und Kinder, im 
Strom wurden sie fortgeschoben, keine Zeit zum Abschiednehmen von 
den treuen Dienstboten, auch nicht von dem geliebten Hund. Ein 
Winseln hörte Gebhard noch--er wußte, das galt ihm. 
Eingepfercht in den Wagen saßen unsere Flüchtlinge, mit Mühe hatten 
sie noch Sitzplätze erlangt. Immer mehr Reisende drängten herein. 
Gebhard sah durchs Fenster in das Gewühl. Endlich leerte sich der 
Bahnsteig, das Zeichen zur Abfahrt wurde gegeben und eben in diesem 
Augenblick sah Gebhard plötzlich noch einmal seinen Leo auftauchen. 
Er hatte sich von der Hand des Knechts losgerissen, raste auf den 
Wagen zu, aus dem Gebhard sah, sprang blitzschnell auf und über alle
Hindernisse hinweg zwischen scheltenden Menschen hindurch bis in 
das Abteil, wo er sich sofort unter den Sitz seines kleinen Herrn duckte 
und so für sich selbst die Frage löste, ob Hunde mitfahren dürften. 
Gebhard war so außer sich vor Freude, daß auch Helene, die zuerst 
über den Eindringling erschrocken war, freundlich dem Tier zunickte, 
das ihr gegenüber unter dem Sitz ängstlich hervorsah, nicht ganz sicher, 
ob es geduldet würde. Allerdings versuchte auch ein Herr Einsprache 
zu erheben. "Es gehört sich nicht, daß solch ein großer Hund in den 
Wagen genommen wird." Aber ein älterer Mann ergriff Partei für das 
Tier oder mehr noch für die Familie. 
"Freilich gehört sich's nicht," bemerkte er, "aber es gehört sich auch 
nicht, daß so ein junges Frauchen mit dem kleinen Kind flüchten muß. 
Und um eine Flucht wird sich's wohl handeln. Nach 
Vergnügungsreisenden sehen sie nicht aus. Habe ich's erraten?" 
Helene konnte nur gegen Tränen ankämpfend mit unsicherer Stimme 
bejahen. 
"Nun also; dann wird Ihnen auch niemand den Hund absprechen; so ein 
treues Tier ist auch ein Schutz." 
So blieb der Hund unbeanstandet und bewährte sich auf der Fahrt als 
kluges Tier. "Hast du bemerkt, Mutter, wie Leo so schlau ist und sich 
still hält, wenn der Schaffner hereinkommt?" fragte Gebhard. 
Nein, Helene hatte das nicht beachtet. Sie saß in schwere Gedanken 
versunken. Zuerst hatte nur die Sorge sie bedrückt, ob auch gewiß der 
geliebte Mann morgen zurückkäme. Allmählich aber legte sich ihr 
schwer aufs Herz der Gedanke, daß er wohl zurückkommen könnte, 
aber mit einer Schuld auf dem Gewissen, die nie, nie mehr zu tilgen 
war. Wenn schon Gebhard diesen Verrat so tief empfand, wieviel mehr 
sein Vater! Und dazu hatte sie ihn veranlaßt! Sein ganzes Leben hatte 
sie verdorben! 
Und nun kamen noch andere schwere Überlegungen. Sie konnte sich 
nicht entschließen--wie es ihres Mannes Wunsch gewesen--zu seiner
Mutter zu gehen. Diese war eine tapfere aber auch strenge Frau. Helene 
fühlte nicht den Mut, ihr zu erzählen, was vorgefallen war, und es kam 
ihr unmöglich vor, ihr unter die Augen zu treten. So überlegte sie und 
beschloß, bei ihrem Bruder Zuflucht zu suchen. Er und seine Frau 
hatten sich schon bei Kriegsausbruch freundlich erboten, Helene mit 
dem Töchterchen aufzunehmen. Damals hatte sie sich nicht von ihrem 
Manne trennen wollen. Jetzt war es anders. Sie wollte dorthin, aber 
wohin würde ihr Mann sich wenden? 
In diesen Gedanken hatte Gebhards Frage sie unterbrochen. Nun sah er 
die Mutter aufmerksam an und seinem teilnehmenden Blick fiel auf, 
wie verändert sie aussah. Sie hatte doch immer so helle Augen gehabt 
und einen fröhlichen Mund. Nun waren die Augen trübe und der Mund 
zuckte wie von verhaltenem Schmerz. Gebhard dachte an seinen Vater. 
Wenn der jetzt erschiene, ja dann würde die Mutter wieder so strahlend 
aussehen wie sonst. Gerne hätte er das auch so zustande gebracht wie 
der Vater, aber das konnte er nicht; im Gegenteil: daß sie so verändert 
aussah, war wohl seine Schuld; seit dem Gespräch im Wagen war sie so 
still. Er hätte vielleicht das nicht sagen sollen, was er gesagt hatte. Was 
konnte er aber jetzt machen? Lauter fremde Leute saßen herum, man 
konnte gar nichts Liebes zu der Mutter sagen. Eine ganze Weile blieb 
er still und nachdenklich, aber auf einmal kam ihm, was er suchte. 
"Mutter, unser Jüngferlein schläft so sanft, sieh nur, wie rosig ihre 
Bäckchen sind!" 
Die Mutter blickte auf das Kind, streichelte die weichen Bäckchen, 
aber dabei füllten sich ihre Augen mit Tränen. 
Auch das Jüngferlein konnte die Freude nicht hervorlocken? Ja, dann 
wußte Gebhard keinen Rat. Es ging eben nicht ohne den Vater! 
 
Drittes Kapitel. 
Im Verlauf der langen, mühseligen Reise erfuhr Gebhard, daß nicht der 
Großmutter Haus das Reiseziel sein sollte; in der Mutter Heimat, bei 
Onkel und Tante Kurz, sollten sie ihre Zuflucht suchen. Es war eine
Enttäuschung für ihn; die Großmutter kannte und liebte er, die 
Verwandten der Mutter waren ihm fremd. Helene suchte ihm Lust zu 
machen. "Onkel und Tante haben uns längst eingeladen; sie können uns 
viel leichter aufnehmen als die Großmutter; sie haben ein eigenes 
Landhaus vor der Stadt, mit einem Garten; du wirst sehen, daß wir's gut 
bei ihnen haben." 
"Aber wenn der Vater zurückkommt, der wird uns bei    
    
		
	
	
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