Augen haben. Ich habe fünfhundert Thaler Gehalt, und 
Frau und Kind und Dienstmädchen zu ernähren, und soll anständig 
dabei gekleidet gehn, denn vor zehn und zwanzig Jahren hatte ein 
Aktuar in meiner Stellung auch nicht mehr, und machte das Alles 
möglich, ja befand sich wohl dabei. Jetzt aber wird Brod, Butter, 
Fleisch, Holz, Wohnung, kurz Alles was wir nun einmal zum Leben 
brauchen, gesteigert von Tag zu Tag, aber meine fünfhundert Thaler 
bleiben; vor zehn Jahren kaufte ich zwanzig Pfund Brod für dasselbe 
Geld, für das ich jetzt nicht zehn bekomme -- aber meine fünfhundert 
Thaler bleiben. Auch mein Hausherr verlangt höheren Zins -- schon 
voriges Jahr bin ich höher gegangen, um nicht gesteigert zu werden, d. 
h. für denselben Preis aus der zweiten in die dritte Etage gezogen, aber 
dies Jahr muß ich ganz hinaus, denn er will wieder zehn Thaler mehr 
haben und ich kann's ihm nicht geben. Ihr Leute habt Euch gut in die 
Zeiten schicken, denn wenn das Brod theuer wird, schlagt Ihr desto 
mehr auf Euere Waare, der kleine Beamte aber, der Staatsdiener um 
geringen Lohn, das ist das geplagte, gefährdete Geschöpf, und jede 
neue Taxe macht ihm keine neue Berechnung, sondern schnallt ihm nur 
den Leibriemen um ein Loch enger, daß er weniger ißt, bis er in's letzte 
Loch geworfen wird, zum ersten Mal von seinen irdischen Strapatzen, 
ohne Furcht vor rasch abgelaufenen Ferien, wirklich ungestört 
auszuruhen.« 
»Ach geht mit Eueren erbärmlichen Lamentationen an solch 
freundlichem Tag,« fiel ihm der Wirth hier in die Rede, der sich erst 
vor ein paar Augenblicken wieder mit zum Tisch gesetzt und schon 
eine ganze Weile ungeduldig mit dem Kopf geschüttelt hatte. »Das 
Reden macht's nicht besser und Stöhnen und Seufzen hilft auch Nichts 
-- Kopf oben, das ist die Hauptsache; das andere macht sich von selber
-- aber hallo« -- unterbrach er sich plötzlich, von seinem Sitze 
aufstehend und die Straße hinunterzeigend, die in das weite Thal führte 
-- »was kommt dort für ein Trupp den Weg entlang?« -- und in der That 
wurde dort oben ein ganzer Zug Männer, Frauen und Kinder mit 
kleinen Handkarren und ein paar einspännigen Wägelchen sichtbar. 
»Das sind Auswanderer!« rief Jacob Kellmann, von seinem Stuhl 
aufspringend und dem Zug entgegenschauend -- »seht nur ein Mensch 
an, wieder ein ganzer Schwarm aus dem Hessischen; Heiland der Welt, 
da muß doch endlich einmal Platz werden.« 
»Na nu ist wieder der Frieden beim Henker,« rief aber der Apotheker 
mürrisch -- »hier Lobsich setzt Euch auf Eueren Stuhl und trinkt Euer 
Bier aus, und Ihr Kellmann, laßt das Volk da draußen laufen, wohin sie 
wollen -- unzufriedene Bande, die es ist und die es nirgends gut genug 
kriegen kann, wo ihr nicht das Confekt auf goldenen Tellern präsentirt 
wird. Na kommt nur hinüber, wenn Euch hier der Hafer zu sehr sticht -- 
Euch werden sie schon noch das Fell über die Ohren ziehn, daß Ihr am 
hellen lichten Tag die Sterne zu sehn bekommt.« 
»Nein was für ein Zug!« rief aber Kellmann, die langsam näher 
kommende Schaar mit unverkennbarem Interesse betrachtend; »die 
armen Teufel.« 
»Hört Kellmann,« rief aber Schollfeld ärgerlich, »tretet mir da ein 
wenig aus dem Weg, daß ich auch was sehen kann, und setzt Euch 
wieder, ich dächte doch wahrhaftig, Auswanderer hier an der Straße 
wären nichts so besonders Neues, daß Ihr Maul und Nase aufsperrt und 
thut, als ob Euch so etwas noch nicht im ganzen Leben vorgekommen 
wäre.« 
Schollfeld war übrigens nicht umsonst so mürrisch; er hatte einen Zorn 
auf Auswanderer, denn er betrachtete Auswanderung als eine indirekte 
Beleidigung gegen den Staat, gewissermaßen als eine Grobheit, die 
man ihm geradezu unter die Nase sage -- : »ich mag nicht mehr in Dir 
leben und weiß einen Platz, wo's besser ist.« Das dachten sich nämlich 
die »Tölpel«, wie er sie nannte, aber Sie wußten es nicht -- gar Nichts 
wußten sie und liefen blind und toll in die Welt hinein. Der Staat hätte
auch eigentlich den Skandal gar nicht dulden sollen; hunderte von 
Menschen, reine Deserteure aus ihrem Vaterland, liefen da frank und 
frei vorbei, Anderen noch obendrein ein böses Beispiel gebend, und er 
begriff die Regierung nicht, wie sie dem Volke nur noch einen Paß 
gestatten konnte. 
Der Zug war indessen näher gekommen und Lobsich rasch in das Haus 
gegangen Bier herbeizuschaffen, da sich bei solchen Trupps 
gewöhnlich eine Menge junge Burschen befanden, die noch Geld im 
Beutel und immer frischen Durst hatten; um so mehr, da das 
Bergesteigen heute wirklich warm und den Hals trocken machte. 
[Capitel 2] 
Die ersten Wägen passirten still vorbei; die Führer warfen einen langen, 
vielleicht sehnsüchtigen Blick nach den behaglich hinter ihren Tischen 
sitzenden Gästen und dem kühlen funkelnden Bier hinüber, aber hielten 
nicht an, sich längere Rast dafür auf den Abend versprechend. Nur von 
den Fußgängern blieben mehre Trupps unfern der Linde, unter der 
unsere kleine    
    
		
	
	
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