Novelle | Page 8

Johann Wolfgang von Goethe
als aber der Vater geendigt hatte, fing es mit reiner Kehle, heller Stimme und geschickten L?ufen zu intonieren an, worauf der Vater die Fl?te ergriff, im Einklang sich h?ren lie?, das Kind aber sang: "aus den Gruben, hier im Graben h?r ich des Propheten Sang; Engel schweben, ihn zu laben, w?re da dem Guten bang?
L?w und L?win, hin und wider, schmiegen sich um ihn heran; ja, die sanften, frommen Lieder habens ihnen angetan!" Der Vater fuhr fort, die Strophe mit der Fl?te zu begleiten; die Mutter trat hie und da als zweite Stimme mit ein.
Eindringlich aber ganz besonders war, da? das Kind die Zeilen der Strophe nunmehr zu anderer Ordnung durcheinander schob und dadurch, wo nicht einen neuen Sinn hervorbrachte, doch das Gef��hl in und durch sich selbst aufregend erh?hte.
"Engel schweben auf und nieder, uns in T?nen zu erlaben, welch ein himmlischer Gesang!
In den Gruben, in dem Graben w?re da dem Kinde bang?
Diese sanften, frommen Lieder lassen Ungl��ck nicht heran; Engel schweben hin und wider, und so ist es schon getan".
Hierauf mit Kraft und Erhebung begannen alle drei: "denn der Ewge herrscht auf Erden, ��ber Meere herrscht sein Blick; L?wen sollen L?mmer werden, und die Welle schwankt zur��ck.
Blankes Schwert erstarrt im Hiebe, Glaub und Hoffnung sind erf��llt; wundert?tig ist die Liebe, die sich im Gebet enth��llt".
Alles war still, h?rte, horchte, und nur erst, als die T?ne verhallten, konnte man den Eindruck bemerken und allenfalls beobachten.
Alles war wie beschwichtigt, jeder in seiner Art ger��hrt.
Der F��rst, als wenn er erst jetzt das Unheil ��bers?he, das ihn vor kurzem bedroht hatte, blickte nieder auf seine Gemahlin, die, an ihn gelehnt, sich nicht versagte, das gestickte T��chlein hervorzuziehen und die Augen damit zu bedecken.
Es tat ihr wohl, die jugendliche Brust von dem Druck erleichtert zu f��hlen, mit dem die vorhergehenden Minuten sie belastet hatten.
Eine vollkommene Stille beherrschte die Menge; man schien die Gefahren vergessen zu haben, unten den Brand und von oben das Erstehen eines bedenklich ruhenden L?wen.
Durch einen Wink, die Pferde n?her herbeizuf��hren, brachte der F��rst zuerst wieder in die Gruppe Bewegung; dann wendete er sich zu dem Weibe und sagte: "Ihr glaubt also, da? Ihr den entsprungenen L?wen, wo Ihr ihn antrefft, durch Euren Gesang, durch den Gesang dieses Kindes, mit H��lfe dieser Fl?tent?ne beschwichtigen und ihn sodann unsch?dlich sowie unbesch?digt in seinem Verschlu? wieder zur��ckbringen k?nntet?" Sie bejahten es, versichernd und beteuernd; der Kastellan wurde ihnen als Wegweiser zugegeben.
Nun entfernte der F��rst mit wenigen sich eiligst, die F��rstin folgte langsamer mit dem ��brigen Gefolge; Mutter aber und Sohn stiegen, von dem W?rtel, der sich eines Gewehrs bem?chtigt hatte, begleitet, steiler gegen den Berg hinan.
Vor dem Eintritt in den Hohlweg, der den Zugang zu dem Schlo? er?ffnete, fanden sie die J?ger besch?ftigt, d��rres Reisig zu h?ufen, damit sie auf jeden Fall ein gro?es Feuer anz��nden k?nnten.
"Es ist nicht not", sagte die Frau; "es wird ohne das alles in G��te geschehen".
Weiter hin, auf einem Mauerst��cke sitzend, erblickten sie Honorio, seine Doppelb��chse in den Scho? gelegt, auf einem Posten als wie zu jedem Ereignis gefa?t.
Aber die Herankommenden schien er kaum zu bemerken; er sa? wie in tiefen Gedanken versunken, er sah umher wie zerstreut.
Die Frau sprach ihn an mit Bitte, das Feuer nicht anz��nden zu lassen; er schien jedoch ihrer Rede wenig Aufmerksamkeit zu schenken.
Sie redete lebhaft fort und rief: "sch?ner junger Mann, du hast meinen Tiger erschlagen, ich fluche dir nicht; schone meinen L?wen, guter junger Mann!
Ich segne dich".
Honorio schaute gerad vor sich hin, dorthin, wo die Sonne auf ihrer Bahn sich zu senken begann.

Novelle, Kapitel 7
"Du schaust nach Abend", rief die Frau; "du tust wohl daran, dort gibts viel zu tun; eile nur, s?ume nicht, du wirst ��berwinden.
Aber zuerst ��berwinde dich selbst!" Hierauf schien er zu l?cheln; die Frau stieg weiter, konnte sich aber nicht enthalten, nach dem Zur��ckbleibenden nochmals umzublicken; eine r?tliche Sonne ��berschien sein Gesicht, sie glaubte nie einen sch?hern J��ngling gesehen zu haben.
"Wenn Euer Kind", sagte nunmehr der W?rtel, "fl?tend und singend, wie Ihr ��berzeugt seid, den L?wen anlocken und beruhigen kann, so werden wir uns desselben sehr leicht bemeistern, da sich das gewaltige Tier ganz nah an die durchbrochenen Gew?lbe hingelagert hat, durch die wir, da das Haupttor versch��ttet ist, einen Eingang in den Schlo?hof gewonnen haben.
Lockt ihn das Kind hinein, so kann ich die ?ffnung mit leichter M��he schlie?en, und der Knabe, wenn es ihm gut deucht, durch eine der kleinen Wendeltreppen, die er in der Ecke sieht, dem Tiere entschl��pfen.
Wir wollen uns verbergen; aber ich werde mich so stellen, da? meine Kugel jeden Augenblick dem Kinde zu H��lfe kommen kann".
"Die Umst?nde sind alle nicht n?tig; Gott und Kunst, Fr?mmigkeit und Gl��ck m��ssen das Beste tun".--"Es sei", versetzte der W?rtel; "aber ich kenne meine Pflichten.
Erst f��hr ich Euch durch einen beschwerlichen Stieg auf das Gem?uer hinauf, gerade dem Eingang gegen��ber, den ich erw?hnt habe; das Kind mag
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