Cannes und Genua | Page 2

Walther Rathenau
Kraftleistung
und geringsten Kohlenverbrauch seines Schiffes sorgen soll.

Es ist daher schwer zu sagen, die und die Zahlung stellt eine
ausreichende und erträgliche Leistung dar. Es muss aber eine Summe
gefunden werden, deren Schwere erträglich ist und die zugleich der
wirtschaftlichen Lage der empfangsberechtigten Nationen
entgegenkommt.
Wir wissen, dass in Ihrem Kreise Ziffern für 1922 genannt worden sind:
500 Millionen für die Leistungen in bar und 1450 Millionen für die
Sachleistungen einschliesslich der äusseren Besatzungskosten. Ich will
diese Ziffern als Basis meiner Berechnungen wählen. Sollte eine um
220 Millionen höhere Summe genannt werden, so wird das Problem
noch weiter erschwert und gefährdet.
Ich komme nun zur Lage der deutschen Zahlungen. Deutschland ist ein
Land der Lohnarbeit. Es empfängt Rohstoffe, verarbeitet sie und
verkauft die verarbeiteten Erzeugnisse. Die Deutschland nach dem
Kriege verbleibenden eigenen Rohstoffe sind mit Ausnahme der Kohle
unerheblich. Das Kali, von dem so viel die Rede ist, ist nicht so sehr
bedeutend. Dazu kommen sehr kleine Mengen von Kupfer und Zink.
Von allem anderen, was Deutschland braucht zur Behausung, zur
Kleidung, zur Nahrung, muss es das meiste im Auslande kaufen.
Deutschland hat daher für alles, was es kauft, in bar zu bezahlen. Es
kann nur zahlen durch seine Handarbeit. Es ist deshalb notwendig, dass
Deutschland eine aktive Handels- und Zahlungsbilanz hat. Unsere
Zahlungsbilanz aber ist vorbelastet mit einem Einfuhrbedarf von 2½
Milliarden Lebensmitteln und 2½ Milliarden Rohstoffen, und zwar
ohne verarbeitete Fabrikate und ohne Luxusartikel, die nicht sehr
erheblich sind und die es zum grossen Teil nicht aus freiem Entschluss,
sondern zur Aufrechterhaltung nachbarlicher Handelsbeziehungen
erwirbt.
Ausserdem sind im Gegensatz gegen die frühere Lage, in der uns aus
Auslandsinvestitionen 1½ Milliarden jährliche Erträgnisse zuflossen,
jetzt ¾ Milliarden Goldmark jährlich an das in Deutschland Kapital
besitzende Ausland zu zahlen.
Die Passivseite der Zahlungsbilanz beträgt also etwa 5¾ Milliarden

Goldmark, denen eine Ausfuhr von nur 3½ bis 4 Milliarden
gegenübersteht. Es besteht somit eine Passivität der Zahlungsbilanz im
Saldo 2 Milliarden schon vor Zahlung irgendwelcher Reparation.
(Auf Befragen Lloyd Georges:) Es ist ganz richtig, dass infolge des
Standes des Weltindexes auf 1,5 die deutsche Ausfuhr jetzt 14 bis 15
Milliarden Goldmark betragen müsste, wenn sie dem Vorkriegsstande
entspräche. Sie hat sich also auf etwa ein Viertel vermindert.
Um das Defizit der Zahlungsbilanz zu decken, bestehen nur drei
Möglichkeiten:
Verkauf der Substanz des Landes, grosse auswärtige Anleihen oder
Verkauf der Landeswährung.
Den Ausverkauf von Landessubstanz konnten wir leider nicht hindern.
Er ist in grossem Umfange vor sich gegangen. Grundstücke,
Unternehmungen, Aktien, Obligationen, selbst Hausrat sind vom
Auslande unter dem Werte erworben worden.
Die Durchführung einer auswärtigen Anleihe haben wir versucht. Sie
war unmöglich, da nach Meinung der City die Deutschland auferlegten
Lasten zu schwer waren.
Unter diesen Umständen war es unmöglich, den Verkauf von
Umlaufsmitteln zu vermeiden, obwohl unser Geld hierdurch ein
Gegenstand der internationalen Spekulation wurde.
Der Prozess des Ausverkaufs des deutschen Geldes hat sich zunächst
ohne panikartige Folgen bis Mitte 1921 fortgesetzt. Er wurde nicht
durch Deutschland ermutigt, sondern durch das Ausland eingeleitet, das
mit Recht den inneren Wert der Mark höher einschätzte als den
Auslandskurs. Aber Mitte 1921 ereignete sich etwas, was
vorauszusehen war: der Streik der Käufer der Mark. In dem Augenblick,
wo man sah, dass wir gezwungen waren, in kurzer Frist eine
Goldmilliarde zu beschaffen, mithin 30 Papiermilliarden zu verkaufen,
steckten die Markkäufer die Hände in die Tasche und warteten. So trat
der Marksturz ein, und der Dollarkurs stieg von 55 bis zeitweise auf

300.
Man hat bei uns und im Auslande gesagt, dieser Marksturz sei nur die
Folge der Inflation und des Gebrauchs der Notenpresse in Deutschland.
Das ist ein Irrtum. Sonst hätte dieser Sturz nicht so plötzlich und in
ganz kurzer Zeit eintreten können. Auch hat der Kurs sich sobald sich
wieder etwas Blau am Himmel zeigte, erheblich gebessert. Das Blau
am Himmel waren die Nachrichten über die ersten Besprechungen
zwischen der britischen und französischen Regierung über eine
Regelung unserer Verbindlichkeiten für 1922.
Jetzt komme ich zu einem äusserst wichtigen Punkt. Solange die
Währung eines Staates auf dem internationalen Markt aus dem
Gleichgewicht gekommen ist, ist es unmöglich, irgend ein Budget auf
bestimmte Zeit mit Sicherheit in Ordnung zu bringen. Denn jeder neue
Sturz des Kurses hat eine Erhöhung der Ausgaben für Gehälter, Löhne
und Rohstoffe zur Folge. Ein Staatsbudget aber setzt sich nur aus
diesen drei Posten zusammen.
In diesem Augenblick ist unser Budget für 1922 in Ordnung. Es enthält
sogar gewisse Ueberschüsse, dabei ist aber von den Reparationen
abgesehen. Jeder neue Marksturz, jede neue innere Preiserhöhung aber
wird dieses Budget gefährden.
Wird damit gerechnet, dass die Reparationslasten erträglich werden,
dann kann die Mark steigen und das Mass der Staatsausgaben in
Papiermark sinken. Auf der anderen Seite wird die Konkurrenz der
deutschen Ware umso gefährlicher, je mehr die Mark sinkt.
Was gibt es nun für Mittel der Gesundung? Wie kann man je zu einer
Wiederherstellung der
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