West-oestlicher Divan

Johann Wolfgang von Goethe
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West-östlicher Divan
Johann Wolfgang Goethe
Inhalt:
Buch des Sängers
Buch Hafis
Buch der Liebe
Buch der Betrachtungen
Buch des Unmuts
Buch der Sprüche
Buch des Timur
Buch Suleika
Das Schenkenbuch
Buch der Parabeln
Buch des Parsen
Buch des Paradieses
Buch des Sängers
Moganni Nameh: Buch des Sängers
Zwanzig Jahre ließ ich gehn
Und genoß, was mir beschieden;
Eine
Reihe völlig schön
Wie die Zeit der Barmekiden.

Hegire
Nord und West und Süd zersplittern,
Throne bersten, Reiche zittern:

Flüchte du, im reinen Osten
Patriarchenluft zu kosten,
Unter
Lieben, Trinken, Singen
Soll dich Chisers Quell verjüngen.
Dort im Reinen und im Rechten
Will ich menschlichen Geschlechten

In des Ursprungs Tiefe dringen,
Wo sie noch von Gott empfingen

Himmelslehr' in Erdesprachen
Und sich nicht den Kopf
zerbrachen.
Wo sie Väter hoch verehrten,
Jeden fremden Dienst verwehrten;

Will mich freun der Jugendschranke:
Glaube weit, eng der Gedanke,

Wie das Wort so wichtig dort war,
Weil es ein gesprochen Wort
war.
Will mich unter Hirten mischen,
An Oasen mich erfrischen,
Wenn
mit Karawanen wandle,
Shawl, Kaffee und Moschus handle;
Jeden
Pfad will ich betreten
Von der Wüste zu den Städten.
Bösen Felsweg auf und nieder
Trösten, Hafis, deine Lieder,
Wenn
der Führer mit Entzücken
Von des Maultiers hohem Rücken
Singt,
die Sterne zu erwecken
Und die Räuber zu erschrecken.
Will in Bädern und in Schenken,
Heilger Hafis, dein gedenken,

Wenn den Schleier Liebchen lüftet,
Schüttelnd Ambralocken düftet.

Ja, des Dichters Liebesflüstern
Mache selbst die Huris lüstern.
Wolltet ihr ihm dies beneiden
Oder etwa gar verleiden,
Wisset nur,
daß Dichterworte
Um des Paradieses Pforte
Immer leise klopfend
schweben,
Sich erbittend ewges Leben.
Segenspfänder
Talisman in Karneol,
Gläubgen bringt er Glück und Wohl;
Steht er

gar auf Onyx' Grunde,
Küß ihn, mit geweihtem Munde!
Alles übel
treibt er fort,
Schützet dich und schützt den Ort:
Wenn das
eingegrabne Wort
Allahs Namen rein verkündet,
Dich zu Lieb und
Tat entzündet.
Und besonders werden Frauen
Sich am Talisman
erbauen.
Amulette sind dergleichen
Auf Papier geschriebne Zeichen;
Doch
man ist nicht im Gedränge
Wie auf edlen Steines Enge
Und
vergönnt ist frommen Seelen,
Längre Verse hier zu wählen.
Männer
hängen die Papiere
Gläubig um als Skapuliere.
Die Inschrift aber hat nichts hinter sich,
Sie ist sie selbst und muß dir
alles sagen,
Was hintendrein mit redlichem Behagen
Du gerne sagst:
Ich sag' es! Ich!
Doch Abraxas bring ich selten!
Hier soll meist das Fratzenhafte,

Das ein düstrer Wahnsinn schaffte,
Für das Allerhöchste gelten.

