Charaktere und Schicksale | Page 3

Hermann Heiberg
auch sehr beschäftigenden Brief, der keine
Unterschrift trug und durch eine Schreibmaschine hergestellt war, noch
einmal durch. Er lautete:
"Sehr geehrter Herr!
Es wird Sie dieser Tage--ich hörte es in dem Wiener Café von Bauer
zufällig--ein Baron von Klamm besuchen. Da ich ihn sehr genau kenne,
so erlaube ich mir, Sie vor ihm zu warnen. Er ist durchaus
unzuverlässig!

Denken Sie diesmal nicht: Anonyme Zuschriften gehören, ohne
beachtet zu werden, ins Feuer.
M.P."
Nachdem Herr Knoop diese beiden Briefe in seinem Pulte verschlossen
hatte, klingelte er. Er übergab neben anderen Anweisungen dem
Faktotum und Büreaudiener Adolf, einem Mann, der dadurch auffiel,
daß er runde, stählerne Ohrringe trug, die Mappen, und hieß ihn auch,
die draußen Wartenden nach der Reihe ihres Eintreffens ins Zimmer
treten zu lassen.
Zuerst erschien ein fremder Setzer. Er bat um Arbeit, und wurde von
Herrn Knoop zum Accidenzfaktor gesandt. Nach ihm kam eine sauber
gekleidete Frau und bat um einen Vorschuß für die Familie. Ihr Mann
arbeitete im Papierlager, war fleißig und gewissenhaft.
Sie brauchte das Geld für ihren Sohn, der lange krank gewesen war und
nun überseeisch sein Glück versuchen sollte.
Herr Friedrich Knoop ging an den Geldschrank, nahm zwei Geldstücke
heraus und sagte:
"Hier, Frau Bendler! Ich schenke Ihnen das! Vorschüsse gebe ich nur in
äußersten Fällen! Das wissen Sie! Und ein andermal lassen Sie Ihren
Mann kommen und dergleichen vorbringen. Die Frauen will ich nicht
anhören. Da könnten alle heranlaufen, und ich hätte eine schöne Last--"
"Gottes Segen, Herr Knoop, und vielen Dank noch! Und nehmen Sie't
man nich für unjut, Herr Knoop! Mein Mann--Sie kennen ihm--is bei
so wat mal zu schanierlich--"
"Na ja, das mag sein! Aber! Entweder--oder in Zukunft! Und nun
Adieu! Mög' es Ihnen gut gehen! Grüßen Sie Ihren Sohn Franz.
Hoffentlich gelingt's ihm in Brasilien!"
Nachdem sich die Frau entfernt hatte, erschien der Agent einer
Papierfabrik.

Er machte ein Angebot auf Zeitungspapier.
Herr Knoop trat ans Fenster, ließ das hellere Licht auf den ihm
überreichten Probebogen fallen, betrachtete ihn aufmerksam und sagte,
während er auch noch nach Art der Erfahrenen, die Flächen des Stoffes
zwischen Zeigefinger und Daumen rieb, wie die Zahlungsbedingungen
für 500 Ballen sein würden.
Nachdem er darauf Antwort empfangen, ersuchte er den Agenten, ihm
das Angebot nochmals schriftlich zu machen, und in dem Schreiben zu
bemerken, daß die Fabrik unbedingte Gewähr für ihre Angaben
übernehmen würde.
"Jawohl! Ganz gut! Wenn Gewicht, Fabrikat und Färbung nach dieser
Vorlage geliefert werden können, denke ich, gelangen wir zu einem
Abschluß!" entschied Herr Knoop in einem kurzen Ton.
Hierauf noch ein Knopfnicken und ein verbindliches Handreichen, und
eine andere Persönlichkeit trat in das Gemach.
Ein älteres, unmodisch gekleidetes Fräulein, mit an die Stirnseiten
vorgekämmtem Haar und einem Strickbeutel über dem Arm, erschien
und erörterte, daß sie sich die Erlaubnis nähme.
"Nun ja! Bitte! Was ist's denn? Womit kann ich dienen?" stieß Herr
Knoop heraus.
"Mein Name ist Charlotte von Oderkranz. Ich lebe von einer kleinen
Fideikommiß-Einnahme und habe noch eine Nichte zu ernähren.
"Sie hat ihr Lehrerin-Examen gemacht und sucht eine Stellung als
Gouvernante oder im Fall als Gesellschafterin.
"Hier, bitte, Herr Zeitungseigentümer, ihre Photographie!"
Während dieser Worte nestelte sie den Beutel auf, und zog das Bild
eines jungen, ungewöhnlich schönen Mädchens hervor.
Herr Knoop hatte die Antragstellern schon ersuchen wollen, von

Einzelheiten abzusehen--seine Zeit sei gemessen--aber sein Blick
wurde doch von dieser Photographie allzusehr gefesselt.
"Und was soll ich thun?" nahm Herr Knoop, schon unwillkürlich
zuvorkommender im Ton, das Wort.
"Ja, ich möchte, da wir in unseren Mitteln sehr beschränkt sind,
bitten,--bitten, daß Sie diese Annonce einigemal in den Täglichen
Nachrichten zu einem ermäßigten Preise aufzunehmen die Güte hätten.
Das ist's, das ist's! Wir haben sie auch möglichst kurz gefaßt.--Bitte,
möchten Sie sie einmal lesen, Herr Eigentümer?"
"Ein junges Mädchen aus angesehenem Hause, mit
Lehrerinnen-Zeugnissen versehen, und mit allen Hausarbeiten vertraut,
besonders musikalisch, wünscht eine Stellung als Gouvernante,
Repräsentationsdame oder Gesellschafterin. Offerten an die Expedition
der Täglichen Nachrichten unter Ch.v.O."
Während Herr Knoop den Inhalt studierte, fiel ihm ein, daß es seit
lange seiner Tochter Margaretes höchster Wunsch war, eine derartige
Gefährtin zu besitzen.
Infolgedessen sagte er, kurz entschlossen:
"Bitten Sie doch Ihr Fräulein Nichte, mich morgen vormittag etwa um
diese Zeit hier in meinem Kontor zu besuchen. Ich kann ihr vielleicht,
ohne daß wir eine Anzeige erlassen, dienlich sein!
"Wenn aber nicht, so will ich Ihren Wunsch erfüllen! Ich werde die
Annonce wiederholt in Zwischenräumen ohne Kosten für Sie,
aufnehmen."
"O, sehr, sehr gütig, Herr Eigentümer," stieß die alte Dame, glücklich
überrascht, heraus. "Nehmen Sie innigsten Dank! Und Ileisa wird
Ihrem Wunsch genau nachkommen. Ich werde sie selbst herführen."
"O, nein, nein! Das ist ja nicht nötig, mein Fräulein. Was wollen Sie
sich bemühen"--fiel Herr Knoop, höflich bestimmt, ein und erwartete,

daß die Antragstellern erfreut zustimmen würde. Aber es geschah nicht,
es malte sich vielmehr in ihren Zügen eine mißtrauische Enttäuschung.
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