Mein erster Aufenthalt in Marokko und Reise südlich vom Atlas durch die Oasen Draa und Tafilet | Page 3

Gerhard Rohlfs
el Abbes, den
ich versuchte zu besuchen, war indess nicht sichtbar für mich, jedesmal
kam ich zu ungelegener Zeit.
Unterdessen machte ich mich rasch und mit Energie daran, meinen
Vorsatz auszuführen, obschon alle anderen Europäer abriethen. Ich
vermied aber so viel wie möglich mit ihnen in weitere Berührungen zu
kommen, namentlich mied ich das spanische Consulat (obschon mir

dasselbe später in Marokko viel Freundschaft erwiesen hat), um nicht
als Spion verdächtigt zu werden. Denn hätten die Mohammedaner mich
nach wie vor mit Christen verkehren sehen, so würden sie es gleich
gemerkt haben, dass ich nur zum Schein übergetreten. So war ich nur
fünf Tage in Tandja, wie der Marokkaner die Stadt nennt, und am
sechsten Tage hatte ich dem Orte schon den Rücken gekehrt, in
Begleitung eines Landbewohners, der es übernommen hatte, mich nach
Fes bringen zu wollen.
Ich hatte meine Sachen auf das Nothdürftigste reducirt, ein Bündelchen
mit Wäsche war Alles, was ich bei mir hatte, nach Landessitte trug ich
es an einem Stocke hängend auf der Schulter; eine weisse Djelaba (ein
weisses langes wollenes, mit Capuze versehenes Hemd) war meine
Kleidung. Gelbe Pantoffeln, dann eine spanische Mütze, worein ich
mein letztes Geld--eine englische Fünf-Pfundnote--genäht hatte,
endlich ein schwarzer weiter europäischer Ueberzug, der als Burnus
dienen konnte: das war mein Anzug. Ich hatte keine Waffen, ein
kleines Buch mit Bleistift, um Notizen machen zu können, war in der
Tasche verborgen. Dies war meine ganze Ausrüstung.
Gewiss ein Wagestück, unter solchen Umständen, mit solchen mehr als
bescheidenen Mitteln in ein vollkommen fremdes Land eindringen zu
wollen! Um so mehr, als ich von der arabischen Sprache nur die
gewöhnlichsten Redensarten auswendig wusste und weit davon entfernt
war, auch nur mangelhaft sprechen zu können. Allerdings hatte ich
Eine Phrase gut auswendig gelernt, die Glaubensformel der
Mohammedaner, welche, man kann es sagen, alleiniger Schlüssel zum
Oeffnen dieser von so fanatischer Bevölkerung bewohnten Gegenden
ist. Diese Glaubensformel--wer hätte sie nicht schon gehört oder
gelesen--lautet: _"Lah ilah il allah, Mohammed ressul ul Lah,"_[1]
ausser Gott kein Gott, Mohammed ist der Gesandte Gottes.
[Fußnote 1: Ganz genau so sprechen die Marokkaner den Satz aus,
obschon es nach der Schreibweise eine etwas andere Aussprache sein
müsste.]
Mein Gefährte schien vollkommen überzeugt, ich sei zum Islam
übergetreten, nur glaube ich, vermuthete er, ich sei heimlich entflohen
aus irgend einem verborgenen unlauteren Grund, vielleicht dachte er
auch, dass bei den Christen der Uebertritt von einer Religion, wie bei
den Mohammedanern mit dem Tode bestraft würde; aber das schien

ihm gewiss, dass mein Päckchen mit Wäsche gestohlen sei, vielleicht
noch andere Sachen enthielte und ich mich damit aus dem Staube
machen wolle. Natürlicherweise mussten ihm solche Gedanken
kommen: ein Marokkaner, wenn er auf Reisen geht, beschwert sich nie
mit Wäsche zum Wechseln, und wenn es selbst der Sultan wäre.
Wir schlugen einen Weg ein, der in der Richtung nach Tetuan führte,
weil mein Begleiter im "Djebel" (Gebirge) vorher einen Freund
aufsuchen wollte, und bald genug hatten wir die nächste Umgegend
Tangers verlassen. Der Weg war nicht belebt, denn es war nicht der
nach Tetuan führende Karavanenweg. Aber wie entzückend war die
Umgebung, und wenn auch die Pflanzenwelt nicht neu für mich war,
wenn auch das Thierreich nördlich vom Atlas überhaupt wenig bietet,
was nicht in den übrigen Ländern am Mittelmeerbecken zu finden ist,
das schon Gesehene unter anderen Verhältnissen übt immer einen
mächtigen Zauber aus.
Da sieht man die Wege bordirt von der Stachelfeige oder, wie der
Marokkaner sagt: "Christenfeige, karmus nssara", von der
langblättrigen Aloës, Lentisken- und Myrtengebüsch, Schlingpflanzen
wuchern dazwischen. Der April ist für Marokko die Zeit, welche in
Deutschland etwa dem Ende Mai und dem Anfang Juni entsprechen
würde. Die Pracht und Fülle der Natur hat nun keine Grenzen. Der
heisse und austrocknende Südostwind hat seine tödtenden Wirkungen
auf die ganze Natur noch nicht ausgeübt. Wie alle Gärten der Städte
Marokko's zeigen sich dann auch die Tanger's durch Ueppigkeit aus.
Und da in den unteren Theilen die Bewässerung gut ist, wird Alles
gezogen, was man nur in Europa an Gemüse kennt.
Aber wir waren bald im Gebirge, nicht ohne vorher einer von Tetuan
kommenden Karavane begegnet zu sein, bei welcher mehrere Europäer
waren, die mich alle baten und beschworen, nicht in alleiniger
Begleitung eines Mohammedaners und sogar ohne Waffen ins Innere
des Gebirges zu gehen. Aber ich liess mich nicht mehr bereden, es
waren die letzten Christen, die ich für lange Zeit zu sehen bekam. Man
hatte mir in Tanger gesagt, ich solle nie aussagen, ich wolle nach Fes
oder zum Sultan, sondern ich ginge nach Uesan zum Grossscherif Sidi
el Hadj-Abd-es Ssalam. Da hernach noch ausführlicher von dieser
merkwürdigen Persönlichkeit die Rede sein soll, beschränke ich mich
darauf, hier anzuführen, dass er der grösste Heilige von Marokko ist

und im ganzen Nordwesten von Afrika unter den Mohammedanern
ungefähr dieselbe Rolle spielt, wie der Papst bei den ultramontanen
Katholiken.
Durch
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