Woyzeck | Page 2

Georg Büchner
[gerührt:] -, ein guter Mensch, ein guter Mensch.
WOYZECK: Ja, Herr Hauptmann, die Tugend - ich hab's noch nit so aus. Sehn Sie: wir gemeine Leut, das hat keine Tugend, es kommt nur so die Natur; aber wenn ich ein Herr w?r und h?tt' ein' Hut und eine Uhr und eine Anglaise und k?nnt' vornehm rede, ich wollt' schon tugendhaft sein. Es mu? was Sch?nes sein um die Tugend, Herr Hauptmann. Aber ich bin ein armer Kerl!
HAUPTMANN: Gut, Woyzeck. Du bist ein guter Mensch, ein guter Mensch. Aber du denkst zuviel, das zehrt; du siehst immer so verhetzt aus. - Der Diskurs hat mich ganz angegriffen. Geh jetzt, und renn nicht so; langsam, hübsch langsam die Stra?e hinunter!

Freies Feld, die Stadt in der Ferne
[Woyzeck und Andres schneiden Stecken im Gebüsch. Andres pfeift.]
WOYZECK: Ja, Andres, der Platz ist verflucht. Siehst Du den lichten Streif da über das Gras hin, wo die Schw?mme so nachwachsen? Da rollt abends der Kopf. Es hob ihn einmal einer auf, er meint', es w?r ein Igel: drei Tag und drei N?cht, er lag auf den Hobelsp?nen. - [Leise:] Andres, das waren die Freimaurer! Ich hab's, die Freimaurer!
ANDRES [singt]: Sa?en dort zwei Hasen, fra?en ab das grüne, grüne Gras...
WOYZECK: Still: H?rst du's, Andres? H?rst du's? Es geht was!
ANDRES: Fra?en ab das grüne, grüne Gras... bis auf den grünen Rasen.
WOYZECK: Es geht hinter mir, unter mir. - [Stampft auf den Boden:] Hohl, h?rst Du? Alles hohl da unten! Die Freimaurer!
ANDRES: Ich fürcht' mich.
WOYZECK: 's ist so kurios still. Man m?cht' den Atem halten. - Andres!
ANDRES: Was?
WOYZECK: Red was! - [Starrt in die Gegend.] - Andres, wie hell! über der Stadt is alles Glut! Ein Feuer f?hrt um den Himmel und ein Get?s herunter wie Posaunen. Wie's heraufzieht! - Fort! Sieh nicht hinter dich! - [Rei?t ihn ins Gebüsch.]
ANDRES [nach einer Pause]: Woyzeck, h?rst du's noch?
WOYZECK: Still, alles still, als w?r' die Welt tot.
ANDRES: H?rst du? Sie trommeln drin. Wir müssen fort!

Die Stadt
[Marie mit ihrem Kind am Fenster. Margret. Der Zapfenstreich geht vorbei, der Tambourmajor voran.]
MARIE [das Kind wippend auf dem Arm]: He, Bub! Sa ra ra ra! H?rst? Da kommen Sie!
MARGRET: Was ein Mann, wie ein Baum!
MARIE: Er steht auf seinen Fü?en wie ein L?w.
[Tambourmajor grü?t.]
MARGRET: Ei, was freundliche Auge, Frau Nachbarin! So was is man an ihr nit gew?hnt.
MARIE [singt]: Soldaten, das sind sch?ne Bursch ...
MARGRET: Ihre Auge gl?nze ja noch -
MARIE: Und wenn! Trag Sie Ihr Aug zum Jud, und la? Sie sie putze; vielleicht gl?nze sie noch, da? man sie für zwei Kn?pfe verkaufen k?nnt.
MARGRET: Was, Sie? Sie? Frau Jungfer! Ich bin eine honette Person, aber Sie, es wei? jeder, Sie guckt sieben Paar lederne Hose durch!
MARIE: Luder! - [Schl?gt das Fenster durch.] - Komm, mei Bub! Was die Leute wolle. Bist doch nur ein arm Hurenkind und machst deiner Mutter Freud mit deim unehrlichen Gesicht! Sa! sa! - [Singt] M?del, was fangst Du jetzt an? Hast ein klein Kind und kein' Mann! Ei, was frag' ich danach? Sing' ich die ganze Nacht heio, popeio, mei Bu, juchhe! Gibt mir kein Mensch nix dazu.
[Es klopft am Fenster.]
MARIE: Wer da? Bist du's, Franz? Komm herein!
WOYZECK: Kann nit. Mu? zum Verles'.
MARIE: Hast du Stecken geschnitten für den Hauptmann?
WOYZECK: Ja, Marie.
MARIE: Was hast du, Franz? Du siehst so verst?rt.
WOYZECK [geheimnisvoll]: Marie, es war wieder was, viel - steht nicht geschrieben: Und sie, da ging ein Rauch vom Land, wie der Rauch vom Ofen?
MARIE: Mann!
WOYZECK: Es ist hinter mir hergangen bis vor die Stadt. Etwas, was wir nicht fassen, begreifen, was uns von Sinnen bringt. Was soll das werden?
MARIE: Franz!
WOYZECK: Ich mu? fort. - Heut abend auf die Me?! Ich hab wieder gespart. - [Er geht.]
MARIE: Der Mann! So vergeistert. Er hat sein Kind nicht angesehn! Er schnappt noch über mit den Gedanken! - Was bist so still, Bub? Furchtest dich? Es wird so dunkel; man meint, man w?r' blind. Sonst scheint als die Latern herein. Ich halt's nit aus; es schauert mich! - [Geht ab.]

Buden. Lichter. Volk
ALTER MANN [singt und Kind tanzt zum Leierkasten]: Auf der Welt ist kein Bestand, Wir müssen alle sterben, das ist uns wohlbekannt.
WOYZECK: Hei, Hopsa's! - Armer Mann, alter Mann! Armes Kind, junges Kind! Sorgen und Feste!
MARIE: Mensch, sind noch die Narrn von Verstande, dann ist man selbst ein Narr. - Komische Welt! Sch?ne Welt!
[Beide gehn weiter zum Marktschreier.]
MARKTSCHREIER [vor seiner Bude mit seiner Frau in Hosen und einem kostümierten Affen]: Meine Herren, meine Herren! Sehn Sie die Kreatur, wie sie Gott gemacht: nix, gar nix. Sehn Sie jetzt die Kunst: geht aufrecht, hat Rock und Hosen, hat ein' S?bel! Der Aff ist Soldat; s' ist noch nicht viel, unterste Stuf von menschliche Geschlecht. Ho! Mach Kompliment! So - bist Baron. Gib Ku?! - [Er trompetet:] Wicht ist musikalisch. - Meine Herren, hier ist zu sehen das astronomische Pferd und die kleine Kanaillev?gele. Sind
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