ganze Terrasse entlang. Bei 
jedem Schritte horchte er auf und tauchte seinen Blick durch die 
vergoldeten Gitterstäbe hinein in die stillen Gemächer. Endlich blieb er 
verzweifelt stehen. 
»Höre!« redete der Sklave ihn an. »Verachte mich nicht wegen meiner 
Armseligkeit! Ich habe in diesem Palast gelebt. Wie eine Schlange 
kann ich durch die Mauern schlüpfen. Komm! In der Ahnengruft liegt 
ein Goldbarren unter jeder Steinfliese. Ein unterirdischer Gang führt zu 
den Gräbern ...« 
»Was kümmert das mich!« antwortete Matho. 
Spendius schwieg. 
Sie standen auf der Terrasse. Eine ungeheure Schattenmasse breitete 
sich vor ihnen in phantastischer Gliederung aus, wie die gigantischen 
Wogen eines schwarzen versteinerten Meeres. 
Da glühte im Osten ein lichter Streifen auf. Und tief unten begannen 
die Kanäle von Megara mit ihren silbernen Windungen im Grün der 
Gärten aufzublitzen. Allmählich reckten die kegelförmigen Dächer der 
siebenseitigen Tempel, die Treppen, Terrassen und Wälle ihre Umrisse 
aus dem bleichen Morgengrau heraus. Rings um die karthagische 
Halbinsel brodelte ein weißer Schaumgürtel. Das smaragdgrüne Meer 
schlief noch in der Morgenfrische. Je höher die Röte am Himmel 
emporstieg, um so deutlicher wurden die hohen Häuser, die sich an die 
Hänge klammerten oder wie eine zu Tal ziehende Herde schwarzer 
Ziegen abwärts drängten. Die menschenleeren Straßen schienen endlos 
lang. Palmen, die hier und da die Mauern überragten, standen 
regungslos. Die bis an den Rand gefüllten Zisternen in den Höfen 
glichen silbernen dort liegen gelassenen Schilden. Das Leuchtturmfeuer 
auf dem hermäischen Vorgebirge glimmte nur noch. Im Zypressenhain 
oben auf dem Burgberge setzten die Rosse Eschmuns, des Tages Nahen 
witternd, ihre Hufe auf die Marmorbrüstung und wieherten der Sonne 
entgegen. 
Sie tauchte auf. Spendius erhob die Arme und stieß einen Schrei aus. 
Alles war von Rot überflutet. Der Gott goß wie in Selbstopferung den 
Goldregen seines Blutes in vollen Strömen über Karthago aus. Die 
Schnäbel der Galeeren blitzten, das Dach des Khamontempels schien
ein Flammenmeer, und im Innern der andern Tempel, deren Pforten 
sich nun auftaten, schimmerten matte Lichter. Große Karren, die vom 
Lande hereinkamen, rollten und rasselten über das Straßenpflaster. 
Dromedare, mit Ballen beladen, schwankten die Abhänge hinab. Die 
Wechsler in den Gassen spannten die Schutzdächer über ihren Läden 
auf. Störche flogen dahin. Weiße Segel flatterten. Im Haine der Tanit 
erklangen die Schellentrommeln der geheiligten Hetären, und auf der 
Höhe der Mappalierstraße begann der Rauch aus den Öfen zu wirbeln, 
in denen die Tonsärge gebrannt wurden. 
Spendius beugte sich über das Geländer. Seine Zähne schlugen 
aufeinander. 
»Ja ... ja ... Herr!« wiederholte er mehrmals. »Ich begreife, warum du 
soeben vom Plündern des Hauses nichts wissen wolltest!« 
Matho erwachte beim Zischen dieser Stimme wie aus einem Traume. 
Offenbar hatte er die Worte nicht verstanden. 
»Ach, was für Reichtümer!« hob Spendius von neuem an. »Und ihre 
Besitzer haben nicht einmal Schwerter, sie zu verteidigen!« 
Dann wies er mit der ausgestreckten Rechten auf ein paar Leute aus 
dem niedern Volke, die auf dem Sande vor dem Hafendamm 
herumkrochen und Goldkörner suchten. 
»Sieh!« sagte er. »Die Republik gleicht diesen Schelmen. An den 
Gestaden der Meere hockend, wühlt sie mit gierigen Händen in allen 
Landen. Das Rauschen der Wogen betäubt ihr Ohr, und sie hört nichts; 
auch nicht wenn ihr von rückwärts der Tritt eines Herrschers nahte!« 
Damit zog er Matho nach dem andern Ende der Terrasse und zeigte 
ihm den Park, wo die Schwerter der Söldner an den Bäumen hingen 
und in der Sonne glänzten. 
»Hier aber sind starke Männer voll grimmigsten Hasses, die nichts an 
Karthago fesselt: keine Familie, keine Pflicht, kein Gott!« 
Matho stand an die Mauer gelehnt. Spendius trat dicht an ihn heran und 
fuhr mit flüsternder Stimme fort: 
»Verstehst du mich, Kriegsmann? In Purpurmänteln könnten wir 
einhergehen wie Satrapen. Uns in Wohlgerüchen baden. Ich hätte dann 
selber Sklaven! Bist du's nicht müde, auf harter Erde zu schlafen, den 
sauren Wein der Marketender zu trinken und ewig Trompetensignale zu 
hören? Später willst du dich ausruhen, nicht wahr? Wenn man dir den 
Küraß vom Leibe reißt und deinen Leichnam den Geiern vorwirft!
Oder vielleicht, wenn du blind, lahm und altersschwach am Stabe 
einherschleichst, von Tür zu Tür, und kleinen Kindern und Hausierern 
von deinen Jugendträumen erzählst! Erinnere dich all der Schindereien 
deiner Vorgesetzten, der Biwaks im Schnee, der Märsche im 
Sonnenbrande, der Härte der Manneszucht und des stets drohenden 
Todes am Kreuze! Nach so vielen Leiden hat man dir einen Orden 
verliehen, just wie man den Eseln ein Schellenhalsband umhängt, um 
sie auf dem Marsche einzulullen, damit sie die Strapazen nicht merken! 
Ein Mann wie du, tapferer als Pyrrhus! Ach, wenn du nur wolltest! Ha! 
Wie wohl wäre dir zumute in einem hohen kühlen Saale bei Leierklang, 
auf einem Blumenlager, von Narren und Frauen umringt! Sag nicht, das 
seien Phantastereien! Haben die Söldner nicht schon Rhegium und 
andre feste Plätze Italiens besessen? Wer hindert dich? Hamilkar ist 
weit. Das Volk verabscheut die Patrizier. Gisgo vermag mit seinen 
Feiglingen nichts anzufangen! Du    
    
		
	
	
	Continue reading on your phone by scaning this QR Code
	 	
	
	
	    Tip: The current page has been bookmarked automatically. If you wish to continue reading later, just open the 
Dertz Homepage, and click on the 'continue reading' link at the bottom of the page.