Sag' ich euch absurde Dinge,
Denkt, daß ich Abraxas bringe.
Ein Siegelring ist schwer zu zeichnen;
Den höchsten Sinn im engsten
Raum;
Doch weißt du hier ein Echtes anzueignen,
Gegraben steht
das Wort, du denkst es kaum.
Freisinn
Laßt mich nur auf meinem Sattel gelten!
Bleibt in euren Hütten,
euren Zelten!
Und ich reite froh in alle Ferne,
über meiner Mütze
nur die Sterne.
Er hat euch die Gestirne gesetzt
Als Leiter zu Land und See,
Damit
ihr euch daran ergetzt,
Stets blickend in die Höh'.
Talismane
Gottes ist der Orient!
Gottes ist der Occident!
Nord- und südliches
Gelände
Ruht im Frieden seiner Hände!

Er, der einzige Gerechte,
Will für jedermann das Rechte.
Sei von
seinen hundert Namen
Dieser hochgelobet! Amen.
Mich verwirren will das Irren,
Doch du weißt mich zu entwirren.

Wenn ich handle, wenn ich dichte,
Gib du meinem Weg die Richte!
Ob ich Ird'sches denk' und sinne,
Das gereicht zu höherem Gewinne.

Mit dem Staube nicht der Geist zerstoben,
Dringet, in sich selbst
gedrängt, nach oben.
Im Atemholen sind zweierlei Gnaden:
Die Luft einziehn, sich ihrer
entladen.
Jenes bedrängt, dieses erfrischt;
So wunderbar ist das
Leben gemischt.
Du danke Gott, wenn er dich preßt,
Und dank ihm,
wenn er dich wieder entläßt!
Vier Gnaden
Daß Araber an ihrem Teil
Die Weite froh durchziehen,
Hat Allah
zu gemeinem Heil
Der Gnaden vier verliehen.
Den Turban erst, der besser schmückt
Als alle Kaiserkronen;
Ein
Zelt, daß man vom Orte rückt,
Um überall zu wohnen;
Ein Schwert, das tüchtiger beschützt
Als Fels und hohe Mauern;

Ein Liedchen, das gefällt und nützt,
Worauf die Mädchen lauern.
Und Blumen sing ich ungestört
Von ihrem Shawl herunter;
Sie
weiß recht wohl, was ihr gehört,
Und bleibt mir hold und munter,
Und Blum und Früchte weiß ich euch
Gar zierlich aufzutischen;

Wollt ihr Moralien zugleich,
So geb ich von den frischen.
Geständnis
Was ist schwer zu verbergen? Das Feuer!
Denn bei Tage verrät's der
Rauch,
Bei Nacht die Flamme, das Ungeheuer.
Ferner ist schwer zu

verbergen auch
Die Liebe: noch so stille gehegt,
Sie doch gar leicht
aus den Augen schlägt.
Am schwersten zu bergen ist ein Gedicht:

Man stellt es untern Scheffel nicht.
Hat es der Dichter frisch
gesungen,
So ist er ganz davon durchdrungen;
Hat er es zierlich nett
geschrieben,
Will er, die ganze Welt soll's lieben.
Er liest es jedem
froh und laut,
Ob es uns quält, ob es erbaut.
Elemente
Aus wie vielen Elementen
Soll ein echtes Lied sich nähren,
Daß es
Laien gern empfinden,
Meister es mit Freuden hören?
Liebe sei vor allen Dingen
Unser Thema, wenn wir singen;
Kann
sie gar das Lied durchdringen,
Wird's um desto besser klingen.
Dann muß Klang der Gläser tönen
Und Rubin des Weins erglänzen:

Denn für Liebende, für Trinker
Winkt man mit den schönsten
Kränzen.
Waffenklang wird auch gefodert,
Daß auch die Drommete schmettre;

Daß, wenn Glück zu Flammen lodert,
Sich im Sieg der Held
vergöttre.
Dann zuletzt ist unerläßlich,
Daß der Dichter manches hasse;
Was
unleidlich ist und häßlich,
Nicht wie Schönes leben lasse.
Weiß der Sänger, dieser Viere
Urgewalt'gen Stoff zu mischen,

Hafis gleich wird er die Völker
Ewig freuen und erfrischen.
Erschaffen und
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