Geschichte, seiner
Religion."--"Ein Hauptvorteil", versetzte jener, "ist die treffliche
Sammlung ihrer heiligen Bücher. Sie stehen so glücklich beisammen,
daß aus den fremdesten Elementen ein täuschendes Ganze entgegentritt.
Sie sind vollständig genug, um zu befriedigen, fragmentarisch genug,
um anzureizen; hinlänglich barbarisch, um aufzufordern, hinlänglich
zart, um zu besänftigen; und wie manche andere entgegengesetzte
Eigenschaften sind an diesen Büchern, an diesem Buche zu rühmen!"
Die Folge der Hauptbilder sowohl als die Beziehung der kleinern, die
sie oben und unten begleiteten, gab dem Gast so viel zu denken, daß er
kaum auf die bedeutenden Bemerkungen hörte, wodurch der Begleiter
mehr seine Aufmerksamkeit abzulenken als an die Gegenstände zu
fesseln schien. Indessen sagte jener bei Gelegenheit: "Noch einen
Vorteil der israelitischen Religion muß ich hier erwähnen: daß sie ihren
Gott in keine Gestalt verkörpert und uns also die Freiheit läßt, ihm eine
würdige Menschengestalt zu geben, auch im Gegensatz die schlechte
Abgötterei durch Tier--und Untiergestalten zu bezeichnen."
Unser Freund hatte sich nunmehr auf einer kurzen Wanderung durch
diese Hallen die Weltgeschichte wieder vergegenwärtigt; es war ihm
einiges neu in Absicht auf die Begebenheit. So waren ihm durch
Zusammenstellung der Bilder, durch die Reflexionen seines Begleiters
manche neue Ansichten entsprungen, und er freute sich, daß Felix
durch eine so würdige sinnliche Darstellung sich jene großen,
bedeutenden, musterhaften Ereignisse für sein ganzes Leben als
wirklich, und als wenn sie neben ihm lebendig gewesen wären,
zueignen sollte. Er betrachtete diese Bilder zuletzt nur aus den Augen
des Kindes, und in diesem Sinne war er vollkommen damit zufrieden;
und so waren die Wandelnden zu den traurigen, verworrenen Zeiten
und endlich zu dem Untergang der Stadt und des Tempels, zum Morde,
zur Verbannung, zur Sklaverei ganzer Massen dieser beharrlichen
Nation gelangt. Ihre nachherigen Schicksale waren auf eine kluge
Weise allegorisch vorgestellt, da eine historische, eine reale
Darstellung derselben außer den Grenzen der edlen Kunst liegt.
Hier war die bisher durchwanderte Galerie auf einmal abgeschlossen,
und Wilhelm war verwundert, sich schon am Ende zu sehen. "Ich
finde", sagte er zu seinem Führer, "in diesem Geschichtsgang eine
Lücke. Ihr habt den Tempel Jerusalems zerstört und das Volk zerstreut,
ohne den göttlichen Mann aufzuführen, der kurz vorher daselbst noch
lehrte, dem sie noch kurz vorher kein Gehör geben wollten."
"Dies zu tun, wie Ihr es verlangt, wäre ein Fehler gewesen. Das Leben
dieses göttlichen Mannes, den Ihr bezeichnet, steht mit der
Weltgeschichte seiner Zeit in keiner Verbindung. Es war ein
Privatleben, seine Lehre eine Lehre für die Einzelnen. Was
Völkermassen und ihren Gliedern öffentlich begegnet, gehört der
Weltgeschichte, der Weltreligion, welche wir für die erste halten. Was
dem Einzelnen innerlich begegnet, gehört zur zweiten Religion, zur
Religion der Weisen: eine solche war die, welche Christus lehrte und
übte, solange er auf der Erde umherging. Deswegen ist hier das äußere
abgeschlossen, und ich eröffne Euch nun das Innere."
Eine Pforte tat sich auf, und sie traten in eine ähnliche Galerie, wo
Wilhelm sogleich die Bilder der zweiten heiligen Schriften erkannte.
Sie schienen von einer andern Hand zu sein als die ersten: alles war
sanfter, Gestalten, Bewegungen, Umgebung, Licht und Färbung.
"Ihr seht", sagte der Begleiter, nachdem sie an einem Teil der Bilder
vorübergegangen waren, "hier weder Taten noch Begebenheiten,
sondern Wunder und Gleichnisse. Es ist eine neue Welt, ein neues
äußere, anders als das vorige, und ein Inneres, das dort ganz fehlt.
Durch Wunder und Gleichnisse wird eine neue Welt aufgetan. Jene
machen das Gemeine außerordentlich, diese das Außerordentliche
gemein. "-- "Ihr werdet die Gefälligkeit haben", versetzte Wilhelm,
"mir diese wenigen Worte umständlicher auszulegen: denn ich fühle
mich nicht geschickt, es selbst zu tun."--"Sie haben einen natürlichen
Sinn", versetzte jener, "obgleich einen tiefen. Beispiele werden ihn am
geschwindesten aufschließen. Es ist nichts gemeiner und gewöhnlicher
als Essen und Trinken; außerordentlich dagegen, einen Trank zu
veredeln, eine Speise zu vervielfältigen, daß sie für eine Unzahl
hinreiche. Es ist nichts gewöhnlicher als Krankheit und körperliche
Gebrechen; aber diese durch geistige oder geistigen ähnlichen Mittel
aufheben, lindern ist außerordentlich, und eben daher entsteht das
Wunderbare des Wunders, daß das Gewöhnliche und das
Außerordentliche, das Mögliche und das Unmögliche eins werden. Bei
dem Gleichnisse, bei der Parabel ist das Umgekehrte: hier ist der Sinn,
die Einsicht, der Begriff das Hohe, das Außerordentliche, das
Unerreichbare. Wenn dieser sich in einem gemeinen, gewöhnlichen,
faßlichen Bilde verkörpert, so daß er uns als lebendig, gegenwärtig,
wirklich entgegentritt, daß wir ihn uns zueignen, ergreifen, festhalten,
mit ihm wie mit unsersgleichen umgehen können, das ist denn auch
eine zweite Art von Wunder und wird billig zu jenen ersten gesellt, ja
vielleicht ihnen noch vorgezogen. Hier ist die lebendige Lehre
ausgesprochen, die Lehre, die keinen Streit erregt; es ist keine Meinung
über das, was Recht oder Unrecht ist; es ist das Rechte oder Unrechte
unwidersprechlich selbst."
Dieser Teil der Galerie war kürzer, oder vielmehr es war nur der vierte
Teil der Umgebung des innern Hofes. Wenn

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