Zum wilden Mann | Page 2

Wilhelm Raabe
uns in einer Apotheke befinden, merken wir auf der Stelle auch am Geruche.
Die erleuchteten zwei Fenster, welche wir von der durchweichten, regen- und sturmwindgeschlagenen Landstra?e aus erblickten, waren die der Offizin, und die Lampe an der Decke darin warf ihr Licht durch die breiten Schiebfenster auch auf die Hausflur. In der pharmaceutischen Werkst?tte herrschte au?er dem bekannten Duft die gleichfalls wohlbekannte Ordnung und Reinlichkeit der deutschen Apotheken. Die wei?en, mit blauen Buchstaben und hin und wieder mit schwarzen Totenk?pfen und den beiden Armknochen bezeichneten Büchsen und Gl?ser in den F?chern an den W?nden, die blanken M?rser und grünschwarzen Steinreibeschalen, die Wagschalen und alle übrigen Ger?tschaften sahen ordentlich angenehm und anlockend aus. W?re die schreckliche Bank, auf welcher die Meisten von uns schon einmal in fiebernder Angst und Beklemmung sa?en und warteten, nicht gewesen, das Werkzeug und Ger?te der hohen Kunst h?tte jedermann das h?chste Vertrauen einfl??en müssen.
Aber die b?se Bank! Der abgeriebene schlimme Stuhl! -- Wir sa?en eben schon darauf -- vielleicht wohl am hellen, frostklaren Winternachmittag, oder noch viel schlimmer in der stillen, warmen, der entsetzlichen, wenngleich noch so sch?nen Sommernacht; wir trauen den Büchsen und Gl?sern, den Flaschen, Wagschalen und Reibeschalen wenig, wir erinnern uns nur, wie wir damals dem ruhiggemessenen, geheimnisvollen Wirken des Mannes hinter dem Arbeitstische wild und dumm zusahen.
In der Offizin befand sich augenblicklich niemand; aber es fiel noch ein Lichtschein aus einem ansto?enden Zimmerchen, dessen Thür halb ge?ffnet stand. Und mit dem Scheine drang ein anderer Duft ein, der die apothekarische Atmosph?re einer auff?lligen Ver?nderung und Entmischung unterwarf; herba nicotiana geh?rt freilich ebenfalls zu den offizinellen Gew?chsen. Wir folgen d i e s e m Geruch und treten in das Nebengemach.
Das Ding in dem engen Raume lie? sich ganz gemütlich an. Aus der einen Ecke versendete ein eiserner Ofen eine behagliche W?rme, in der anderen war gegen einen m?chtigen gepolsterten Lehnstuhl, der leer stand und von dem sp?ter noch die Rede sein wird, ein runder Tisch gezogen, an welchem auf gleichfalls gepolsterten, hochlehnigen Stühlen sich die jedesmaligen G?ste, mit der Pfeife im Munde und ein offizinelles oder nicht offizinelles warmes oder kaltes Getr?nk vor sich, den Aufenthalt sicherlich recht bequem und behaglich machen konnten. Gegenw?rtig jedoch hatte nur der Herr des Hauses, der Besitzer der Apotheke ?zum wilden Mann?, allein auf seinem Stuhle Posto gefa?t, und ob er an diesem stürmischen Abend wirklich noch jemand zum Besuch erwartete, und ob wirklich jemand der Erwartung entsprach, k?nnen wir augenblicklich noch nicht angeben. Wir sind mit der Schilderung unserer Bühne noch nicht zustande und fahren vorerst darin fort.
Das Kabinettchen hinter der Offizin war mit einer gelblichgrauen, grauschwarz geblümten Tapete, soweit sich das überblicken lie?, ausgeklebt. Auf der Fensterbank stand neben einigen Blument?pfen ein K?fig mit einem schlafenden Zeisig, der jedesmal, wenn ein Baumzweig im Garten, vom Winde gepackt und geschleudert, sch?rfer an der Glasscheibe herkratzte, oder wenn ein Regensto? heftiger an der Scheibe trommelte, fester und behaglicher im Gefühle seiner Sicherheit sich in eine Federkugel zusammenzog.
Eine Eckschenke mit allerlei Tassen, bunten T?pfen und Gl?sern und auf ihr eine ausgestopfte Wildkatze in einem Glaskasten dürften in der Inventaraufnahme nicht zu vergessen sein. Ein vordem recht blumiger, aber nunmehr l?ngst verbla?ter und abgetretener Teppich bedeckte den Boden; von der Decke hing eine künstlich geflochtene Graskrone, ein Staub- und Fliegenf?nger herab; und wenn wir nun noch den Bildern an den W?nden einige Worte gewidmet haben werden, so hindert uns weiter nichts, fürderzugehen und interessanter zu werden.
Die Bilder an den W?nden freilich waren schon an sich interessant. Ihre Anzahl allein mu?te jeden eintretenden Betrachter h?chlichst in Erstaunen setzen und für eine geraume Zeit in ein mundoffenes Umherstarren an allen vier W?nden, nach allen vier Himmelsgegenden. Hatte er sich von seiner überraschung erholt, so konnte er anfangen zu z?hlen oder die Zahl wenigstens ann?hernd zu sch?tzen. Beides aber war schwer, denn die Bilder und Bildchen unter Glas und Rahmen bedeckten in kaum zu berechnender Menge die W?nde von oben bis unten, das hei?t so weit nach unten, als es nur irgend m?glich war. Alle Arten und Formate in Kupferstich, Stahlstich, Lithographie und Holzschnitt, alle Gegenst?nde und Situationen im Himmel und in der H?lle, auf Erden, im Wasser, im Feuer und in der Luft, schwarz oder koloriert.
Viele Ramberg'sche und Chodowiecki'sche Kunstsch?pfungen, unz?hlige Scenen aus dem Leben Friedrichs des Zweiten und Napoleons des Ersten, die drei alliirten Monarchen in drei verschiedenen Auffassungen auf dem Leipziger Schlachtfelde, die am Palmbaum h?ngende Riesenschlange, an welcher der bekannte Neger hinaufklettert, um ihr die Haut abzuziehen, Scenen aus dem Corsar, ?ein Gedicht von Lord Byron?, Modebilder, ein Portr?t von Washington, ein Portr?t der K?nigin Mathilde von D?nemark und des Grafen Struensee und, verloren unter all der bunten, kuriosen Nichtsnutzigkeit, zwischen zwei Stra?enscenen aus dem Jahre 1848, ein echter alter Dürer'scher Kupferstich: Melancholia!
Wir beendigen die Kalalogisierung. Drei?ig Jahre hatte der w?hrend dieser drei?ig Jahre fest an seine Offizin
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