
Rodion
(rei?t die
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