bringend für den Kranken. Vorsichtig und ängstlich, und wie weit 
herum um ihr Ziel, daß man die Absicht nicht errathen soll, fragen sie 
versteckt nach dem und jenem Ding -- nach Leuten die vordem 
»hinüber« gezogen und denen es gut gegangen -- nach Land- und 
Fruchtpreis, Klima, Boden, Volk -- für Andere natürlich, nicht für sich 
etwa -- sie lachen bei dem Gedanken. Ein Vetter von ihnen will hinüber, 
ein entfernter Verwandter oder naher Freund, sie wünschen daß es dem 
wohl geht, und häufen mehr und mehr Zunder für sich selber auf. 
So ringt und drängt und wühlt das um uns her; keiner ist unter uns, dem 
nicht ein lieber Freund, ein naher Verwandter den salto mortale gethan, 
und Alles hinter sich gelassen, was ihm einst lieb und theuer war -- aus 
dem, aus jenem Grund -- und täglich, stündlich noch hören wir von 
anderen, von denen wir im Leben nie geglaubt daß sie je an Amerika 
gedacht, wie sie mit Weib und Kind und Hab und Gut hinüberziehn. 
Und dort? -- 
-- Die vorliegenden Blätter sollen dem Leser ein Bild geben von dem 
Leben und Treiben solcher Leute. Hier aus unserer Mitte heraus, aus 
den verschiedenartigsten Verhältnissen und Sphären, aus allen 
Schichten der menschlichen Gesellschaft sehen wir sie ziehen -- Gute 
und Böse, den Leichtsinnigen und den Spekulanten, den Bauer und 
Handwerker, den Gelehrten und den Arbeiter, den rechtschaffenen 
Bürger und den heimlichen Verbrecher, Alle dem einen Ziel 
entgegenstrebend. Und Alle vereinigt sie das Schiff; der eine kleine Bau, 
der hunderte von Menschen auf seinem schwanken Kiel hinüberträgt, 
dem fernen Welttheil zu; oh was für Hoffnungen, was für Pläne und 
Träume birgt er in seinem Schooß. Aber die Auswanderer liegen die 
langen Wochen, ja Monate, verpuppten Raupen gleich, im engen Haus, 
still und gedrängt beisammen; Jeder mit dem alten Leben 
abgeschlossen hinter sich, mit dem neuen noch nicht begonnen, in 
einem wunderlichen unnatürlichen Zustand, ungeduldiger Ruhe, bis der
Anker in die Tiefe rollt, und die ausgeschobene schmale Planke der 
bunten Schaar von Tag- und Nachtfaltern den Weg in's Freie öffnet. 
Hinaus flattern sie da nach allen Seiten, wie eine Hand voll Spreu, vom 
Winde fort geführt; die Einen selbstbewußt und keck dem fremden, 
unbekannten Leben in die Arme springend, die Anderen scheu und 
zaghaft bei jedem Schritte fast moralische Selbstschüsse und Fußangeln 
fürchtend; Alle aber entschlossen, die meisten sogar gezwungen, dem 
neuen Vaterlande die, im alten aufgegebene Existenz abzuringen, Jeder 
in seiner Art, auf seine Weise. 
Dort nun sehen wir sie schaffen und wirken in Gutem und Bösen, die 
Einen mit ihren kühnsten Hoffnungen erfüllt, Andere, zerknirscht und 
zertreten, die Stunde verwünschend, die den Gedanken an 
Auswanderung gebar -- sehn wie sich die Wildniß lichtet, wie Farmen 
und Städte entstehn, und sich das deutsche Element ausbreitet nach 
allen Seiten, und folgen den einzelnen Bekannten und Freunden, die 
wir zu Hause schon, oder auf der Fahrt erst lieb gewonnen, oder für die 
wir uns interessiren, auf ihren verschiedenen, oft wunderlichen Bahnen. 
Manchen alten Reisegefährten führ ich dabei dem Leser vor, und hoffe 
ihn nicht zu langweilen, den weiten Weg; schlafen wir dann auch 
manchmal draußen im Freien, oder in niederer Blockhütte auf dünnem 
»Quilt«, müssen wir auch eine Zeit lang mit Maisbrod und Wildpret, 
oder gar mit Speck und Syrup verlieb nehmen, wie es der Farmer am 
Ohio liebt, wir lernen doch das Land kennen, mit seinen guten und 
schlechten Eigenschaften, seinen Vortheilen und Mängeln, seinen 
Bürgern und Einwanderern, seinen inneren Verhältnissen, seinem 
Leben und seiner Lebenskraft, und bin ich im Stande ihn auch nur 
einen Blick in jene ferne, von Tausenden so heiß ersehnte Welt, wie ich 
sie selbst gefunden, thun zu lassen, so hab ich meinen Zweck mit 
diesem Buch erreicht. 
Rosenau bei Coburg im September 1854. 
Friedrich Gerstäcker.
INHALT DES ERSTEN BANDES. 
Das Dollinger'sche Haus Der rothe Drachen Der Diebstahl Franz 
Loßenwerder Die Auswanderungs-Agentur Die Weberfamilie Nach 
Amerika Der Tanz im rothen Drachen Rüstungen Die beiden Familien 
 
Capitel 1. 
DAS DOLLINGER'SCHE HAUS. 
Im Hause des reichen Kaufmanns Dollinger zu Heilingen -- einer nicht 
unbedeutenden Stadt Deutschlands -- hatte am Sonntag Mittag, ein 
kleines Familienfest die Glieder des Hauses um den Speisetisch 
versammelt, und diesen heute in außergewöhnlicher Weise mit Blumen 
geschmückt, und delicaten Speisen und Weinen gedeckt. Es war der 
Geburtstag der zweiten Tochter des Hauses, der liebenswürdigen Clara 
und nur ihr erklärter Bräutigam, ein junger deutscher, in New-Orleans 
ansässiger Kaufmann, als Gast der Familie zugezogen worden. 
Am oberen Ende des Tisches, um dem Leser die Personen gleich in 
Lebensgröße vorzuführen, saß Vater Dollinger, ein etwas wohlbeleibter 
aber behäbiger, stattlicher Mann, mit klaren, blauen, unendlich 
gutmüthigen Augen und schneeweißen Locken und Augenbrauen, die 
aber dem edel geschnittenen Gesicht gar gut und ehrwürdig standen. 
Ihm zur Rechten saß seine Frau, allem Anschein nach etwa funfzehn 
oder sechzehn Jahre jünger wie er selber, und durch ihr volles, 
dunkelbraunes Haar vielleicht    
    
		
	
	
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