Nachtstuecke | Page 9

E.T.A. Hoffmann
dich nun das böse Prinzip schelten wollte, das feindlich auf meinen
Kaffee wirkt? - Denn, wenn ich, wie du es willst, alles stehen und
liegen lassen und dir, indem du liesest, in die Augen schauen soll, so
läuft mir der Kaffee ins Feuer und ihr bekommt alle kein Frühstück!« -
Nathanael klappte das Buch heftig zu und rannte voll Unmut fort in
sein Zimmer. Sonst hatte er eine besondere Stärke in anmutigen,
lebendigen Erzählungen, die er aufschrieb, und die Clara mit dem
innigsten Vergnügen anhörte, jetzt waren seine Dichtungen düster,
unverständlich, gestaltlos, so daß, wenn Clara schonend es auch nicht
sagte, er doch wohl fühlte, wie wenig sie davon angesprochen wurde.
Nichts war für Clara tötender, als das Langweilige; in Blick und Rede
sprach sich dann ihre nicht zu besiegende geistige Schläfrigkeit aus.
Nathanaels Dichtungen waren in der Tat sehr langweilig. Sein Verdruß
über Claras kaltes prosaisches Gemüt stieg höher, Clara konnte ihren
Unmut über Nathanaels dunkle, düstere, langweilige Mystik nicht

überwinden, und so entfernten beide im Innern sich immer mehr
voneinander, ohne es selbst zu bemerken. Die Gestalt des häßlichen
Coppelius war, wie Nathanael selbst es sich gestehen mußte, in seiner
Fantasie erbleicht und es kostete ihm oft Mühe, ihn in seinen
Dichtungen, wo er als grauser Schicksalspopanz auftrat, recht lebendig
zu kolorieren. Es kam ihm endlich ein, jene düstre Ahnung, daß
Coppelius sein Liebesglück stören werde, zum Gegenstande eines
Gedichts zu machen. Er stellte sich und Clara dar, in treuer Liebe
verbunden, aber dann und wann war es, als griffe eine schwarze Faust
in ihr Leben und risse irgend eine Freude heraus, die ihnen
aufgegangen. Endlich, als sie schon am Traualtar stehen, erscheint der
entsetzliche Coppelius und berührt Claras holde Augen; die springen in
Nathanaels Brust wie blutige Funken sengend und brennend, Coppelius
faßt ihn und wirft ihn in einen flammenden Feuerkreis, der sich dreht
mit der Schnelligkeit des Sturmes und ihn sausend und brausend
fortreißt. Es ist ein Tosen, als wenn der Orkan grimmig hineinpeitscht
in die schäumenden Meereswellen, die sich wie schwarze,
weißhauptige Riesen emporbäumen in wütendem Kampfe. Aber durch
dies wilde Tosen hört er Claras Stimme: »Kannst du mich denn nicht
erschauen? Coppelius hat dich getäuscht, das waren ja nicht meine
Augen, die so in deiner Brust brannten, das waren ja glühende Tropfen
deines eignen Herzbluts - ich habe ja meine Augen, sieh mich doch nur
an!« - Nathanael denkt: Das ist Clara, und ich bin ihr eigen ewiglich. -
Da ist es, als faßt der Gedanke gewaltig in den Feuerkreis hinein, daß er
stehen bleibt, und im schwarzen Abgrund verrauscht dumpf das Getöse.
Nathanael blickt in Claras Augen; aber es ist der Tod, der mit Claras
Augen ihn freundlich anschaut.
Während Nathanael dies dichtete, war er sehr ruhig und besonnen, er
feilte und besserte an jeder Zeile und da er sich dem metrischen
Zwange unterworfen, ruhte er nicht, bis alles rein und wohlklingend
sich fügte. Als er jedoch nun endlich fertig worden, und das Gedicht für
sich laut las, da faßte ihn Grausen und wildes Entsetzen und er schrie
auf. »Wessen grauenvolle Stimme ist das?« - Bald schien ihm jedoch
das Ganze wieder nur eine sehr gelungene Dichtung, und es war ihm,
als müsse Claras kaltes Gemüt dadurch entzündet werden, wiewohl er
nicht deutlich dachte, wozu denn Clara entzündet, und wozu es denn
nun eigentlich führen solle, sie mit den grauenvollen Bildern zu

ängstigen, die ein entsetzliches, ihre Liebe zerstörendes Geschick
weissagten. Sie, Nathanael und Clara, saßen in der Mutter kleinem
Garten, Clara war sehr heiter, weil Nathanael sie seit drei Tagen, in
denen er an jener Dichtung schrieb, nicht mit seinen Träumen und
Ahnungen geplagt hatte. Auch Nathanael sprach lebhaft und froh von
lustigen Dingen wie sonst, so, daß Clara sagte: »Nun erst habe ich dich
ganz wieder, siehst du es wohl, wie wir den häßlichen Coppelius
vertrieben haben?« Da fiel dem Nathanael erst ein, daß er ja die
Dichtung in der Tasche trage, die er habe vorlesen wollen. Er zog auch
sogleich die Blätter hervor und fing an zu lesen: Clara, etwas
Langweiliges wie gewöhnlich vermutend und sich darein ergebend,
fing an, ruhig zu stricken. Aber so wie immer schwärzer und schwärzer
das düstre Gewölk aufstieg, ließ sie den Strickstrumpf sinken und
blickte starr dem Nathanael ins Auge. Den riß seine Dichtung
unaufhaltsam fort, hochrot färbte seine Wangen die innere Glut, Tränen
quollen ihm aus den Augen. - Endlich hatte er geschlossen, er stöhnte
in tiefer Ermattung - er faßte Claras Hand und seufzte wie aufgelöst in
trostlosem Jammer: »Ach! - Clara - Clara!« - Clara drückte ihn sanft an
ihren Busen und sagte leise, aber sehr langsam und ernst: »Nathanael -
mein herzlieber Nathanael! - wirf das tolle - unsinnige - wahnsinnige
Märchen ins Feuer.« Da sprang Nathanael entrüstet auf und rief, Clara
von sich stoßend: »Du lebloses, verdammtes Automat!« Er rannte fort,
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