ein
beständiger Tanz, und wenn sie sprach, jauchzte sie, nicht um damit zu 
gefallen, sondern, weil das herzliche innerliche Vergnügen mit sich 
selbst und ihrem Zustande keinen andern Ausweg wußte. In ihrem 
Anzug war sie immer sehr reinlich, und an dieser Tugend sowohl, als 
selbst im Geschmack, ließ sie ihre Gebieterin unendlich weit hinter 
sich.--Wie vieles kommt auf den Augenblick an, zu wie vielen 
schrecklichen Katastrophen war nur die Zeit, die Verbindung kleiner, 
oft unwichtig scheinender Umstände die Lunte! Ach, daß unsere 
Richter, vielleicht in spätern bessern Zeiten, der göttlichen 
Gerechtigkeit nachahmend, auch dies auf die Waagschale legten, nicht 
die Handlung selbst, wie sie ins Auge fällt, sondern sie mit allen ihren 
Veranlassungen und zwingenden Ursachen richteten, eh' sie sie zu 
bestrafen das Herz hätten!--In einem der Augenblicke, wo die 
menschliche Seele an all ihrem Glück verzagt, brachte Marie (so hieß 
die Aufwärterin) Zerbinen den Kaffee aufs Zimmer. Der Herr des 
Hauses war eben mit seiner ganzen Familie zu einem Landfestin zwei 
Stunden vor der Stadt herausgefahren, von dem er vor Abend nicht 
wiederkam. Zerbin hatte den Morgen einem Bürger, der ihm zu einem 
Spazierritt schon vor einer Woche das Pferd geliehen, den letzten 
Groschen aus dem Beutel gegeben; es fiel ihm, als er sie tanzend 
hereintreten sah, ein, indem die Empfindung des Mangels kalt und 
grauenvoll über ihm schwebte, dieses gutartige holde Geschöpf könne 
wohl in dem Augenblick ebenso bedürftig sein, und aus Größe der 
Seele, oder aus jungfräulicher Schüchternheit, ihren Verdruß über das 
lange Außenbleiben seiner Bezahlung verbeißen: er fragte sie also mit 
einem ziemlich verwilderten Gesicht: "Jungfer! ich bin Ihr ja auch noch 
schuldig; wieviel beträgt's denn?" 
Ob sie nun aus seiner Miene geschlossen, daß ihm die Bezahlung itzt 
wohl schwerfallen dürfte, oder ob etwas in ihrem Herzen für ihn sprach, 
das nur wünschte durch eine Handlung der Aufopferung sich ihm 
weisen zu können--genug, sie wußte mit einer so eigenen Naivetät ein 
erstauntes Gesicht anzunehmen, die Hände so bescheiden zu falten, so 
beklemmt zurückzutreten, daß Zerbin selber drüber irreward. "Sie mir 
schuldig, mein Herr? seit wann denn?--Woher denn?"--"Hat Sie mir 
nicht fünf Gulden von Ihrem Lohn geliehen--und nachher noch fünfe 
von Ihrer guten Freundin verschafft?"--"Sie träumen. Ich glaube, die 
gelehrten Herren haben zuweilen Erscheinungen."--"Ich muß es Ihr
bezahlen, Jungfer. Ich will meine Uhr versetzen."--Um meinen 
Leserinnen und Lesern dieses Betragen unserer artigen Bäuerin in ein 
besseres Licht zu setzen, müssen wir hier erinnern, daß sie Tochter 
eines der reichsten Schulzen aus einem benachbarten Dorf war, und 
nicht sowohl wegen des Lohns, als wegen alter Verbindlichkeiten, die 
ihr Vater dem Herrn vom Hause hatte, bei ihm diente. 
Sie setzte sich hierauf in eine noch feierlichere Stellung, und tat die 
schrecklichsten Schwüre, daß er ihr nichts schuldig wäre; er sprang auf, 
weinte für Scham, Wut und Dankbarkeit; sie fing mit an zu weinen, 
sagte, wenn er wieder was nötig hätte, sollte er sich nur an sie wenden, 
sie hätte einen reichen Vaterbruder in der Vorstadt, sie würde schon 
Mittel finden, etwas von ihm zu bekommen; er schloß sie in seine 
Arme; ihr bebenden Lippen begegneten sich--Einsamkeit, Stille, 
Heimlichkeit, tausend angsthafte, freudenschaurige Gefühle 
überraschten sie; sie verstummten--sie gleiteten--sie fielen. 
Diese Trunkenheit des Glücks war die erste und einzige, die Zerbinen 
für seine Lebenszeit zugemessen war, um ihn in desto tieferes Elend 
hinabzustürzen. Zwar wußten beide auch nachmals noch Gelegenheit 
zu finden, ihre Zärtlichkeiten zu wiederholen; aber wie der erste Schritt 
zum Laster, so mit Rosen bestreut er auch sein mag, immer andere nach 
sich zieht, so ging es auch hier. Zerbins hohe Begriffe von der 
Heiligkeit, aufgesparten Glückseligkeit, von dem Himmel des 
Ehestandes verschwanden. Die Augen fingen ihm, wie unsern ersten 
Eltern, an aufzugehen, er sah alle Dinge in ihrem rechten Verhältnis, 
sah bei der Ehe nichts mehr, als einen Kontrakt zwischen zwei Parteien 
aus politischen Absichten. Hortensia und ihr steifes Betragen hatte nun 
in seinen Augen gar nichts Widriges mehr, da der Vater eine 
ansehnliche Stelle im Magistrat bekleidete, und zehntausend Taler 
mitgeben konnte: er ward vernünftig. Er hatte die Liebe seiner Marie 
zum voraus eingeerntet; Liebe schien ihm nun ein Ingrediens, das gar 
nicht in den Heiratsverspruch gehörte; die große Weisheit unserer 
heutigen Philosophen ging ihm auf, daß Ehe eine wechselseitige 
Hülfleistung, Liebe eine vorübereilende Grille sei; eine Mißheirat 
schien seinem aufgeklärten Verstande nun ein ebenso unverzeihbares 
Verbrechen, als es ihm ehemals der Ehebruch und die Verführung der 
Unschuld geschienen hatten. In ein Dörfchen zu gehen, und mit seinem 
freundlichen Mariechen Bauer zu werden--oder dem Vorurteil aller
honetten Leute in Leipzig Trotz zu bieten und seine schöne Bäuerin im 
Angesicht all seiner galanten Bekanntschaften zu heiraten--welch ein 
unförmlicher Gedanke für einen Philosophen, dem itzt erst die Fackel 
der Wahrheit zu leuchten anfing, der itzt erst die Beziehungen der 
Menschen, die Abweichungen der Stände, die Torheiten phantastischer 
junger Leute, die Irrtümer der Phantasei, und das unermeßliche Gebiet 
der Wahrheit im echtesten Licht    
    
		
	
	
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