Weh dem, der Lügt! | Page 2

Franz Grillparzer
doch gehoben von--ich weiß nicht was, Doch von was
Edlem, Hohem muß es sein; Die Augen aufgespannt, als säh' er Bilder
Aus einem andern, unbekannten Land, Die allzugroß für also kleine
Rahmen: Sah ich ihn so durch unsre Straßen ziehn, Da rief's in mir:
dem mußt du dienen, dem, Und wär's als Stallbub. Also kam ich her. In
diesem Haus, dacht' ich, wär' Gottesfrieden, Sonst alle Welt im Krieg.
Nun da ich hier, Nun muß ich sehn, wie er das Brot sich abknappt, Als
hätt' er sich zum Hungertod verdammt, Wie er die Bissen sich zum
Munde zählt. Mag das mit ansehn, wer da will, ich nicht.
Hausverwalter. Was sorgst du mehr um ihn, als selbst er tut? Ist er

nicht kräftig noch für seine Jahre?
Leon. Mag sein! Doch ist's was andres noch, was Tiefers. Ich weiß es
manchmal deutlich anzugeben, Und wieder manchmal spukt's nur still
und heimlich. Daß er ein Bild mir alles Großen war Und daß ich jetzt
so einen schmutz'gen Flecken, Als Geiz ist, so 'nen hämisch garst'gen
Klecks, Auf seiner Reinheit weißem Kleide seh, Und sehen muß, ich tu
auch, was ich will; Das setzt mir alle Menschen fast herab, Mich selber,
Euch; kurz alle, alle Welt, Für deren Besten ich so lang ihn hielt, Und
quält mich, daß ich wahrlich nicht mehr kann. Kurz, ich geh fort, ich
halt's nicht länger aus.
Hausverwalter. Und das willst du ihm sagen?
Leon. Ja, ich will's.
Hausverwalter. Du könntest's wagen?
Leon. Ei, wohl mehr als das. Er soll sich vor mir reinigen, er soll Mir
meine gute Meinung wieder geben, Und will er nicht; nun wohl denn,
Gott befohlen! Pfui Schande über alle Knauserei!
Hausverwalter. Des wagst du ihn zu zeihn, den frommen Mann? Weißt
du denn nicht, daß Arme, Blinde, Lahme Der Säckel sind, dem er sein
Geld vertraut?
Leon. Wohl gibt er viel, und segn' ihn Gott dafür! Doch heißt das Gutes
tun, wenn man dem Armen Die Spende gibt, dem Geber aber nimmt?
Dann seht! Er ließ mich neulich rufen Und gab mir Geld aus einer
großen Truhe --Die Küchenrechnung nämlich für die Woche--, Doch
eh er's gab, nahm er 'nen Silberling Und sah ihn zehnmal an und küßt'
ihn endlich Und steckt' ihn in ein Säckel, das gar groß Und straff gefüllt
im Winkel stand der Truhe. Nun frag ich Euch: ein frommer Mann Und
küßt das Geld. Ein Mann, der Hunger leidet Und Spargut häuft im
Säckel, straff gefüllt. Wie nennt Ihr das? Wie nennt Ihr so 'nen Mann?
Ich will sein Koch nicht sein. Ich geh und sag ihm's.
Hausverwalter. Du töricht toller Bursch, willst du wohl bleiben? Störst

du den guten Herrn, und eben heut, Wo er betrübt im Innern seiner
Seele, Weil Jahrstag grade, daß sein frommer Neffe, Sein Atalus, nach
Trier ward gesandt, Als Geisel für den Frieden, den man schloß; Allwo
er jetzt, da neu entbrannt der Krieg, Gar hart gehalten wird vom
grimmen Feind, Der jede Lösung unerbittlich weigert.
Leon. Des Herren Neffe?
Hausverwalter. Wohl, seit Jahresfrist.
Leon. Und hat man nichts versucht, ihn zu befrein?
Hausverwalter. Gar mancherlei; doch alles ist umsonst. Dort kommt
der Herr, versunken in Betrachtung. Geh aus dem Wege, Bursch, und
stör ihn nicht.
Leon. Er schreibt.
Hausverwalter. Wohl an der Predigt für den Festtag.
Leon. Wie bleich!
Hausverwalter. Ja wohl, und tief betrübt.
Leon. Doch sprechen muß ich ihn trotz alledem.
Hausverwalter. Komm, komm! (Er faßt ihn an.)
Leon. Herr, ich entwisch Euch doch.
(Beide ab.)
(Der Bischof kommt, ein Heft in der Hand, in das er von Zeit zu Zeit
schreibt.)
Gregor. Dein Wort soll aber sein: Ja, ja; nein, nein. Denn was die
menschliche Natur auch Böses kennt, Verkehrtes, Schlimmes,
Abscheuwürd'ges, Das Schlimmste ist das falsche Wort, die Lüge. Wär'
nur der Mensch erst wahr, er wär' auch gut. Wie könnte Sünde irgend

doch bestehn, Wenn sie nicht lügen könnte, täuschen? erstens sich,
Alsdann die Welt; dann Gott, ging' es nur an. Gäb's einen Bösewicht?
müßt' er sich sagen, So oft er nur allein: du bist ein Schurk'! Wer hielt'
sie aus, die eigene Verachtung? Allein die Lügen in verschiednem
Kleid: Als Eitelkeit, als Stolz, als falsche Scham, Und wiederum als
Großmut und als Stärke, Als innre Neigung und als hoher Sinn, Als
guter Zweck bei etwa schlimmen Mitteln, Die hüllen unsrer
Schlechtheit Antlitz ein Und stellen sich geschäftig vor, wenn sich Der
Mensch beschaut in des Gewissens Spiegel. Nun erst die wissentliche
Lüge! Wer Hielt' sie für möglich, wär' sie wirklich nicht? Was, Mensch,
zerstörst du deines Schöpfers Welt? Was sagst du, es sei nicht, da es
doch ist; Und wiederum, es sei, da es doch nie gewesen? Greifst du das
Dasein an, durch das du bist? Zuletzt noch: Freundschaft, Liebe,
Mitgefühl Und all die schönen Bande unsers Lebens, Woran sind sie
geknüpft als an das wahre Wort? Wahr
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