Worten. 
»Ja, wir gehen nun also über die Wälle!« sagte er mit bewegter Stimme. 
»Über den Mühlenwall und den Holstenwall, und so bringe ich dich 
nach Hause, Hans... Bewahre, das schadet gar nichts, daß ich dann 
meinen Heimweg allein mache; das nächste Mal begleitest du mich.« 
Im Grunde glaubte er nicht sehr fest an das, was Hans gesagt hatte, und 
fühlte genau, daß jener nur halb soviel Gewicht auf diesen Spaziergang 
zu zweien legte wie er. Aber er sah doch, daß Hans seine 
Vergeßlichkeit bereute und es sich angelegen sein ließ, ihn zu 
versöhnen. Und er war weit von der Absicht entfernt, die Versöhnung 
hintanzuhalten...
Die Sache war die, daß Tonio Hans Hansen liebte und schon vieles um 
ihn gelitten hatte. Wer am meisten liebt, ist der Unterlegene und muß 
leiden, -- diese schlichte und harte Lehre hatte seine vierzehnjährige 
Seele bereits vom Leben entgegengenommen; und er war so geartet, 
daß er solche Erfahrungen wohl vermerkte, sie gleichsam innerlich 
aufschrieb und gewissermaßen seine Freude daran hatte, ohne sich 
freilich für seine Person danach zu richten und praktischen Nutzen 
daraus zu ziehen. Auch war es so mit ihm bestellt, daß er solche Lehren 
weit wichtiger und interessanter achtete als die Kenntnisse, die man 
ihm in der Schule aufnötigte, ja, daß er sich während der 
Unterrichtsstunden in den gotischen Klassengewölben meistens damit 
abgab, solche Einsichten bis auf den Grund zu empfinden und völlig 
auszudenken. Und diese Beschäftigung bereitete ihm eine ganz 
ähnliche Genugtuung, wie wenn er mit seiner Geige (denn er spielte die 
Geige) in seinem Zimmer umherging und die Töne, so weich, wie er sie 
nur hervorzubringen vermochte, in das Plätschern des Springstrahles 
hinein erklingen ließ, der drunten im Garten unter den Zweigen des 
alten Walnußbaumes tänzelnd emporstieg... 
Der Springbrunnen, der alte Walnußbaum, seine Geige und in der 
Ferne das Meer, die Ostsee, deren sommerliche Träume er in den 
Ferien belauschen durfte, diese Dinge waren es, die er liebte, mit denen 
er sich gleichsam umstellte und zwischen denen sich sein inneres 
Leben abspielte, Dinge, deren Namen mit guter Wirkung in Versen zu 
verwenden sind und auch wirklich in den Versen, die Tonio Kröger 
zuweilen verfertigte, immer wieder erklangen. 
Dieses, daß er ein Heft mit selbstgeschriebenen Versen besaß, war 
durch sein eigenes Verschulden bekanntgeworden und schadete ihm 
sehr, bei seinen Mitschülern sowohl wie bei den Lehrern. Dem Sohne 
Konsul Krögers schien es einerseits, als sei es dumm und gemein, 
daran Anstoß zu nehmen, und er verachtete dafür sowohl die 
Mitschüler wie die Lehrer, deren schlechte Manieren ihn obendrein 
abstießen, und deren persönliche Schwächen er seltsam eindringlich 
durchschaute. Andererseits aber empfand er selbst es als ausschweifend 
und eigentlich ungehörig, Verse zu machen, und mußte all denen 
gewissermaßen recht geben, die es für eine befremdende Beschäftigung
hielten. Allein das vermochte ihn nicht, davon abzulassen... 
Da er daheim seine Zeit vertat, beim Unterricht langsamen und 
abgewandten Geistes war und bei den Lehrern schlecht angeschrieben 
stand, so brachte er beständig die erbärmlichsten Zensuren nach Hause, 
worüber sein Vater, ein langer, sorgfältig gekleideter Herr mit 
sinnenden blauen Augen, der immer eine Feldblume im Knopfloch trug, 
sich sehr erzürnt und bekümmert zeigte. Der Mutter Tonios jedoch, 
seiner schönen, schwarzhaarigen Mutter, die Consuelo mit Vornamen 
hieß und überhaupt so anders war als die übrigen Damen der Stadt, weil 
der Vater sie sich einstmals von ganz unten auf der Landkarte 
heraufgeholt hatte, -- seiner Mutter waren die Zeugnisse 
grundeinerlei... 
Tonio liebte seine dunkle und feurige Mutter, die so wunderbar den 
Flügel und die Mandoline spielte, und er war froh, daß sie sich ob 
seiner zweifelhaften Stellung unter den Menschen nicht grämte. 
Andererseits aber empfand er, daß der Zorn des Vaters weit würdiger 
und respektabler sei, und war, obgleich er von ihm gescholten wurde, 
im Grunde ganz einverstanden mit ihm, während er die heitere 
Gleichgültigkeit der Mutter ein wenig liederlich fand. Manchmal 
dachte er ungefähr: Es ist gerade genug, daß ich bin, wie ich bin, und 
mich nicht ändern will und kann, fahrlässig, widerspenstig und auf 
Dinge bedacht, an die sonst niemand denkt. Wenigstens gehört es sich, 
daß man mich ernstlich schilt und straft dafür, und nicht mit Küssen 
und Musik darüber hinweggeht. Wir sind doch keine Zigeuner im 
grünen Wagen, sondern anständige Leute, Konsul Krögers, die Familie 
der Kröger... Nicht selten dachte er auch: Warum bin ich doch so 
sonderlich und in Widerstreit mit allem, zerfallen mit den Lehrern und 
fremd unter den anderen Jungen? Siehe sie an, die guten Schüler und 
die von solider Mittelmäßigkeit. Sie finden die Lehrer nicht komisch, 
sie machen keine Verse und denken nur Dinge, die man eben denkt und 
die man laut aussprechen kann. Wie ordentlich und einverstanden mit 
allem und jedermann sie sich fühlen müssen! Das muß gut sein... Was 
aber ist mit mir, und wie wird dies alles ablaufen? 
Diese Art und Weise, sich selbst und sein Verhältnis zum Leben zu
betrachten, spielte eine wichtige    
    
		
	
	
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