Charaktere und Schicksale | Page 2

Hermann Heiberg
eher unser
Haus öffnen, bevor er sich sehr genau nach ihm erkundigt hat."
"Kann ja geschehen, Fanny!" fiel Knoop phlegmatisch ein.
"Hm--aber du willst ihn doch schon empfangen?"
"Allerdings, aber ohne Verbindlichkeit für Weiteres.--Auch, wenn er
euch seinen Besuch macht! Nicht wahr, Grete, das will er!?"
Grete nickte.
"Ja, er bat um die Erlaubnis, euch aufwarten zu dürfen. Er möchte gern
bei uns verkehren."
"Hast du Christine von Holm über ihn befragt?" schob die Frau ein.
Christine von Holm war die Tochter des Ehepaars, bei denen Margarete

in einer Abendgesellschaft Baron von Klamm kennen gelernt hatte.
"Was sagt sie, was weiß sie von ihm?"
"Die wissen nichts. Sie haben ihn auf einem Ball beim Kommerzienrat
Kügelchen kennen gelernt.
"Vielleicht vermag der Näheres zu sagen! Papa könnte sich ja dort nach
ihm erkundigen.
"Ist er kein Gentleman, so brauchen wir ihn nicht einzuladen."
"Ich werde schon zutreffende Erkundigungen über ihn einziehen,
Kinder. Vorderhand werde ich mir heute selbst ein Urteil zu bilden
suchen. Also rege dich nicht vor der Zeit unnötig auf, gute Frau
Fanny."
Bei diesen Worten suchte Knoop das Auge seiner Gattin, und sie zog
ein schelmisches Gesicht. Grete aber bemerkte:
"Ich fragte Hauptmann von Uelzen nach ihm. Er sagte, die Klamms
stammten aus Sachsen. Er sei ursprünglich österreichischer Offizier
und dann einige Zeit im Ausland gewesen.
"Er halte sich hier seit anderthalb Jahren auf und suche eine Thätigkeit,
verkehre in den besten Kreisen, und mache immer den Eindruck, daß er
gut bei Kasse sei."
"Nun wohl! Sehr schön! Sorge also für ein gutes Frühstück, Fanny, und
empfangt ihn artig. Wir sehen dann weiter.--Ich muß jetzt--"
Knoop sah nach der Uhr und stand--im übrigen bedächtig im
Wesen--rasch auf, legte die Serviette beiseite, schob den Stuhl mit
einem ihm anhaftenden, starken Ordnungssinn unter den Tisch. Dann
streichelte er, gutmütig lächelnd, Frau und Tochter die Wangen, warf
auch noch beim Fortgehen ein Scherzwort hin und verließ das Zimmer.
Vor dem Garten- und Frühstückssalon befand sich ein schöner, heller
Flur, der in Marmor ausgeführt war. Von ihm führten seitlich Thüren in

die verschiedenen unteren Gemächer. Nach oben vermittelte eine in der
Höhe durch eine Gallerie verbundene Marmortreppe den Auftritt. Dort
befand sich ein großer Tanzsaal mit Nebenstuben, und dort lagen die
Schlafräume, während sich unten die Wohn- und Gesellschaftszimmer
ausdehnten.
Von ihnen führte eine Thür, zu der nur der Herr des Hauses einen
Schlüssel besaß, in den Flügel links. Diesen betrat nun auch Herr
Knoop, durchschritt die Räume, die vom Hofe Licht empfingen, und
begab sich in sein vorn nach der Straße belegenes Kontor.
"Morgen! Morgen!" erfolgte wiederholt, und fand Erwiderung,
während er den Korridor durchmaß.
Redakteure der Zeitungen begaben sich eben grade in ihre Gemächer;
der Faktor, mit Korrekturen in der Hand, kam aus der Druckerei, um
eine Erkundigung im Hauptkontor beim Geschäftsführer einzuziehen,
und in des Chefs Vorzimmer standen und saßen bereits mehrere
Personen, die auf sein Erscheinen warteten.
"Morgen, Herr Knoop!" erfolgte abermals ehrerbietig im Ton, und
wurde durch Kopfnicken beantwortet. Dabei streifte der Chef mit
kurzem, scharfem Blick die Anwesenden, gab seinem herbeieilenden
Faktotum Auftrag, die draußen Wartenden noch zu bescheiden. Er
wolle erst die Post durchsehen, und ließ sich sogleich an seinem
Schreibtisch nieder.--
Das zweifenstrige Zimmer war sehr gediegen ausgestattet und mit allen
praktischen Bequemlichkeiten der Neuzeit versehen. Elektrische
Klingelfäden führten bis an das Pult des Chefs. Verschiedene weiße
Knöpfe waren dort zu sehen und besaßen sämtlich Aufschriften. Sie
gaben an, wer erscheinen sollte, wenn sich der Finger zum Druck auf
ihre Flächen legte. Accidenzfaktor, Zeitungsfaktor, Magazinverwalter,
Prokurist, Hausmeister, Kontordiener hatten verantwortlichere
Stellungen im Knoopschen Geschäft inne und wurden nicht selten in
das Kontor des Chefs befohlen, um seine Wünsche
entgegenzunehmen.--

Unter den vielen Briefen, die Herr Friedrich Knoop zu öffnen und zu
lesen hatte, und die meist mit Bemerkungen versehen, von ihm in
Mappen gethan und vom Büreaudiener den
Geschäfts-Abteilungsvorständen überbracht wurden, befanden sich
heute auch zwei Privatschreiben, die seine Aufmerksamkeit besonders
in Anspruch nahmen.
Das eine war von seinem älteren Bruder, einem zurückgekommenen
Kaufmann, der sich gegenwärtig als Agent in Braunschweig aufhielt.
In diesem Brief standen folgende Worte:
"Ich frage Dich, Friedrich, zum letztenmal, ob Du mir helfen willst.
Wenn Du diesmal meine Zeilen auch nicht beantwortest, mußt Du
gewärtig sein, daß die Zeitungen berichten, welche Ursachen daran
Schuld waren, daß Theodor Knoop zu einem verzweiflungsvollen
Schritt seine Zuflucht nahm. Gedenke unserer verstorbenen Eltern,
gedenke, daß unsere Mutter uns beide unter ihrem Herzen trug, und
überlege, ob ich nicht wenigstens--was auch immer gewesen sein
mag--einer Erwiderung wert bin."--
Herr Friedrich Knoop zog die breite Stirn in dem runden, mit einem
Vollbart umrahmten Gesicht in Falten. Auch erhob er sich und ging--er
war mittelgroß, stark beleibt und gedrungen--eine Weile in seinem
Kontor auf und ab. Das geschah, wenn ihn etwas stark beschäftigte.
Endlich setzte er sich wieder. Er hatte seinen Entschluß gefaßt, und las
nun den zweiten, ihn
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